Tuesday, November 11, 2025

Mehrwert für Manager

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Agentic Commerce verändert den Handel grundlegend – und ist möglicherweise ein Baustein für die Souveränität Europas –, ist Alexander Schmidberger, Innovation Architect & Business Development Manager bei Nagarro, überzeugt.

Foto: Emily Slond


Report: Was ist Agentic Commerce?

Alexander Schmidberger: Früher war das Ziel, bei Google möglichst weit oben in den Suchergebnissen zu stehen und die Website so zu optimieren, dass Kunden schnell finden, was sie suchen. Heute müssen wir, wenn wir Software-Lösungen für den Handel entwickeln, weiterdenken: Händler oder Anbieter, die Produkte oder Dienstleistungen vertreiben, müssen sich darauf einstellen, dass ihre Zielgruppe zunehmend nicht mehr selbst auf die Suche geht, sondern ihre digitalen Assistenten oder KI-Agenten damit beauftragt. Das bedeutet, dass der Dialog nicht mehr nur zwischen Mensch und Unternehmen stattfindet, sondern auch zwischen Agenten.

Wenn ein Kunde fragt: „Welches Fahrrad passt zu mir?“, dann fragt er das vielleicht nicht mehr im Geschäft oder auf einer Website, sondern direkt seinen digitalen Assistenten. Und dieser Agent sucht dann nach Informationen, Bewertungen, Preisen und Zertifikaten. Daher ist es für Händler wichtig, ihre Inhalte so bereitzustellen, dass sie auch von solchen Systemen verstanden werden.

Es reicht also nicht mehr, bloß ein Logo eines Gütesiegels auf der Homepage zu platzieren – man muss auch erklären, was dahintersteht, also etwa auf der FAQ-Seite anführen, dass man zertifiziert ist, weil genau nach solchen Dingen KI-Agenten suchen.

Report: Das geht also in Richtung einer Optimierung nicht nur für klassische Suchmaschinen, sondern auch für KI-Modelle, also eine Art SEO für LLMs?

Schmidberger: Die klassische Suchmaschinenoptimierung wird durch eine Optimierung für Large Language Models ergänzt. Die Kunden schicken in Zukunft ihre Agenten los, um Fragen zu klären, Produkte zu vergleichen oder Empfehlungen einzuholen. Deshalb muss man verstehen, wie diese Agenten die Suche durchführen, welche Datenquellen sie heranziehen und nach welchen Kriterien sie Informationen bewerten. Gleichzeitig kann es sinnvoll sein, selbst einen eigenen Agenten auf der eigenen Plattform zu haben. Zum einen, damit Kunden dort mit einer KI interagieren können, aber auch, um aus diesen Interaktionen zu lernen und damit Inhalte und Angebote verbessern zu können.

Report: Das heißt, es geht um mehr als nur Produktdaten – es spielt auch die Analyse von Kundeninteraktionen eine Rolle. Wie weit darf man da gehen?

Schmidberger: Natürlich kann man aus diesen Interaktionen viel lernen, aber man muss sehr sorgfältig damit umgehen. Kundendaten sind ein sensibles Thema. Ich wäre da grundsätzlich vorsichtig, weil Kunden heute ein sehr gutes Gespür dafür haben, wenn sie beobachtet werden – ganz abseits von gesetzlichen Regulatorien. Vertrauen ist die Basis jeder Kundenbeziehung, und dieses Vertrauen darf man nicht verspielen. Das bedeutet: Es geht weniger darum, jeden einzelnen Kunden zu durchleuchten, sondern vielmehr darum, allgemeine Muster zu erkennen. Zum Beispiel: Welche Fragen werden häufig gestellt? Welche Begriffe verwenden Kunden, wenn sie ein bestimmtes Produkt suchen?

Report: Vor einigen Jahren tauchte das Schlagwort Big Data bei neuen Lösungen für den Handel auf. Was unterscheidet heutige KI-Anwendungen davon?

Schmidberger: Big Data war in erster Linie rückblickend. Man hat große Datenmengen analysiert, um historische Muster zu erkennen. KI geht einen Schritt weiter: Sie erkennt nicht nur Zusammenhänge, sondern kann auf Basis dieser Zusammenhänge Zukunftsszenarien modellieren. Dadurch wird sie für Prognosen viel wertvoller. Wenn man zum Beispiel Geschäftsmodelle nach dem Prinzip „Everything as a Service“ denkt – also nicht mehr das Gerät verkauft, sondern die Nutzung oder das Ergebnis – dann braucht man komplexe Kalkulationsmodelle. Für ein Röntgengerät etwa berechnet man nicht mehr den Gerätepreis, sondern die Zahl der erstellten Aufnahmen.

Solche Preis- und Nutzungsmodelle lassen sich mit KI viel besser entwickeln, weil sie die Vielzahl an Einflussfaktoren wie Wartung, Nutzung und Zusatzleistungen miteinander in Beziehung setzen kann. Das war mit klassischen Datenmodellen nur begrenzt möglich.

Report: Sie sind überzeugt, dass Agentic Commerce auch ein Baustein für die digitale Souveränität in Europa werden kann. Aus welchen Gründen?

Schmidberger: Derzeit laufen die großen Sprachmodelle und Infrastrukturen überwiegend auf Plattformen aus den USA oder China. In Europa entsteht aber ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass wir eigene Lösungen brauchen, also eigene Rechenzentren, eigene Large Language Models und eigene Datennetze. Ich spüre da eine deutliche Veränderung seit Anfang des Jahres, als es einige politische und wirtschaftliche Vertrauensbrüche gab. Das hat die Diskussion stark beschleunigt. Wir sehen, dass große Handelskonzerne wie die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl gehört, gemeinsam mit SAP beginnen, eigene Rechenzentren aufzubauen und diese auch anderen Unternehmen anzubieten.

Die Nachfrage ist enorm. Wir sind derzeit nicht auf dem Level der Hyperscaler, was Skalierbarkeit oder Funktionsumfang betrifft, aber es ist Bewegung reingekommen. Europa hat einen Vorteil: Wir sind stärker reguliert, und das wird oft als Nachteil dargestellt. Ich sehe das anders – das schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist die Währung, auf der künftige digitale Ökosysteme aufbauen.

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