Sonntag, Mai 05, 2024

Ein Ausbau der Uniklinik Graz befördert die Landeshauptstadt zu einem Center of Excellence für Traumabehandlung. Mit an Bord ist das Bundesheer.

Unfälle im Verkehr, Beruf und bei den wachsenden Freizeitangeboten bleiben auf stetig hohem Niveau. In heimischen Spitälern werden jährlich über 800.000 Menschen mit schweren Verletzungen behandelt. Nicht immer aber sind die Folgen eines Unfalls so einfach behandelbar. Kopfzerbrechen verursachen den Ärzten so genannte Polytraumata – die Verkettungen mehrerer, schwerer Verletzungen. Werden unterschiedliche Verletzungen eines Unfallopfers nicht innerhalb kürzester Zeit präzise diagnostiziert und behandelt, können massive Folgeschäden drohen. „Die daraus entstehenden gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme stellen für den Betroffenen und seine Familie eine besondere Härte dar, die Folgen sind aber auch für die Gesellschaft erheblich", betont Selman Uranüs, Leiter der Sektion Chirurgische Forschung am Landeskrankenhaus Graz. In der Gruppe der unter 45-Jährigen ist das Polytrauma die häufigste Todesursache. Überlebende haben neben den körperlichen Handycaps oft mit posttraumatischen psychischen Folgen zu kämpfen: Angstzustände und Depressionen.

Um bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen, ist man in Graz entschlossen, einen neuen Weg zu beschreiten. Mit der Errichtung eines Traumazentrums nach US-Vorbild wird nun die Trauma- und Akutchirurgie im Zuge eines Ausbaus des Klinikums erstmals in Österreich unter einem Dach zusammengeführt. Die Idee: die Kapazitäten beider Bereiche können gemeinsam zielgerichtet und kosteneffizient eingesetzt werden. Die Gesamtkosten des Neubaus von 600 Millionen Euro sollen sich Land und Bund teilen. Letzterer zeigt aus einem weiteren Grund Interesse an dem Kompetenzzentrum. So verantwortet das in der steirischen Landeshauptstadt stationierte Streitkräftekommando nationale und internationale Missionen des Bundesheeres. Egal ob bei humanitären Hilfseinsätzen, Katastrophenhilfe oder Kampfeinsätzen – in der Grazer Kommandostelle werden die Rahmenbedingungen, darunter auch die medizinischen Ressourcen, organisiert. Ein eigener Bereich im geplanten Neubau soll künftig das Militärspital Graz beherbergen. Was bislang weder in Wien noch in Innsbruck gelungen ist - die Militärspitäler direkt an die Universitätskliniken anzubinden – könnte nun in der Steiermark erreicht werden.

Einzigartiger Status
"Durch die universitäre Anbindung der militärmedizinischen Krankenanstalt im Zuge des Baus des Traumazentrums hätte Graz sogar eine entsprechende Exklusivität im südosteuropäischen Raum", betont Leo Kronberger, leitender Oberarzt der Zentralaufnahme an der Uniklinik für Chirurgie. Kronberger, der als Sanitätsoffizier auch in der militärmedizinischen Forschung tätig ist, sieht durch eine solche organisatorische Verbindung "völlig neue Möglichkeiten in der Logistik von Behandlungen in der Kriegsopfer- und Zivilopferbetreuung." Vor allem ein telemedizinischer Schwerpunkt könnte die Österreicher in dieser Region in eine Vorreiterrolle führen. Die Telemedizin hat in Graz bereits Tradition. Seit Anfang der Achtziger Jahre steht den Ärzten ein digitales Bildarchiv zu Verfügung - das weltweit größte Archiv dieser Art. Es gibt mehrere Vorteile, Röntgenbilder oder Daten aus dem Computertomografen in einem zentralen System abzuspeichern. Die Verfügbarkeit der Bilddaten mittels Breitbandleitung auch über Spitals- und Landesgrenzen hinweg, ist eines der Wesentlichsten.

Bei Bereitschaft zur Schaffung einer eigenen telemedizinischen Abteilung könnte diese nicht nur die Einsatzbereitschaft der österreichischen Streitkräfte sichern. Im Zuge internationaler Kooperationen ist in naher Zukunft auch die sanitäre Unterstützung von UNO- oder EU-Einsätzen denkbar. Die "Erreichung einer Wettbewerbsfähigkeit mit den zivilen Strukturen“ wurde schon in der Bundesheerreform für den Sanitätsdienst gefordert. Österreich benötigt laut Bericht der Reformkommission in den kommenden Jahren rund 270 feldtaugliche Ärzte, um seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen zu können. Interne Schätzungen ergeben eine zehnmal so hohe Gesamtzahl an militärmedizinischem Personal, welche das Milmedkorps umfassen müsste. Eine gemeinsame Ausbildung auf dem Niveau einer Universitätsklinik soll den Reformern zufolge neue Aspekte in der Militärmedizin eröffnen.

Personalmangel bei Auslandsmissionen
Ein „Letter of Intent“ für die Kooperation des Bundesheeres, der Medizinischen Universität Graz und der Steiermärkischen KAGes wurde bereits von Verteidigungsminister Norbert Darabos, Landeshauptmann Franz Voves, den Vorständen der Steiermärkischen KAGes, Werner Leodolter und Christian Kehrer, und der MedUni Graz unterzeichnet. Die Notwendigkeit zum Handeln ist tatsächlich immanent: das Bundesheer hatte bislang sein medizinisches Personal inklusive Ärzte bei humanitären Einsätzen zum Teil aus dem Milizbereich rekrutiert. Aufgrund von arbeitsrechtlichen Bestimmungen und beruflichen Verpflichtungen der Milizionäre wäre nur mehr ein Bruchteil dieser in Auslandsmissionen einsetzbar.

Eine Aus- und Weiterbildung von Militärärzten sowie dem übrigen medizinischen Personal an einer MilMed-Klinik in Graz könnte dieses Vakuum füllen – und die Innovationskraft der Österreicher stärken. Gerade durch Neuerungen in der Telemedizin erwarten Experten wesentliche Verbesserung in der schnellen Befundung und Behandlung von Patienten. So forscht Kronberger als Militärmediziner nach Simulationsmethoden in der chirurgischen Ausbildung. Selman Uranüs brachte als Gründungsmitglied des internationalen Forums für Telechirugische Forschung und Lehre, IFTRE, vor zwei Jahren beim größten europäischen Traumakongreß „Eurotrauma 2007“ 1.500 Ärzte nach Graz. Diskutiert wurden bei diesem Kongress zu Traumabehandlungen auch die Möglichkeiten telemedizinischer Anwendungen – etwa das bildgestützte Einholen von ärztlichen Zweitmeinungen bei Gewebeproben oder Verletzungen. Die Datenübertragung von Befund- und Diagnosedaten kann dann – so die Idee der Militärstrategen - etwa über Satellitenuplink auch in Regionen mit Kampfeinsätzen angeboten werden.

Visionäre Schritte
Auch für den Klinikvorstand Karlheinz Tscheliessnigg birgt ein gemeinsamer Ausbau des Traumazentrums "in jeder Hinsicht eine Win-Win-Situation mit äußerst interessanten Kooperationsfeldern und einer gegenseitigen Befruchtung." Auch dem Image der Militärmedizin wird eine solche Kompetenzkonzentration keinesfalls schaden. Durch die Forschung und der Nutzung von Informationstechnologie in der Chirurgie wird die von einem Österreicher bereits geprägte Geschichte weiter geschrieben: Lorenz Böhler etablierte die Disziplin der Unfallchirurgie. Unfallkrankenhäuser seines Zuschnittes waren in den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beispielgebend für Institutionen in der ganzen Welt. Der nächste Schritt soll nun in Graz gesetzt werden.

Update: ein Kommentar von Klinikvorstand Karlheinz Tscheliessnigg zu dem geplanten Traumazentrum in Graz.

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