Freitag, Mai 10, 2024

Auf dem Weg in eine Anstellung müssen Menschen mit Behinderung viele Hürden überwinden. Unternehmen, die auf dieses Potenzial verzichten, haben künftig einen erheblichen Wettbewerbsnachteil, meint Gregor Demblin, Geschäftsführer von Career Moves und Disability Performance.

(+) plus: Die Arbeitslosenrate steigt und mit ihr auch der Anteil der als arbeitslos gemeldeten Menschen mit Behinderung. Wird es für diese Gruppe immer schwieriger auf dem Arbeitsmarkt?

Gregor Demblin: In konjunkturell schwierigen Zeiten steigt die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung immer stärker als die durchschnittliche Arbeitslosenrate. Dieser Effekt ist nicht neu. Zusätzlich wurde aber der Zugang zur Invaliditätspension erschwert. Vor allem ältere Arbeitnehmer werden jetzt über Reha-Maßnahmen im Arbeitsmarkt gehalten.

(+) plus: Über 90 % der Behinderungen sind nicht sichtbar. Diese Betroffenen wollen vermutlich nicht unter dem Status »behindert« einen Arbeitsplatz finden?

Demblin: Natürlich nicht. Wenn wir in die Unternehmen gehen, kommt sehr bald die Frage nach der Leistungsfähigkeit. Menschen mit Behinderung haben aber unterdurchschnittlich viele Krankenstände. Ein weiteres Thema sind bauliche Maßnahmen. Dabei denken alle an ebene Zugänge, was ja nur Rollstuhlfahrer betrifft, das sind 0,6 % der Behinderten. Jemand mit Bandscheibenproblemen, Blutzucker oder einer Nervenkrankheit hätte mit drei Stufen am Eingang überhaupt kein Problem. Auch auf der menschlichen Ebene gibt es viele Unsicherheiten: Was darf ich fragen? Wie wird das Team reagieren? Kann es zu Mobbing kommen? Dieser Kosmos aus unterschiedlichsten Ängsten führt dazu, dass die Bewerbung von Behinderten meist in den Mistkübel
wandert.

(+) plus:Wie sieht Ihre Überzeugungsarbeit aus?

Demblin: Wir sprechen diese Themen offen an, ohne dem Unternehmen gleich direkt einen Bewerber anzutragen. Das ist ein längerer Prozess und nicht mit einem Gespräch getan. Oft dauert es ein paar Monate, bis ein Unternehmen sich entschließt, es einmal mit einer Person zu probieren.

Das ist unser Erfolgskonzept: Entscheidungsträgern langsam beizubringen, dass ihre Ängste unbegründet sind. Gleichzeitig arbeiten wir mit Best-Practice-Beispielen und zeigen, wo es gut funktioniert. Wir streichen die Vorteile heraus: Menschen mit Behinderung sind besonders loyal und engagiert. Fluktuation ist ja für viele Unternehmen ein Problem – bei Menschen mit Behinderung kommt das viel seltener vor. Außerdem ist es ein sehr gutes Training für Führungskräfte. Muss ein Mitarbeiter mit Behinderung neu in ein Team eingegliedert werden, sind soziale Skills und Flexibilität gefordert.

(+) plus: Am 1. Jänner 2016 endeten die Übergangsbestimmungen, alle Gebäude und Verkehrsmittel müssen nun barrierefrei sein. Wie weit ist das inzwischen tatsächlich geschehen?

Demblin: Davon ist man leider weit entfernt. Die lange Übergangsfrist war nicht förderlich, weil die meisten Unternehmen erst kurz vor Ablauf begonnen haben, überhaupt darüber nachzudenken. Zumindest acht Jahre sind leider völlig ungenutzt verstrichen. Wir stehen jetzt dort, wo wir vor zehn Jahren auch schon starten hätten können. Es gibt Schätzungen, dass nur etwa 10 % der Gebäude barrierefrei sind.

Das Gesetz betrifft aber nicht nur Gebäude, sondern ist viel weiter gefasst, wenn auch sehr schwammig formuliert. Interessant wird es beispielsweise bei Reiseangeboten, die man im Supermarkt buchen kann. Wer ist da für Barrierefreiheit verantwortlich? Sobald die ersten Fälle vor Gericht kommen, wird darüber entschieden werden müssen.

(+) plus: Sie bieten einen Disability-Performance-Check an. Wie läuft das konkret ab?

Demblin: Wir sind weltweit die Ersten, die professionelles Unternehmensberatungs-Know-how mit Disability matchen. Gemeinsam mit weltweit führenden Beratungsunternehmen haben wir ein Tool entwickelt, mit dem wir die wirtschaftlichen Prozesse sehr genau analysieren können. Damit sind wir ganz nah am Thema Zumutbarkeit: Wenn eine Investition 100.000 Euro kos­tet, ich mir aber in den nächsten fünf Jahren drei Millionen Euro erspare, kann ich wirklich kalkulieren, ob sich die Kosten rechnen.

Wir setzen oben beim Management an und entwerfen einen Maßnahmenkatalog, den Unternehmen brauchen, um Disability gut zu managen. Zumindest über die Mitarbeiterschiene ist jedes Unternehmen betroffen. Für die Unternehmen lohnt es sich, diese Menschen optimal zu unterstützen.

(+) plus: Sehen die Firmen das unter dem Titel »soziales Engagement«?

Demblin: Die Unternehmen, die wir beraten, definitiv nicht. Sie verstehen es als Prozess, mit dem sie sich für die Zukunft fit machen. Das ist eine Zielgruppe wie jede andere, und sie wächst. Als ich vor 15 Jahren anfing, hörte ich oft den Satz: »Danke, sehr interessant, aber wir spenden zu Weihnachten eh an Licht ins Dunkel.« Aus dieser Ecke wollte ich mit aller Kraft heraus.

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