Montag, Mai 20, 2024

Gernot Grömer ist Obmann des Österreichischen Weltraum Forums, kurz ÖWF. Mit dem Report spricht er über den Wirtschaftsfaktor Weltraum, den Nutzen aus Forschung und Technologieentwicklung und von einer neuen Ära für die Menschheit.

Report: Herr Grömer, warum sollten sich die Menschen für den Weltraum begeistern? Welchen Auftrag hat das ÖWF?

Gernot Grömer: Das Österreichische Weltraum Forum beschäftigt sich auf der Ebene der Grundlagenforschung mit der Entdeckung des Weltraums und speziell der Exploration des Mars. Uns geht es dabei um die bemannte Raumfahrt, um die Unterstützung der Raumfahrer durch technische Hilfsmittel. Der ÖWF wird als Verein von Expertinnen und Experten geführt, die selbst aus der Weltraumforschung und von Raumfahrtagenturen kommen. Wir bezeichnen uns als »Citizen Science«-Einrichtung.

Warum die Faszination Weltraum? Wir befinden uns an einer Schnittstelle zwischen Hightech und dem Bestreben des Menschen nach neuen Horizonten. Es ist ein Bereich, der sich selbst unglaublich rasant verändert. Nach den Standards unserer Großeltern leben wir ja bereits in einer Science-Fiction-Welt. Vor 20 Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, Raumsonden auf einem Kometen abzusetzen – nach einem Jahrzehnt Reisezeit. Die Zeit heute wird als jene Ära in Erinnerung bleiben, in der die Menschheit zu neuen Welten aufgebrochen ist.

Report: Welchen Wirtschaftsfaktor hat der Weltraum für die heimische Wirtschaft? Lässt sich das beziffern?

Grömer:
Durchaus, im gesamten österreichischen Weltraumsektor sind insgesamt 1.000 Menschen beschäftigt, wobei die Zulieferindustrie hier nicht mitgerechnet ist. Die heimischen Projekte sind stark applikationsorientiert – Schwerpunkte sind etwa Navigationssysteme oder Erdbeobachtung für Wetterdienste und Förderkontrollen in der Landwirtschaft. Es ist ein kleiner, feiner Wirtschaftszweig mit rund knapp 100 Millionen Euro Volumen. Das klingt nicht nach viel. Doch ist dieser Bereich für viele Anwendungen verantwortlich, die uns im Alltag unterstützen. Dies betrifft auch neue Materialien und Techniken, die in der Raumfahrt unter sehr harten Umweltbedingungen ihre Anwendung gefunden haben und heute auch auf der Erde eingesetzt werden. Diese Abfallprodukte der Raumfahrt – wenn man es so nennen will – haben ganze Wirtschaftszweige stimuliert. Denken Sie nur an Mikroprozessoren, Kommunikationssatelliten, neuartige Werkstoffe oder Photovoltaik. Wir alle verwenden im Laufe eines normalen Arbeitstages, meist ohne es zu wissen, gut ein Dutzend dieser Technologien. Das betrifft zum Beispiel auch GPS-gesteuerte Uhren an Bankomatkassen. Wir würden sofort merken, wenn unsere Weltrauminfrastruktur für nur eine Minute abgeschaltet wird. Kein Bankomat würde mehr funktionieren, und tanken könnten Sie auch nicht mehr.

Der Weltraumsektor ist bereits ein fixer Bestandteil unserer Infrastruktur geworden und macht einen großen Wirtschaftsfaktor aus. Raumstationen, Astronauten und Mars­expeditionen sind in der Öffentlichkeit wesentlich sichtbarer, bilden aber von ihrem Wirtschaftsfaktor her einen kleineren Teil der Gesamtmenge.

Report: Zu Ihren Aufgaben zählen Sie auch die Wissensvermittlung und Übersetzung all dieser Themen für die Öffentlichkeit. Wie begeistert sind dazu die Österreicher überhaupt?

Grömer:
Ich glaube, dass wir diesen Kommunikationsauftrag bis jetzt nicht gut genug erfüllt haben. Wir müssen den Nutzen der Weltraumforschung für jeden Einzelnen kommunizieren. Zwar sehen wir eine grundlegende, oft unterschwellige Begeisterung bei Jungen ebenso wie bei Menschen im Berufsleben, die oft eine nüchterne Sicht auf viele Dinge bekommen haben. Frau und Herr Österreicher geben pro Jahr aber lediglich das Äquivalent eines Big-Mac-Menüs, mit einem Cola dazu, für das heimische Weltraumprogramm aus. Ein anderer Vergleich: Das Weltraumbudget der Bundesregierung entspricht den Kosten von zirka 50 bis 70 Metern Autobahnbau. Dabei reden wir hier von bahnbrechenden Projekten, die enorme Wirtschaftseffekte erzielen, wie die Ariane-Trägerraketen oder das europäische Navigationssatellitennetz Galileo.

Allein durch eine eine bessere Unterstützung der österreichischen Weltraumaktivitäten durch die öffentliche Hand – es geht hier gar nicht um mehr Geld – könnten wir in Europa eine noch viel größere Rolle spielen. So könnte etwa eine klassische Raumfahrtagentur in Österreich unsere Arbeit effizient bündeln und vermarkten. Deutschland macht dies seit Jahrzehnten erfolgreich vor.

Viele Menschen haben die erste Mondlandung nicht mehr live gesehen oder waren 1969 noch zu jung, um dies bewusst mitzuerleben. Derartige geschichtliche Ereignisse, wie es auch die Polarexpeditionen waren, oder die Lewis-und-Clark-Expedition in den Westen der USA, sind ein Paukenschlag für eine ganze Generation. Von den nachfolgenden Generationen werden diese  Reisen dann wiederholt – mit einem Unterschied: Die Menschen treten nicht mehr als Besucher, sondern als Siedler auf.

Wir sind jetzt in einer Phase, in der konkret Pläne für die Besiedelung erster Himmelskörper außerhalb der Erde entstehen. Nicht nur auf europäischer, sondern vor allem auf chinesischer und indischer Seite gibt es Bestrebungen, eines Tages eine Basis auf dem Mond hochzuziehen. Der nächste Schritt wäre dann eine bemannte Marsexpedition in rund 20 bis 30 Jahren.

Report: Der Mars ist nicht gerade für seine freundliche Landschaft bekannt. Warum also den Mars besiedeln? Gibt es nicht auf der Erde dringlichere Aufgaben?

Grömer:
Das ist natürlich ein berechtigtes Argument, doch werden dabei Äpfel mit Birnen verglichen. Wir werden die Probleme auf der Erde auch nicht deswegen lösen, weil wir nicht zum Mars fliegen. Die großen Budgets und Lenkungseffekte dieser Welt betreffen völlig andere Bereiche als die Raumfahrt.
Der Mars hat aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht mehrere spannende Aspekte vorzuweisen. Zum einen ist es der Planet in unserem Sonnensystem, der unserer Erde am ähnlichsten ist. Damit bietet er die beste Chance für die Entwicklung alternativen Lebens. Wir wissen heute, dass es auf dem Mars Umweltbedingungen in seiner Geschichte gab, die prinzipiell das Entstehen von Leben ermöglicht hätten. Ob es eine zweite Genesis gegeben hat, wissen wir aber noch nicht. Dies ist eine uralte kulturelle Frage, die die Menschheit seit vielen Jahrhunderten beschäftigt. Um dies herauszufinden, wollen wir hinfliegen.

Zum anderen bieten Projekte der Marsforschung Plattformen für eine neutrale technologische Zusammenarbeit zwischen Staaten, welche anderswo möglicherweise sogar als Agressoren auftreten. Ich denke an das Apollo-Sojus-Projekt im Kalten Krieg, ein erstes Andocken von Raumsonden des West- und des Ostblocks. Und schließlich wird für Raumflüge zum Mars bereits heute in den unterschiedlichsten Bereichen intensiv geforscht und entwickelt: 3D-Druck-Technologien, Kommunikationslösungen, Recyclingtechnologien für die Ressource Wasser. Mit all diesen Dingen können in den kommenden Jahre ganze Wirtschaftszweige gebildet und beflügelt werden. Wir hätten all diese Entwicklungen nicht, wenn wir nicht die Herausforderung hätten, an der Grenze des technisch Machbaren eine neue Welt zu erkunden.

Heute wird Sie niemand fragen, wo der Sinn darin besteht, in die USA zu reisen. Christoph Kolumbus war noch mit dieser Sinnfrage konfrontiert. Das Resultat? Amerika ist ein integraler Teil unser Welt und unserer Wirtschaft geworden. Seitdem wir die Bäume in Afrika verlassen haben, ist dies mit der Besiedlung jedes neuen Lebensraumes passiert. Mit der internationalen Raumstation ISS ist nun auch ein Schritt im Weltraum gesetzt. Unsere Kinder und Kindeskinder werden vielleicht in einer Welt aufwachsen, in der permanent ein kleiner heller Punkt auf dem Mond zu sehen sein wird. Auf diesem Außenposten werden Menschen leben, ähnlich wie in den Antarktisstationen heute. Es wird völlig normal sein. Noch vor 100 Jahren hätte man auch eine ständige Basis am Südpol für unmöglich gehalten.

Report: Sie bereiten gerade eine Marssimulation in den Tiroler Bergen vor. Worum geht es dabei?

Grömer:
Technologien, die zu Apollozeiten für Raumfahrtanzüge zu Verfügung standen, werden nicht ausreichen, um auf dem Mars arbeiten zu können. Auch ist bei einer Lichtlaufzeit von bis zu 20 Minuten zwischen Erde und Mars eine direkte Kommunikation zum Menschen und auch zu Geräten nicht sinnvoll. Ein Astronaut wird bei einem Materialbruch nicht 200 Tage warten können, bis ein Ersatzteil geliefert wird. Wir müssen also einen Anzug designen, der im Verbund mit robotischen und automatisierten Komponenten vieles selbstständig durchführen kann, was früher das Kontrollzentrum in Houston übernommen hätte.

Bei der Marssimulationsexpedition im August am Kaunertaler Gletscher werden wir auf 3.000 Metern den weltweit höchstgelegenen Feldtest in der sogenannten Mars-Analogforschung durchführen. Derzeit entwickeln wir Simulatoren, welche die Einschränkungen eines Raumanzuges auf dem Mars annähernd wiedergeben. Man wird zwar die Unterschiede in der Schwerkraft nicht darstellen können, doch finden wir auch auf der Erde Terrains mit ähnlicher Mineralogie und Topografie vor. Letztlich soll ein Lastenheft erstellt werden, das alle Anforderungen an einen Raumanzug für eine Marsexpedition beschreibt. Wir haben hier eine Nische besetzt, und dieses Wissen wird bereits von überall nachgefragt.

Report: Wie sehen Sie denn das Thema Weltraumtourismus?

Grömer:
Wir haben derzeit eine Situation, die der frühen Luftfahrt um 1900 gleicht. Technisch war Fliegen bereits machbar, wenn auch risikoreich und ein Hobby von noch wenigen Reichen. Heute ist die Durchführbarkeit von »Suborbital Tourism« bereits demonstriert. Er wird in den nächsten Jahren sicherlich einen Markt bilden, wenn auch nicht in der Größe der Luftfahrt. Es werden auch andere Wirtschaftszweige dazu entstehen. Prognosen sprechen etwa von Punkt-zu-Punkt-Transporten in der Warenlieferung – beispielsweise, um einen Vertrag in Hardcopy von Wien nach Sydney innerhalb von 90 Minuten schicken zu können. Und einige Jahre später wird es für unsere Nachkommen vielleicht leistbar sein, die Flitterwochen in einer Erdumlaufbahn zu verbringen. Dann sind wir endgültig in der Zukunft angekommen.

In unserer Arbeit geben wir eine kleine Vorschau auf diese Möglichkeiten. Wir werden zwar keinen Raumflughafen bauen, leisten aber auf anderen Gebieten hervorragende Arbeit. Wir wissen, dass wir nicht mehr auf dem Mars spazieren werden – dafür sind wir zu alt und haben mit einem österreichischen Pass auch nicht die besten Voraussetzungen. Wir verstehen uns vielmehr als Schiffsbauer, die diese Reisen ermöglichen. Hier dabei zu sein und vielleicht einen kleinen Baustein dazu liefern zu dürfen, ist ein unglaubliches Privileg.


Hintergrund: Mission in Tirol
Das Österreichische Weltraum Forum startet die Mars-Missions-Simulation AMADEE-15 am Kaunertaler Gletscher im August 2015. »Analog-Astronauten« werden die Mission in einem 45 kg schweren Raumanzugsimulator bewältigen. An dem zehntägigen Projekt beteiligt sich die italienische Mars Society mit einer neu entwickelten Virtual-Reality-Lösung: Ein Teil des Missionsprobelaufs wird mit Videobrillen auf einer speziell entwickelten Simulationsplattform erfolgen. Die VR-Probanden werden ebenso wie die Test-Astronauten über künstlich zeitverzögerten Funk mit der Missionskontrolle in Verbindung stehen. So werden auch Versuche möglich, die in Wirklichkeit zu teuer oder zu gefährlich wären. Mehr unter http://www.oewf.org/cms/oewf-sucht-analogastronauten-fuer-die-mars-missions-simulation-amadee-15.phtml

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