Thursday, July 03, 2025

Mehrwert für Manager

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Zwischen Hype und Realität: Warum KI-Tools in der DACH-Region zwar versprechen, Zeit zu sparen, aber nicht automatisch zu weniger Arbeit führen.


In der öffentlichen Diskussion rund um künstliche Intelligenz dominiert derzeit ein optimistisches Narrativ: KI soll monotone Aufgaben übernehmen, die Produktivität steigern und Mitarbeiter*innen mehr Freiraum für kreative und innovative Tätigkeiten geben. Doch neue Studien zeigen ein differenzierteres Bild. Während einige Unternehmen deutliche Effizienzsprünge mit der Technologie verzeichnen, berichten viele Angestellte: KI spart Zeit – aber schafft auch neue Arbeit.

Eine Untersuchung von Forschern der Universität Chicago und der Universität Kopenhagen ergab, dass Büroangestellte durch den Einsatz von generativer KI wie ChatGPT oder Microsoft Copilot im Schnitt nur etwa 2,8 % Arbeitszeit einsparen. Überraschender noch: Die Einsparung führte zu neuen Aufgaben, längeren Arbeitszeiten oder generell höheren Erwartungen an die Arbeitsleistung.

Auch in der Region DACH zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die Plattform Industrie 4.0 stellte in einem »Technologieszenario« fest, dass KI in deutschen Industrieunternehmen zwar zunehmend eingesetzt wird – der tatsächliche Produktivitätsgewinn aber bislang bei lediglich 3 bis 5 % liegt. Was der Studie zufolge den Fortschritt bremst, sind vor allem lückenhafte Integration, mangelnde Qualifizierung – und eine Unternehmenskultur, die dem Wandel noch zögerlich begegnet.

Wenn KI richtig eingesetzt wird
Dass es auch anders gehen kann, zeigen Beispiele aus Unternehmen, die KI strategisch und umfassend einsetzen. Einem Anfang des Jahres veröffentlichten Bericht des Softwareanbieters Workday zufolge, erzielen über 80 % der befragten DACH-Unternehmen durch KI schnellere Entscheidungsprozesse und spürbare Effizienzgewinne im HR- und Finanzbereich.

Claire Hickie, Chief Technology Officer bei Workday, setzt selbst auf eine KI‑gestützte Reportinglösung ihres Unternehmens: »Früher hatten wir sechs Tools für Reporting, heute nur noch eins – und das lernt mit. Klar, die Einführung war kein Spaziergang, aber jetzt sparen wir wirklich Zeit und haben bessere Daten.« 

Jerry Ting, Gründer und CEO von Evisort, einem Software­spezialisten für Vertragsmanagement der im Vorjahr von Workday gekauft wurde, ergänzt: »KI ersetzt keine Menschen, aber sie entlastet sie. Es geht darum, repetitive Aufgaben an Agents abzugeben, damit Mitarbeitende sich wieder auf strategische Entscheidungen konzentrieren können.« Er betont zudem den Anspruch: »Wir testen unsere Modelle so lange, bis sie mehr als 95 % Genauigkeit erreichen – bevor sie live gehen.«

Auch Microsoft testete im deutschsprachigen Raum seinen »Copilot« für die Office-Software »Microsoft 365« in ausgewählten Unternehmen. Erste Ergebnisse zeigen eine Zeitersparnis von bis zu 40 Minuten täglich – bei gleichzeitiger Steigerung der Zufriedenheit und Kreativität, sofern Schulung und Change Management mitgedacht wurden. Eine aktuelle PwC-Studie zur KI-Adoptionsrate in Unternehmen nennt sogar bis zu 15 % Effizienzsteigerung, insbesondere in datenintensiven Bereichen wie Controlling, Reporting oder Compliance.

Ein weiterer wichtiger Player im neuen Feld der Unterstützung von Geschäftsprozessen durch KI ist SAP. Mit seinem KI-Copiloten »Joule« und einer unternehmensweiten Business-AI-Strategie integriert SAP KI direkt in zentrale Anwendungen wie SuccessFactors und S/4HANA. Das Ziel: Routineprozesse automatisieren, Entscheidungsqualität steigern, Personal- und Finanzdaten intelligenter verknüpfen. Erste Ergebnisse zeigen, dass SAP-Kunden bis zu 30 % weniger Zeit für administrative Aufgaben benötigen und HR-Prozesse wie Recruiting um bis zu 90 % beschleunigt werden können. In der Finanzabwicklung lassen sich Fehlerquoten signifikant reduzieren – und laut CEO Christian Klein rechnet SAP bis 2027 mit KI-bedingten Effizienzgewinnen von über 500 Millionen Euro konzernweit.

Skills statt Zeugnisse
Parallel zum Effizienzthema entsteht ein neuer Trend: kompetenzbasierte Talentstrategien, die gezielt auf KI setzen. Laut einer Workday-Studie sehen 54 % der Führungskräfte in der Region den Fachkräftemangel als eines der größten Risiken – und reagieren. »Was wir in der Schweiz und in Österreich sehen, ist mehr als nur Technikeinsatz – es ist ein Kulturwandel. Organisationen denken nicht nur über Tools nach, sondern über die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden, damit umzugehen«, sagt Gregory Strasser, Regional Director Alps bei Workday. In Zahlen heißt das:

- In der Schweiz setzen 90 % der Führungskräfte digitale Skills wie Software- und KI-Kenntnisse ganz oben auf die Agenda.

- In Österreich rekrutieren 89 % bereits auf Basis validierter Kompetenzprofile – ein Spitzenwert in der DACH-Region.

- 60 % der Schweizer Unternehmen nutzen KI gezielt zum Upskilling, 47 % zur Karriereentwicklung.

»Es geht nicht mehr nur um Zeitersparnis. Führungskräfte in den Unternehmen fragen sich: Wie mache ich meine Belegschaft fit für die Zukunft? Und KI hilft genau dabei«, betont Frédéric Alran, Vice President Österreich und Schweiz bei Workday.

Warum die Diskrepanz?
Die unterschiedlichen Effekte durch den Einsatz von KI lassen sich vor allem auf drei zentrale Faktoren zurückführen: Zum einen unterscheiden sich Unternehmen stark im Reifegrad der KI-Implementierung. Während große Konzerne meist strategisch in KI investieren und diese in bestehende Prozesse integrieren, setzen viele kleine und mittelständische Unternehmen KI nur punktuell ein – häufig ohne klare Zielvorgaben oder begleitende Schulungsmaßnahmen. »Unser Problem ist nicht, ob KI hilft – sondern ob wir sie gut genug einbetten. Sonst sparen wir am Anfang Zeit und verlieren sie wieder am Ende«, ist auch Evisort-CEO Ting überzeugt. Zum anderen führt die durch KI eingesparte Zeit nicht automatisch zu Entlastung, sondern schafft oft neue Aufgaben, etwa im Bereich der Qualitätskontrolle, Nachbearbeitung oder des sogenannten Prompt Engineering. Hinzu kommt, dass in vielen Organisationen klare Prozesse und Governance-Strukturen fehlen, sodass KI nicht als integratives Werkzeug, sondern eher als zusätzliches Tool verwendet wird – was den versprochenen Produktivitätsschub deutlich abschwächt.

KI ist (noch) kein Selbstläufer
Gerade in der DACH-Region, mit ihrem stark regulierten Arbeitsmarkt und hohen Ansprüchen an Qualität, Transparenz und Sicherheit, wird KI nicht so leicht zum »Zeitsparwunder«. Die aktuellen Daten zeigen: Künstliche Intelligenz kann Büroarbeit effizienter machen – tut es aber nicht automatisch. Statt einer Entlastung spüren viele Beschäftigte eine Verschiebung der Arbeitslast. Gleichzeitig gibt es Firmen, die zeigen, dass KI durchaus zum Hebel für Innovation, Kreativität und tatsächliche Zeitgewinne werden kann. Die Frage ist nicht mehr, ob KI kommt – sondern, wie sie eingeführt wird. Für Unternehmen bedeutet das: Nicht dem Hype folgen, sondern realistisch planen, intelligent integrieren – und die Menschen dabei mitnehmen.


In der Praxis
Der Einsatz von KI schürt Erwartungen in Unternehmen, die oftmals nur zum Teil oder überhaupt nicht erfüllt werden. Diese Diskrepanz lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen:

Unterschiedlicher Reifegrad
Während Großunternehmen bereits strategisch in KI investieren, setzen viele KMU sie nur punktuell ein  – oft ohne klare Ziele oder Schulung.

Neue Aufgaben statt Entlastung
Freigewordene Zeit wird kaum in Freizeit umgewandelt. Vielmehr werden Korrekturaufgaben und Prompt Engineering verstärkt.

Fehlende Prozesse
Ohne klare Governance und Rollenverteilung bleibt KI oft ein Zusatztool, statt echte Entlastung zu bringen.

 

Expertenkommentar: Verständlich, beherrschbar und erlebbar

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Theresa Sporn ist Geschäftsführerin von scitus. Das Unternehmen ist auf Prozessoptimierung und die pragmatische Anwendung von KI spezialisiert.

»Viele verbinden den Einsatz von künstlicher Intelligenz oft mit großen, komplexen Projekten. Dabei liegt der größte Nutzen oft in den kleinen, gezielten Anwendungen, die direkt den Arbeitsalltag verbessern. KI muss kein Mammutprojekt sein. Besonders im Mittelstand geht es darum, repetitive Aufgaben zu automatisieren, Fehlerquellen zu minimieren und Teams spürbar zu entlasten – ohne den laufenden Betrieb zu stören.

Der entscheidende Faktor ist nicht das technologische Potenzial, sondern der wirtschaftliche Nutzen. Unternehmen profitieren dort am meisten, wo Prozesse unnötig Zeit, Ressourcen und Nerven kosten. Ob es sich um die Bearbeitung von Kundenanfragen, die Automatisierung von internen Freigaben oder die Aufbereitung von Reports handelt – KI kann hier mit überschaubarem Aufwand spürbare Effizienzgewinne bringen.

Dabei müssen kleinere Unternehmen nicht selbst zu KI-Entwicklern werden. Die meisten erfolgreichen Anwendungen entstehen heute durch die geschickte Integration von bestehenden KI-Technologien via API oder Schnittstelle – angepasst auf den eigenen Bedarf. Beispielsweise kann ein Handwerksbetrieb über eine Textgenerierungs-API die Angebotserstellung automatisieren, ein IT-Systemhaus seine Wissensdatenbank mit KI-gestützter Suche effizienter nutzbar machen oder ein Versicherungsmakler per KI-Analyse die Priorisierung von Kundenanfragen automatisieren.

Wichtig dabei: Es geht nicht um »KI um der KI willen«. Der Einsatz sollte immer zielgerichtet sein – angepasst an die realen Bedürfnisse des Unternehmens. Die besten Ergebnisse erzielen Unternehmen, wenn sie pragmatisch vorgehen: Prozesse analysieren, Engpässe identifizieren und dort gezielt optimieren, wo der Hebel am größten ist. Künstliche Intelligenz ist dann nicht das Ziel, sondern das Werkzeug. Erfolgreiche KI-Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie für die Mitarbeitenden verständlich, beherrschbar und im Alltag erlebbar sind. Nur so entsteht Akzeptanz – und nur so wird aus Technik echter Mehrwert. Aus unserer Erfahrung braucht es dafür keine riesigen Budgets, sondern präzises Hinschauen und lösungsorientiertes Handeln.«

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