Saturday, June 28, 2025

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Mit kompakten Kernkraftwerken will das US-Start-up Radiant eine neue Ära der Energieversorgung einläuten – dezentral, mobil und CO2-arm.

Bald eine Alternative für das Energieangebot in Infrastrukturen: Mikro­nuklearreaktoren.


Ein Reaktor, kleiner als ein Schiffscontainer, aber mit dem Potenzial, ganze Siedlungen, Militäreinrichtungen oder Katastrophengebiete mit Strom zu versorgen: Was noch vor wenigen Jahren als ferne Vision galt, nimmt nun konkrete Formen an. Das US-amerikanische Start-up Radiant entwickelt mit »Kaleidos« einen Mikronuklearreaktor, der die Art und Weise, wie Energie in abgelegenen oder kritischen Infrastrukturen erzeugt wird, grundlegend verändern könnte. Und das nicht in ferner Zukunft, sondern schon bald: Bereits 2026 soll ein Prototyp am Idaho National Laboratory getestet werden. Zwei Jahre später, 2028, ist die erste Auslieferung an Kunden geplant.

Radiant hat sich in kürzester Zeit zum Vorreiter einer Bewegung entwickelt, die nicht weniger als eine Renaissance der Kernenergie verspricht. Mit einer jüngst abgeschlossenen ­Series-C-Finanzierungsrunde in Höhe von 165 Millionen Dollar, angeführt von prominenten Venture-Capital-Firmen wie Andreessen Horowitz und Chevron Technology Ventures, ist das Unternehmen nun mit insgesamt 225 Millionen Dollar ausgestattet, um den Markteintritt seines Mikroreaktors vorzubereiten.

Hightech im Kleinformat
Technologisch verfolgt Radiant einen ungewöhnlichen Ansatz. Statt auf Wasser als Kühlmittel zu setzen, nutzt Kaleidos Heliumgas. Diese gasgekühlte Architektur bringt einige Vorteile mit sich: Sie erlaubt eine passive Kühlung ohne bewegliche Teile, benötigt kein aufwendiges Wassermanagement und ist damit unabhängig von klimatischen Bedingungen oder Infrastruktur. Die gesamte Reaktoreinheit ist in einem transportierbaren Modul integriert, inklusive Stromumwandlung und Strahlenschutz.

Befeuert wird der Reaktor mit HALEU, einem fortschrittlichen, leicht angereicherten Uranbrennstoff, der eine höhere Energiedichte als konventionelles Kernmaterial aufweist. Die US-Regierung unterstützt das Vorhaben aktiv, indem sie Radiant den Zugang zu diesem strategischen Brennstoff gewährt hat – ein politisches Signal ersten Ranges.

Wer braucht Mikroreaktoren?
Der eigentliche Clou liegt jedoch nicht nur in der Technik, sondern im Anwendungsfall. Kaleidos ist für Orte gedacht, an denen Dieselgeneratoren bislang alternativlos waren: in der Arktis ebenso wie in Krisengebieten, auf Bohrinseln, abgelegenen Forschungscamps oder temporären Baustellen. Aber auch militärische Einsätze spielen eine Rolle. Radiant zielt damit auf einen Markt, der bislang wenig elektrifiziert ist, aber einen hohen Energiebedarf bei gleichzeitiger Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hat.

Angesichts der zunehmenden Instabilität globaler Lieferketten, des Klimawandels und wachsender Sicherheitsbedenken geraten resiliente, dezentrale Energielösungen immer stärker in den Fokus. Mikroreaktoren wie Kaleidos könnten hier eine Lücke schließen – leise, sauber und autonom.

Kein Monopol auf Minireaktoren
Doch Radiant ist keineswegs allein auf weiter Flur. Weltweit arbeiten Start-ups und Forschungseinrichtungen an ähnlichen Konzepten. In den USA etwa tritt das Unternehmen Oklo mit dem Mikroreaktor »Aurora« auf den Plan. Auch dieser soll 1,5 Megawatt leisten und basiert auf einem flüssigmetallgekühlten Design, das über zehn Jahre ohne Brennstoffwechsel auskommen soll. Allerdings hängt das Projekt regulatorisch derzeit fest, nachdem die Genehmigung 2022 vorerst nicht erteilt wurde. Deutlich weiter ist Ultra Safe Nuclear, ein Unternehmen mit Wurzeln in den USA und Kanada. Deren Mikroreaktor basiert auf ­TRISO-Brennstoff, der als besonders sicher gilt, da jeder Brennstoffpartikel von einer keramischen Schicht ummantelt ist. Der Reaktor kommt ohne aktives Kühlsystem aus und ist für den stationären Betrieb in Industrieanlagen, Forschungscamps oder Universitäten ausgelegt. Der erste Einsatz ist für 2026 in Kanada geplant.

Größer dimensioniert sind die Projekte von NuScale Power und Seaborg Technologies. Während NuScale mit seinen 77-Megawatt-SMRs klassische Stromnetze versorgen will, verfolgt das dänische Unternehmen Seaborg einen maritimen Ansatz: schwimmende Reaktoren auf modularen Plattformen, die in Südostasien zum Einsatz kommen sollen. Noch ein Kaliber größer ist der Rolls-Royce-SMR aus Großbritannien mit 470 Megawatt – modular gebaut, aber klar für den Einsatz im Netzbetrieb gedacht.

Wettbewerb der Konzepte
Was alle Projekte eint, ist der Drang zur Miniaturisierung und Serienfertigung. Kleine, modulare Reaktoren sollen das Image der Kernkraft erneuern: weg vom Gigantismus alter Kraftwerke, hin zu flexiblen, skalierbaren und sichereren Einheiten. Radiant hat mit seinem Fokus auf Mobilität, Schnelligkeit und robuste Umgebungen eine Marktnische gefunden, die bislang kaum bedient wurde. Andere setzen eher auf Langzeitbetrieb, stationäre Effizienz oder maritime Anwendungen. Das regulatorische Umfeld ist dabei oft die Hürde. Die Zulassungsverfahren für neue Reaktortypen sind langwierig und teuer. In den USA entstehen derzeit erste Sonderzonen für die Erprobung neuer Reaktoren, in Europa ist man da noch deutlich zaghafter. Auch die Brennstofffrage ist ungelöst: HALEU wird bislang vor allem in Russland produziert. Die USA und die EU investieren nun verstärkt in eigene Produktionskapazitäten, doch der Aufbau dauert Jahre.

Mikroreaktoren für Europa?
Was bedeutet das alles für den europäischen Markt? In Österreich ist die Nutzung von Kernenergie durch Bundesverfassungsgesetz ausgeschlossen. Ein
Einsatz von Mikroreaktoren im Inland ist daher in absehbarer Zeit unrealistisch. Dennoch ist die Thematik hochrelevant. Österreichische Unternehmen könnten als Zulieferer für Sicherheitskomponenten, Steuerungssysteme oder Hightech-Materialien Teil der globalen Wertschöpfungsketten werden. Auch für Baustellen oder Infrastruktureinsätze im Ausland könnten Mikroreaktoren eine Rolle spielen – insbesondere im Kontext internationaler Kooperationen. Die europäische Diskussion über kleine Reaktoren gewinnt unterdessen an Fahrt. Polen, Rumänien und die Tschechische Republik interessieren sich für SMRs, um den Ausstieg aus der Kohle zu beschleunigen. Frankreich und UK investieren in die Entwicklung eigener Reaktormodelle. Auch die EU-Kommission fördert Forschung im Bereich neuer Nukleartechnologien, wenngleich unter strenger Aufsicht.

Neue Energiewirtschaft in Sicht
Das Potenzial der Mikroreaktoren liegt nicht in der Massenversorgung, sondern in der gezielten Energielückenfülle: Sie könnten Rechenzentren, Spitäler, militärische Einrichtungen oder Wasserstoffproduktionen netzunabhängig mit Strom versorgen. In einer Zeit, in der extreme Wetter­ereignisse und geopolitische Krisen die Verletzlichkeit klassischer Stromnetze offenlegen, ist die Idee der Insellösung plötzlich wieder en vogue – mit deutlich mehr Watt.
Radiant und Co. versprechen nicht weniger als eine neue Form der Energiewirtschaft: dezentral, flexibel, strategisch. Wer in diese Richtung denkt, muss Technik, Logistik und politische Regulierung beachten. Der Container mit dem Kernreaktor darin könnte bald genauso zur Grundausstattung gehören wie die Notstrombatterie – nur mit einem Horizont von Jahrzehnten statt Stunden.

Noch ist vieles im Versuchsstadium. Doch die Zeichen stehen auf Neubeginn. Die Atomkraft kommt zurück. Aber nicht mit Röhrenfernseher-Charme, sondern im 21.-Jahrhundert-Format: kompakt, leise, intelligent. Und vielleicht bald auch europäisch.

 

Überblick: Anbieter von Mikroreaktoren

Oklo, USA

Technologie: Flüssigmetallgekühlter Mikroreaktor (»Aurora«) mit 1,5 MW Leistung.
Brennstoff: HALEU.
Designziel: 10 Jahre Betrieb ohne Nachladen des Brennstoffs.
Besonderheit: Extrem langlebig, ohne bewegliche Teile. Geplant für autonome Energieversorgung von Industriebetrieben.
Status: Prototyp beantragt, Genehmigungsprozess stockte 2022, Neuansetzung läuft.
Vergleich zu Radiant: Höhere Laufzeit, komplexere Technologie, regulatorisch bisher schwieriger durchsetzbar.


Ultra Safe Nuclear Corporation, USA/Kanada

Technologie: Feststoffmoderierter Mikroreaktor (»MMR«) mit TRISO-Brennstoff.
Leistung: 5 MW thermisch/1,5 MW elektrisch.
Einsatzgebiet: Universitäten, Bergbaustandorte, abgelegene Regionen.
Sicherheitskonzept: Verzicht auf aktives Kühlsystem, TRISO-Brennstoff gilt als »unknackbar«.
Status: Bau des ersten Reaktors am kanadischen Chalk River Standort für 2026 geplant.
Vergleich zu Radiant: Größere thermische Leistung, stärker auf stationären Betrieb fokussiert.


NuScale Power, USA

Technologie: SMR mit 77 MW – kein Mikro-, sondern ein kompakter Kleinreaktor.
Zielgruppe: Energieversorger, Netzeinspeisung.
Status: Erste Genehmigungen erteilt, Projekte in Rumänien und den USA geplant.
Vergleich zu Radiant: Größere Dimension, netzgebunden, kein Transportformat. Trotzdem prägend für Akzeptanz kleinerer Reaktortypen.


Seaborg Technologies, Dänemark

Technologie: Flüssigsalzreaktor (Compact Molten Salt Reactor, CMSR).
Leistung: 100 MW (größer als Mikroreaktoren).
Besonderheit: Geplant als schwimmendes Kraftwerk auf Binnenschiffen oder Küstenschiffen.
Status: Erste Einsätze ab 2028 angestrebt, Fokus auf Südostasien.
Vergleich: Ambitioniert und skalierbar, jedoch technologisch komplexer und in größerer Leistungsklasse.


Rolls-Royce SMR, UK

Technologie: 470 MW SMR, modulare Produktion.
Zielmarkt: Erneuerung nationaler Stromnetze in Europa.
Vergleich zu Radiant: Nicht mobil, aber ähnlich im Konzept der Serienfertigung und Modularität.

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