Samstag, Mai 04, 2024
»Wir sind auf einem guten Weg«
Harald Hauke ist seit Oktober 2020 Vorstand der ARA. Seit 2022 fungiert er auch als Vorstandssprecher. (Credit: ARA)

Harald Hauke, Vorstandssprecher der Altstoff Recycling Austria AG (ARA), ist zuversichtlich, dass Österreich die EU-Recyclingziele erreichen wird. Welche Hürden es noch zu meistern gilt, erklärt er im Report(+)PLUS-Interview.

Die ARA feiert ihr 30-jähriges Bestehen. Wo sehen Sie die größten Veränderungen?

Harald Hauke: Die wesentlichste Veränderung ist der Aufbau der Infrastruktur mit zwei Millionen Sammelbehältern. Knapp zwei Millionen Haushalte sind mit dem Gelben Sack an die Sammlung angebunden. Vor 15 Jahren mussten die Menschen im Schnitt noch 500 Meter zur nächsten Tonne gehen, heute sind es nur 150 Meter. Wir arbeiten mit einer ganzen Reihe von Stakeholdern zusammen – im Städte- und Gemeindebund mit den Abfallwirtschaftsverbänden, mit dem Ministerium, der gesamten Industrie, dem Handel und natürlich den Konsument*innen.

Das ist auch das Geheimnis des Erfolgs, alle an einen Tisch zu bringen. Österreich hat im europäischen Vergleich eine extrem hohe Recyclingquote: Bei Papier und Glas liegen wir mit über 80 Prozent bereits jetzt über den EU-Recyclingzielen für 2025. Bei Kunststoff erreichen wir derzeit nach der neuen Berechnungsmethode 25 Prozent, bis 2025 muss Österreich eine Quote von 50 Prozent erreichen. 

Warum gestaltet sich das Recycling von Kunststoff so schwierig?

Hauke: Im Prinzip besteht jeder Recyclingprozess aus drei Schritten: sammeln, sortieren, verwerten. Bei Glas ist das weniger kompliziert – die gesammelte Menge geht fast zur Gänze in die Schmelze, es gibt fast keine Störstoffe. Bei Kunststoff gibt es aber viele verschiedene Arten, die alle gemeinsam gesammelt und dann sortenrein sortiert und zu Granulat verarbeitet werden. Nach der Sortierung bleiben in unserer neuen Anlage immer noch etwa 20 Prozent mit wertvollen Inhaltsstoffen übrig.

Um diesen Rest auch noch wiederverwerten zu können, haben wir heuer das Patent für ein Verfahren angemeldet, mit dem Sortierreste für das mechanische und chemische Recycling aufbereitet werden können. Bisher werden ca. 58 Prozent der gesammelten Kunststoffe in den Sortieranlagen getrennt – mithilfe der Polyolefin-Aufbereitung wollen wir eine Quote von 90 Prozent erreichen. Das ist schon ein Meilenstein. 

Sind Mischmaterialien das große Problem?

Hauke: Kunststoff ist nur dann leicht zu recyceln, wenn er sortenrein oder ein Monomaterial ist. Meist handelt es aber um sogenannte Multilayer-Verpackungen. Manche Verbundverpackungen bestehen aus bis zu acht verschiedenen Kunststoffarten, die nicht mechanisch getrennt werden können. Selbst ein Experte erkennt nicht auf einen Blick, um welches Material es sich handelt. 

Kreislaufwirtschaft beginnt beim Design. Bei welchen Produktgruppen sehen Sie noch Nachholbedarf?

Hauke: Wir betreuen rund 16.000 Kunden in ganz Österreich, die sehr daran interessiert sind, die Verpackungen hinsichtlich ihrer Recyclingfähigkeit zu optimieren. Problematisch sind natürlich die bereits angesprochenen Multilayer-Verpackungen. Bei Lebensmitteln erfüllen jedoch gerade diese Verpackungen spezielle Funktionen, indem sie beispielsweise sauerstoffundurchlässig sind. Eine Käseverpackung hat einen Footprint von zwei bis drei Prozent, der Käse selbst einen viel größeren, z. B. durch die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Fläche, den Wasserverbrauch etc. Eine Gurke hält in der Folie doppelt so lange – wenn die Folie in die Kunststoffsammlung kommt, wird sie auch wiederverwertet.

Wie sind die österreichischen Unternehmen grundsätzlich in puncto Kreislaufwirtschaft aufgestellt?

Hauke: Beim letzten ARA Circular Economy Barometer, das wir im November 2022 präsentiert haben, lag der Index bei 59,2 – dem höchsten Wert seit vier Jahren. Ab 2025/26 tritt die CSRD-Berichtspflicht in Kraft, in Österreich betrifft das schon jetzt einige tausend Unternehmen. Auch mit den ESG-Kriterien und den Lieferketten-Richtlinien müssen sich die Betriebe befassen. Bis 2030 müssen alle Verpackungen entweder zu 100 Prozent recyclingfähig sein oder wiederverwendet werden. 

Wer trägt die größere Verantwortung – die Wirtschaft oder die Bevölkerung?

Hauke: Es ist immer eine beidseitige Verantwortung. Natürlich sind die Produzenten angehalten, die Verpackungen so zu gestalten, dass man sie gut wiederverwerten kann. Und wir können noch so tolle Sammelsysteme aufbauen – wenn die Verpackung im Restmüll landet, ist sie für das Recycling verloren. Deshalb setzen wir schon in den Kindergärten und Volksschulen mit Umweltbildung an, um ein Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu schaffen. Wenn wir nachhaltig gut leben möchten, darf sich keiner zurücklehnen. Mülltrennung ist die einfachste Möglichkeit, um Rohstoffe zu sparen und Klima und Umwelt zu schützen. Es braucht dafür einen Schulterschluss zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. 


Die ARA berichtet regelmäßig von ihren - bzw. den österreichischen Sammelerfolgen. »Wenn wir nachhaltig gut leben möchten, darf sich keiner zurücklehnen«, findet Vorstandssprecher Harald Hauke. (Grafik: ARA)

Können Anreize helfen, um Bevölkerungsgruppen zu überzeugen, die sich bisher nicht an der Mülltrennung beteiligen?

Hauke: Der beste Anreiz sollte sein, dass wir eine saubere Umwelt haben und das Klima schützen. Finanzielle Anreize sind bei über einer Million Tonnen Verpackungen schwer zu stemmen und auch in gewisser Weise unfair gegenüber jenen Menschen, die sich auch ohne Belohnung an der Abfalltrennung beteiligen. Mit der Recycling-App »Digi-Cycle« bieten wir ein Incentive-System, das vor allem junge Menschen ansprechen soll. Neben Tipps zur richtigen Mülltrennung gibt es über diese App Prämien oder Gutscheine von Partnerunternehmen.

Die ARA äußerte sich in der Vergangenheit kritisch zur Einführung eines Pfandsystems für Einwegflaschen. Wie stehen Sie dazu?

Hauke: Wir sammeln schon heute knapp 80 Prozent der PET-Flaschen. Deshalb vertraten wir immer der Meinung, es wäre sinnvoller, an anderen Punkten anzusetzen. Aber wir unterstützen selbstverständlich die Entscheidung und stellen gerne unser Know-how zur Verfügung.

Noch komplexer als Kunststoff ist das Recycling von Textilien. Wie ist das Pilotprojekt angelaufen?

Hauke: Der Aktionsplan der EU sieht vor, ab 2025 Textilabfälle zu recyceln. Am Markt sind etwa 220.000 Tonnen, gesammelt wird bisher nur ein geringer Teil. Im Rahmen des Pilotprojekts wollen wir mit den Partnerunternehmen Lenzing, Salesianer, Södra und Caritas versuchen, gebrauchte Haushaltstextilien und Bekleidung zu sammeln, daraus Zellstoff zu produzieren und schließlich zu neuen Fasern zu verarbeiten. Die große Herausforderung dabei ist die Inhomogenität der einzelnen Textilien. Unterschiedliche Materialien, Knöpfe und Reißverschlüsse machen das Trennen relativ schwierig. 

Wird Österreich das EU-Ziel für Kunststoffe erreichen?

Hauke: In Ennshafen in Oberösterreich bauen wir derzeit die modernste Sortieranlage Europas mit einer Sortierkapazität von 100.000 Tonnen pro Jahr – das ist die dreifache Kapazität der aktuell größten Anlage in Österreich. Mit der neuen Infrastruktur können wir eine Sortiertiefe von 80 Prozent der Kunststoffverpackungen schaffen. Da jetzt auch die Sammelmengen durch den Gelben Sack erheblich steigen, können wir alle Parameter erfüllen, obwohl die Übergangsfrist extrem kurz ist. Wir sind auf einem guten Weg. 

Sind Sie verärgert, dass andere europäische Länder das Thema Kreislaufwirtschaft nicht so ambitioniert verfolgen?

Hauke: Österreich bewegt sich wirklich auf einem hohen Niveau und das ist auch gut so. Es gibt leider immer noch zehn oder elf EU-Mitgliedsländer, die noch deponieren, obwohl das schon lange verboten ist. Das ist wirklich katastrophal, denn das dabei entstehende Methan ist 25mal gefährlicher als CO2. Es muss uns klar sein: Klimaschutz ist eines der wichtigsten Themen. Jeder einzelne Beitrag bringt uns wieder ein Stück Umwelt zurück.

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