Dienstag, Mai 14, 2024
Der Faktor Mensch
Foto: Thinkstock

Die Zeiten, als Qualität vor allem Zuverlässigkeit und solide Fertigung bedeutete, sind vorbei. Heute schließt der Begriff auch ökologische und soziale Nachhaltigkeit ein und erfordert neue Maßstäbe. Die bloße Vermeidung von Fehlern greift zu kurz: Qualitätsmanagement strebt nach Exzellenz auf allen Ebenen.

»Qualität besteht, wenn der Preis längst vergessen ist«, sagte einst Henry Royce, Mitbegründer der legendären Automobilmarke Rolls-Royce. Dieses Zitat hat heute noch Bestand – und doch ist die Sache heute um einiges komplizierter. Der Begriff Qualität implizierte seit jeher etwas Hochwertiges, für das Kunden auch gerne etwas mehr bezahlen. Dieser Aspekt gilt weiterhin, zusätzlich bestimmen aber neue Kriterien das Verständnis von Qualität. Das Produktangebot wird immer breiter und komplexer. Kunden sind kritischer und anspruchsvoller – und legen andere Qualitätsmaßstäbe an, zumal Unterschiede bei Produkten und Dienstleistungen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind.

»Geiz ist geil« zum Trotz wird Qualität zumeist sehr wohl geschätzt. Wer beim Preis spart, nimmt bewusst Abstriche bei der Verarbeitung, den Inhaltsstoffen oder im Service in Kauf. Die Latte liegt dennoch hoch: Was enttäuscht, wird nicht mehr gekauft. Kunden haben die Wahl und nutzen sie auch.

Mehrwert ist gefragt

Wie viel uns Qualität wert ist, entspricht letztlich einer subjektiven Wahrnehmung. Allerdings kommt dieses Empfinden nicht nur bei teuren Luxusautos wie Rolls-Royce zum Tragen, sondern auch bei Gütern des täglichen Bedarfs. Besonders sensibel reagieren Konsumenten bei Lebensmitteln. In einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) nannten im September 2016 mehr als zwei Drittel der 1.040 befragten Personen den Geschmack als wichtigstes Kriterium bei der Auswahl von Lebensmitteln. Knapp dahinter folgt der Preis (65 %), der in der 2014 erstmals durchgeführten Erhebung noch mit 72 % unangefochten an der Spitze lag. Seither haben Geschmack und gesunde Ernährung stark aufgeholt; vor allem die Eigenschaften »frisch und unbehandelt«, »frei von künstlichen Zusatzstoffen« sowie »gesund und nährstoffreich« werden geschätzt. Auch regionale Herkunft gilt jedem Dritten als Zeichen für Qualität.

Eine untergeordnete Rolle spielen dagegen Gütesiegel. Nur 20 % achten beim Einkauf auf diese Kennzeichnung. »Die teils erheblichen Kosten der Hersteller und Händler für Qualitäts- und Gütesiegel spiegeln sich nicht in der Verbraucher-
anerkennung wider. Viele Verbraucher wissen nicht über die strengen Kontrollen und Prüfungen Bescheid, die Lebensmittel durchlaufen und die hinter den Siegeln stehen«, erklärt DGQ-Expertin Sylvia Wegner-Hambloch.

Dem Consumer Index des Meinungsforschungsinstituts Gfk zufolge steigt die Zahl der qualitätsorientierten Käufer stetig. Seit 2015 schlägt sich der Trend zum höherwertigen Einkauf auch in der Entwicklung der Markensegmente nieder. Eine Erhebung der Beratergesellschaft pwc kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Laut TÜV Süd sind Konsumenten bereit, für bessere Qualität und Sicherheit mehr zu bezahlen – besonders ausgeprägt ist diese Haltung bei Spielsachen für Kinder. 80 % der Kunden würden für ein hochwertiges Produkt mehr Geld ausgeben.

Das klassische Preis-Leistungs-Verhältnis erweist sich für eine Neudefinition des Qualitätsbegriffes als zu stark eingeschränkt. Auch der lange Zeit auf Zuverlässigkeit und solide Fertigung gerichtete Fokus reicht nicht aus. An Umweltschutz, sorgfältigem Umgang mit Ressourcen, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit kommt kein Unternehmen vorbei, das sich nach internationalen Maßstäben positionieren will.

Während sich die Produktionsstandards weltweit nivellieren und sich selbst vermeintliche »Billigprodukte« aus Asien um perfekte Verarbeitung und längere Lebensdauer bemühen, schwappt bereits die nächste Trendwelle herein: Qualität erfordert künftig innovatives Denken und maßgeschneiderte Prozesse und Produkte – je individueller, desto lieber mag es der Kunde. Ist ein Auto aus deutscher Produktion zuverlässiger als eines aus Korea oder Japan? Diese Frage wirft nicht erst seit der Abgasaffäre große Zweifel auf. Auch ob die Bluse aus Bangladesch wirklich minderwertiger ist als eine in Österreich genähte, ist in einer globalen Konsumwelt mit weitgehend austauschbaren Produkten nicht schlüssig zu beantworten. Hier können Unternehmen punkten, die sich im Design, Individualität oder Service von der Masse abheben.

Der Gesamteindruck zählt

In innovativen Unternehmen wird Qualität als Leitbild für die gesamte Wertschöpfungskette verstanden und durchzieht die Organisation von der Entwicklung und Produktion über die Verwaltung bis zum Service. Was zählt, ist der Gesamteindruck. Zweckmäßige Produkte oder eine korrekte ausgeführte Dienstleistung können Kunden zwar zufriedenstellen – um sie zu begeistern, bedarf es aber größerer Anstrengungen. Mit kreativen Ideen möglichen Trends frühzeitig zu begegnen, sie vielleicht sogar vorwegzunehmen – darauf kommt es in Zukunft wohl an. Agilität wird für Unternehmen zur Maxime. »Durch Qualitätsmanagement kann der Fokus gezielt auf die Kundenorientierung ausgerichtet werden, indem wir Marktanforderungen erkennen und rechtzeitig auf Veränderungen reagieren. Dafür ist ein transparenter Wissenstransfer notwendig, wobei es sich in erster Linie um interne Abläufe handelt«, bestätigt Erich Steinreiber, CEO der ISS Austria Holding GmbH. »Folge dieser Prozessoptimierungen sind effizientere Planungsmöglichkeiten und ein erhöhter Mehrwert für unsere Kunden.«

In diesem Sinn darf sich Qualitätsmanagement nicht bloß auf das Produkt beschränken, sondern muss den gesamten Prozess umfassen. Der Gesamteindruck ist ein Mosaik aus vielen kleinen Erlebnissen, die der Kunde bei der Suche und Beratung, beim Bezahlen, bei der Lieferung und Montage, beim Anruf bei der Service-Hotline und schließlich bei der Entsorgung hat. Entscheidend ist der Mehrwert: Wurde früher darauf geachtet, dass Produkte keine giftigen, gesundheits- oder umweltschädliche Substanzen enthalten, müssen sie heute wie auch Dienstleistungen jeder Art möglichst auch noch gesundheitsfördernd sein – egal, ob es sich um Baumaterial, ein Spielzeug oder ein Reiseangebot handelt.

Qualität steht auch beim Salzburger Hygienespezialisten Hagleitner für einen ganzheitlichen Denkansatz, der Prozesse und  Kommunikation – extern wie intern – einschließt. »Qualität soll nachhaltig gesichert sein. Darum haben wir sie auch in den Unternehmenswerten verankert – neben Tradition, Innovation und Begeisterung«, sagt Ernst Brunner, Geschäftsführer der Hagleitner Hygiene International GmbH. »Doch im Mittelpunkt steht immer der Mensch. Er ist die verbindende Klammer.«

Zukunftssichere Systeme

Die steigenden Qualitätsanforderungen setzen alle Branchen gleichermaßen unter Druck. Laut einer Studie der Managementberatung A.T. Kearney besteht ein Risiko von 215 Milliarden US-Dollar durch wachsende Qualitätskosten in der Automobil-, Industriegüter- und Konsumgüterindustrie. Haupttreiber für die zunehmende Anzahl von Qualitätsproblemen seien ein erhöhter Software-Anteil, gestiegene Produktkomplexität, global vernetzte Wertschöpfungsketten und stark verkürzte Produkteinführungszeiten. Die Ergebnisse sind alarmierend: Die Hälfte der befragten Führungskräfte geht davon aus, dass kundenrelevante Qualitätsprobleme in den nächsten zehn Jahren weiter zunehmen werden. Ebenso jeder Zweite berichtet von abnehmender Wirksamkeit der Standard-Qualitätsverfahren. Stephan Krubasik, Partner bei A.T. Kearney, plädiert deshalb für einen »neuen Qualitätsmanagement­ansatz Qualität 4.0«. Um Qualitätssysteme zukunftssicher aufzustellen, sollten diese präventiver ausgerichtet sein und bereits bei der Produktkonzeption ansetzen.


76 % der Führungskräfte bewerten zwar innovative Qualitätsmethoden als durchaus positiv, eingesetzt werden diese, wie etwa der »Social Media Radar« zur Identifizierung von Handlungsfeldern, bislang aber nur in einem Drittel der Unternehmen. Eine ähnliche Diskrepanz gibt es bei Methoden zur Qualitätssteigerung in der gesamten Lieferkette. Gerade durch den technologischen Wandel eröffnen sich jedoch derzeit große Chancen, so Krubasik: »Für Themen wie Elektromobilität, Autonomes Fahren und Industrie 4.0 werden die Qualitätschampions von morgen erst noch gekürt. Der richtige Zeitpunkt, das eigene Unternehmen hier optimal aufzustellen, ist jetzt.«

Null-Fehler-Mitarbeiter

Die Mindestanforderungen zu erfüllen, genügt nicht mehr, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Viele Traditionsbetriebe, aber auch unzählige innovative Start-ups zeigen mit ihrem Qualitätsanspruch, wie es gelingt, mit Exzellenz über sich hinauszuwachsen und die Wünsche und Anforderungen der Kunden sogar zu übertreffen.


Der entscheidende Faktor sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dieses Engagement mittragen. »Es ist wie bei einem Funken: Er muss überspringen. Und strukturierte sowie nachhaltige Wissensvermittlung tut ihr Übriges«, bestätigt Hagleitner-Geschäftsführer Brunner.

Qualität ist für Kunden selbstverständlich geworden. Erst Beschwerden über Mängel rufen wieder in Erinnerung, welchen Stellenwert gute Produkte und Dienstleistungen haben. Professionelles Qualitätsmanagement auf die Suche nach Fehlern zu reduzieren, ist längst überholt, wenngleich unzählige Normen, Zertifizierungen, Kontrollsysteme und Produkttests diese Intention heute nahelegen.

Doch wie lässt sich die geforderte Standardisierung von Abläufen mit dem Wunsch nach kreativen Freiräumen vereinbaren?

Widerspricht nicht die konsequente Disziplin der Qualitätsmanagement-Systeme dem flexiblen Denken und Handeln, das dem einzelnen Mitarbeiter autonome Entscheidungsspielräume zugesteht?

Einig sind sich Experten in der Ausrichtung: Nicht der Null-Fehler-Mitarbeiter, der aus Angst nichts Neues mehr wagt, ist das Ziel. Vielmehr muss das Streben nach Verbesserung im Vordergrund stehen. Wer den Faktor Mensch nicht als Schwachstelle, sondern als Ideenquelle begreift, die zwar manchmal auch Sand ins Getriebe spült, ansonsten aber frisch und belebend wirkt, ist auf dem besten Weg zu einer innovativen QM-Kultur.

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