Monday, November 17, 2025

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IT-Infrastruktur in Europa ist eng an Cloudplattformen aus den USA geknüpft. Bisher war das kein Problem. Und in Zukunft?

Bild: iStock


Die digitale Unabhängigkeit Europas ist ein emotionales Thema, das neuerdings bis in die Risikobewertungen der Unternehmensstrategien einfließt. Die Wahl der richtigen IT-Dienstleister als Partner und souveräne Cloud-Lösungen spielen seit Datenschützer Max Schrems und Whistleblower Edward Snowden eine wesentliche Rolle. Der Grund, wie viele meinen: Im Mutterland des Cloud-Computing zeigen Gesetze wie der US Cloud Act, dass amerikanische Behörden in bestimmten Fällen auf Daten zugreifen können, die auch in europäischen Rechenzentren liegen – sofern diese von US-Anbietern betrieben werden. Es ist ein Widerspruch zu europäischem Datenschutzrecht und zur Idee der digitalen Souveränität. Waren bisher Preis und Flexibilität die schlagenden Argumente bei der Wahl des passenden Cloud-Partners, könnte sich das mit drohenden Handelszwists mit Übersee ändern.

Worauf also sollten Unternehmen in der aktuellen geopolitischen Lage wirklich achten? Report(+) hat einige wichtige Marktplayer aus Österreich dazu befragt. In einer Sache sind sich die Expert*innen einig: Flexibilität ist weiterhin ein wichtiger Faktor. Es ist sogar noch wichtiger geworden. Denn digitale Souveränität bedeutet vor allem, Freiheit bei der Wahl seiner IT-Infrastrukturpartner zu haben.

»Die fortschreitende Digitalisierung in allen Branchen und der zunehmende Einsatz von Cloud-Lösungen, KI und datengetriebenen Anwendungen treibt den Markt massiv an«, erklärt Martin Resel, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und CCO Enterprise bei A1 Telekom Austria. Unternehmen fordern heute flexible und vor allem sichere Gesamtlösungen – »von hybriden Cloud-Architekturen über umfassende Cyber-Security bis hin zu individuell abgestimmten Managed Services«. Im Mittelpunkt stünden Verfügbarkeit, Performance und Souveränität, um Effizienz und Compliance gleichermaßen zu erfüllen.

Vorstand A1

Bild: Martin Resel, A1: »Kurze Latenzzeiten sind entscheidend. Viel wichtiger sind jedoch datenschutzrechtliche und regulatorische Anforderungen.«

Entscheidend für die Standortwahl von IT-Infrastruktur seien laut Resel Datenschutz und rechtliche Sicherheit. »Unternehmen priorisieren heute regionale und europäische Datenhaltung, um die Einhaltung von DSGVO und anderen lokalen Vorschriften zu sichern und Datenhoheit zu gewährleisten. Nur ein vertrauenswürdiger Standort garantiert die gewünschte Rechtssicherheit und schützt vor ungewolltem Datenzugriff.« A1 betreibt heute mehrere Rechenzentren in Österreich und Europa und setzt auf souveräne Cloud- und KI-Infrastrukturen, die »vor außereuropäischem Zugriff – etwa durch den US Cloud Act – geschützt« sind. Gemeinsam mit Partnern wie Exoscale will das Unternehmen »eine vertrauenswürdige, rechtssichere und zukunftsfähige digitale Basis für Unternehmen schaffen«.

Laut einer Analyse von Synergy Research ist AWS der stabile Marktführer und bedient etwa ein Drittel des globalen »Infrastructure-as-a-Service«-Markts. Der Marktanteil von Azure hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich erweitert. 2024 lag das Microsoft-Angebot bei knapp einem Viertel des Gesamtmarktes. Google Cloud kommt mit etwa 12 Prozent auf ein Achtel des Marktes. Damit bleiben noch etwa 30 Prozent des globalen Marktes für Cloudanbieter jenseits der globalen US-Hyperscaler. Und der Cloud-Markt wächst und wächst munter weiter – mit rund 20 Prozent jährlich.

Basis für Souveränität
Wie wichtig eine physische, regionale Infrastruktur ist, betont Martin Madlo, Geschäftsführer von Digital Realty Österreich. »Colocation – die Unterbringung eigener IT-Systeme in einem externen, hochsicheren Rechenzentrum mit direkter Cloud- und Netzwerkanbindung – ist eine zentrale Voraussetzung für digitale Souveränität und Effizienz«, sagt Madlo. Mit der globalen Plattform PlatformDigital vernetzt der Rechenzentrumsanbieter Kunden weltweit und ermöglicht eine Georedundanz. Ein Beispiel ist der Onlinebroker flatexDegiro, für den Digital Realty eine maßgeschneiderte »Build-to-Suit«-Lösung umgesetzt hat – 200 m² Serverfläche mit direkter Anbindung an einen zweiten Standort. »Höchste Verfügbarkeit, Sicherheit und geringe Latenz sind entscheidend, damit sich unsere Kunden auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.«

Auch für Andreas Grigull, Sales Director Central Europe bei OVHcloud, ist Souveränität kein Schlagwort, sondern eine strategische Notwendigkeit. »In einer souveränen Cloud behalten Nutzer – egal ob Staat, Unternehmen oder Privatpersonen – die volle Kontrolle über ihre Daten und deren Verarbeitung.« Sie stehe für Selbstbestimmtheit und technologische Unabhängigkeit.

»Europäische Cloud-Anbieter stellen heute leistungsfähige und souveräne Cloud-Services bereit«, so Grigull. Die Nachfrage steige besonders »in Bereichen, die sensible Daten verarbeiten, wie Gesundheits- und Finanzwesen«. Auch er sieht die geopolitische Lage die Bedeutung europäischer Lösungen verstärken. Doch nicht nur: Ein Schlüsselthema sei Resilienz. »Zuletzt zeigte der technische Ausfall einer AWS-Region, wie wichtig eine resiliente Cloud-Infrastruktur ist. Ein Konzept, um das Ausmaß solcher Ausfälle zu mindern, wäre beispielsweise das Betreiben der Cloud-Services in mehreren Availability Zones«, so der Experte. OVHcloud betreibt bereits AZ-Regionen in Paris und Mailand, weitere sollen in den kommenden Jahren folgen.

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Bild: Andreas Grigull, OVHcloud: »Wenn Unternehmen ihre Cloud-Infrastruktur noch nicht resilient abgesichert haben, sollten sie den Einsatz von Availability Zones überlegen.«

Einige Institutionen und Unternehmen stellen ihre Systeme derzeit um, wie beispielsweise das österreichische Bundesheer mit dem Wechsel auf LibreOffice oder das Land Schleswig-Holstein im Norden Deutschlands. Grigull geht davon aus, »dass wir sogar noch mehr Migrationen von proprietärer Software zu offener Software und auch von proprietären Cloud-Diensten zu offenen und freien Cloud-Diensten sehen werden.« So setzt beispielsweise der Unternehmenskunde Commerz Real, der Asset-Manager der Commerzbank-Gruppe, auf die Cloud-Infrastruktur des europäischen Anbieters OVHcloud. »Neben der Nutzung von Cloud-Services der bekannten US-amerikanischen Anbieter wollen wir bei unserer Hybrid-Cloud-Strategie explizit einen europäischen Anbieter nutzen, um Datensouveränität und Made-in-EU sicherzustellen«, bekennt Nikolaus Schmidt, Global Head of Technology & Innovation bei Commerz Real.

Hybrid Cloud als Realität
Georg Chytil, Geschäftsführer von next layer, sieht ebenfalls in hybriden Architekturen den langfristigen Königsweg: »Der starke Trend, den Basisbetrieb von IT-Infrastruktur outzusourcen, hält unvermindert an.« Neben Kostengründen rücke das Thema Datenhoheit und Compliance zunehmend in den Mittelpunkt. »Unternehmen suchen lokale Partner, die Stabilität, Vertrauen und Zukunftsfähigkeit vereinen«, sagt Chytil. Die reine Cloud habe die Erwartungen an Planbarkeit und Kostenersparnis nur teilweise erfüllt. »Moderne Organisationen finden die Lösung zunehmend in einer Hybrid-Cloud, mit Anwendungen bei Hyperscalern, lokalen Cloudlösungen, Colocation und weiterhin auch Installationen vor Ort.«

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Bild: Georg Chytil, next layer: »Über Cloud-Connect-Services gibt es die Direktanbindungen auch zu allen gängigen Hyperscalern.«

Next layer betreibt Rechenzentren in Österreich und bietet von Standortvernetzung über Colocation bis zu Managed Kubernetes Clustern und Cloud Connect Services ein breites Portfolio. »Wir schützen die IT-Infrastruktur vor Cyberangriffen aus dem Internet auch bei hohen Bandbreitenangriffen – und bieten die Sicherung von Daten und ganzen Servern in die next layer Cloud. Die Daten liegen garantiert in Österreich.«

Breites Verständnis
Martina Sennebogen, Österreich-Vorstandsvorsitzende des großen internationalen IT-Dienstleisters Capgemini, betont die Bedeutung integrierter Lösungen. »Rechenzentren und smarte IT-Infrastruktur sind entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und den österreichischen Standort.« Entscheidend sei ein »durchgehendes Verständnis vom Rechenzentrum bis zum Applikationsbetrieb. Wer digitale Plattformen betreibt, muss auf Leistung, Datenhoheit und EU-Compliance achten – und die darauf laufenden Applikationen verstehen, um Kosten zu optimieren und den Betrieb effizient zu steuern«, sagt Sennebogen.

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Bild: Martina Sennebogen, Capgemini: »Verlässliche Partner wie A1 und Microsoft bieten modulare Services, lokale Datenhaltung und transparente Steuerung.«

Capgemini hat für ein Versicherungsunternehmen eine hybride Cloud-Infrastruktur mit souveränem Rechenzentrum aufgebaut – die enge Verzahnung von Infrastruktur und Betrieb hat die Kosten um über 20 % senken können. Ein anderes Projekt für einen Industriekunden setzte auf eine Edge-basierte Lösung mit lokaler Datenverarbeitung. »Trends wie AI-Betriebsführung, Edge Computing und Green IT prägen den Markt«, so Sennebogen, die lokalen Partnern, beispielsweise A1, aber auch Microsoft »modulare Services, lokale Datenhaltung und transparente Steuerung« attestiert.

Unabhängigkeit als Ziel
Auch die »T Cloud« von T-Systems und Deutsche Telekom versteht sich als Antwort auf den wachsenden Bedarf an europäischen Cloud-Lösungen. »Der US Cloud Act zeigt: Der Serverstandort ist irrelevant, solange der Anbieter dem US-Recht unterliegt«, heißt es in einem Unternehmensstatement. Digitale Unabhängigkeit lasse sich nur mit europäischen Anbietern erreichen, »die vollständig unter EU-Recht stehen«. Unternehmen behalten die volle Kontrolle über ihre Daten und können Workloads dort betreiben, wo es technisch, wirtschaftlich und rechtlich am sinnvollsten ist. (Ein Whitepaper der Open Telekom Cloud zeigt, welche Rolle souveräne Cloud-Lösungen bereits heute spielen: Link)

Die T Cloud vereint unterschiedlichste Cloud-Angebote aus dem Telekom-Konzern – von einer leistungsstarken Open-Telekom-Cloud (OTC) als Alternative zu den Großen aus den USA bis zu souveränen Umgebungen. Die OTC basiert auf OpenStack, vermeidet »Vendor Lock-ins« und bietet nach eigenen Angaben bis zu 30 Prozent Kosteneinsparung durch optimale Ressourcennutzung. Eine aktuelle Studie bestätigt die führende Stellung der Plattform, »die Souveränität, Sicherheit und Funktionsvielfalt vereint«. Damit sei man auch für den Trend zu KI gut aufgestellt, heißt es. »Public Clouds müssen ihre Angebote entsprechend ausrichten, um AI-Lösungen effizient zu unterstützen. Die Open Telekom Cloud hat die Zeichen der Zeit erkannt und sich auf diese Bedarfe eingestellt.« 

Doch gerade bei der Breite an Funktionalitäten haben viele europäische Anbieter gegenüber den Hyperscalern das Nachsehen. 1000 Features und mehr im Angebot bei AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud sind keine Seltenheit, sondern Standard. Sie werden auch in den nächsten Jahren mit einer Servicedichte auf ihren Plattformen punkten können, bei der Europa nur schwer mithalten kann.

 

Hintergrund: Drei zentrale Punkte bei der Wahl eines IT-Infrastruktur- oder Cloudanbieters

1. Datenhoheit und rechtliche Sicherheit
Unternehmen sollten prüfen, ob der Anbieter vollständig unter EU-Recht steht und die Daten ausschließlich in europäischen Rechenzentren verarbeitet werden. Nur so ist sichergestellt, dass sensible Informationen vor dem Zugriff durch Drittstaaten geschützt und alle Vorgaben der DSGVO erfüllt sind.

2. Interoperabilität
Wichtig ist, dass keine Abhängigkeit (»Vendor Lock-in«) zu einem einzelnen Anbieter entsteht. Offene Standards und Schnittstellen – etwa auf Basis von OpenStack oder Kubernetes – ermöglichen es, Workloads flexibel zwischen verschiedenen Clouds zu verschieben oder hybride Modelle zu betreiben.

3. Resilienz und Standortwahl
Unternehmen sollten auf Anbieter mit redundanten Rechenzentren, mehreren Verfügbarkeitszonen und klar definierten Sicherheitskonzepten achten. Eine geographisch nahe, europäische Infrastruktur sorgt nicht nur für niedrige Latenzzeiten, sondern auch für eine schnelle Wiederherstellung im Krisenfall.

 

KI – die Anwendung für IT-Infrastruktur

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Bild: Christian Winkelhofer, Managing Director Neue Technologien bei Accenture Österreich

»Fast jedes österreichische Unternehmen und nahezu jede heimische Organisation haben eine historisch gewachsene und stark fragmentierte IT- Applikationslandschaft. Sie sind geprägt von unterschiedlichen Programmen aus verschiedenen Generationen und deren hochkomplexem Zusammenspiel. Das Wissen über diese Systeme, deren einzelnen Komponenten und Funktionsweisen liegt oft bei einigen wenigen IT-Managern, die aufgrund der demographischen Entwicklung mitunter nicht mehr verfügbar sind. Diese Infrastrukturlandschaft ist eine hervorragendes Einsatzgebiet von GenAI. Agentensysteme können die alten Systeme lesen und verstehen. Sie schaffen erstmalig einen vollständigen Überblick. Das kann die Basis für etwas Neues sein oder auch eine Integration von Bestehendem und Neuen ermöglichen. Aktuell screenen wir besonders im öffentlichen Bereich und im Finanzsektor in vielen Projekten gewachsene IT-Systeme dahingehend. KI ist der Schlüssel, IT-Systeme zukunftsfit zu machen.«

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