Thursday, May 15, 2025

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Chinas Online-Riesen sind auf dem Vormarsch. Der Handel hält mit Digitalstrategien dagegen. Wie können sich europäische Unternehmen in diesem ungleichen Kampf behaupten?

Bild: iStock


China überschwemmt die Welt mit Billigware. Bisher nutzen Plattformen wie Temu, Shein, AliExpress und Co. Billigpreis-Schlupflöcher, um Waren steuerfrei nach Europa zu bringen. Der ungleiche Vorteil gegenüber heimischen Unternehmen, die regulär Mehrwertsteuer und Zollabgaben zahlen müssen, liegt auf der Hand: Für Pakete aus China an Private gilt eine Zollfreigrenze bis zu einem Warenwert von 150 Euro. Im Zuge der EU-Zollreform soll ab Jänner 2028 diese Grenze wieder abgeschafft und eine zentrale Zollbehörde eingerichtet werden. Das ist vielen Handelsverbänden in den Mitgliedsländern zu spät, sie fordern seit Monaten raschere Maßnahmen.

Doch die Vorwürfe gegen die chinesischen Billiganbieter gehen weit über die Umgehung der Zollfreigrenze hinaus. Wegen des Verkaufs gesundheitsgefährdender Produkte und irreführender Behauptungen zu Preisreduktionen und Warenknappheit brachte der Handelsverband im September 2024 eine Beschwerde bei der Bundeswettbewerbsbehörde ein. Die Arbeiterkammer wurde gemeinsam mit 16 anderen europäischen Konsumentenschutzorganisationen und dem Dachverband BEUC wegen manipulativer Praktiken gegen Temu aktiv.

Nach Schätzungen der EU-Kommission wurden im Vorjahr 4,6 Milliarden Pakete mit einem Warenwert unter 150 Euro in der EU an Private ausgeliefert – mehr als doppelt so viele wie 2022. Rund 90 % davon kamen aus China. In Österreich gaben die Konsument*innen laut Handelsverband im Vorjahr rund 1,5 Milliarden Euro bei chinesischen Onlinehändlern aus. Unter den umsatzstärksten Webshops in Österreich belegt Temu den vierten Platz, Shein liegt auf Rang 8. Gekauft werden vorwiegend Kleidung und Elektronik. Mit Kampfpreisen von fünf Euro für T-Shirts entreißen die asiatischen E-Commerce-Plattformen inzwischen auch Amazon und Ebay große Marktanteile.

Tiefe Skepsis
Während der Konsum im eigenen Land schwächelt, flutet China die Märkte im Ausland mit Waren zu Dumpingpreisen. Im Vorjahr stiegen die chinesischen Exporte überraschend kräftig um 7,1 % im Vergleich zu 2023 und erreichten ein Zweijahreshoch. Im Zuge des Handelskriegs wurde die Rivalität zwischen den USA und China indessen neu entfacht. Das Machtgefüge verschiebt sich politisch wie auch wirtschaftlich. Es besteht die Gefahr, dass Europa zwischen den Großmächten aufgerieben wird. Noch Ende März 2025 präsentierte sich Chinas Ministerpräsident Li Qiang bei einem Treffen mit westlichen CEOs – darunter Tim Cook (Apple), Roland Busch (Siemens), Oliver Zipse (BMW) und Ola Källenius (Mercedes-Benz) – als stabiler Handelspartner und warb mit Kooperationen im Hightech-Sektor. Die europäischen Manager sprachen sich für den Abbau von Handelsschranken aus, auch gegen Zölle für chinesische Elektroautos.

Hierzulande zeigen sich Handelsvertreter skeptisch. Das Misstrauen gegenüber den übermächtigen Konkurrenten sitzt tief: Seit Jahrzehnten plagiieren Unternehmen aus Fernost ungeniert westliche Markenprodukte – ohne Rücksicht auf bestehende Patente, Qualitätsstandards oder den Schutz des geistigen Eigentums. Der Tenor lautet: Spielregeln müssen für alle gelten, egal ob groß oder klein. »Wir wollen einen fairen Welthandel, in dem sich Österreich als offene Volkswirtschaft positionieren kann, um gemeinsam Wohlstand zu schaffen. Dafür braucht es aber eine faire Besteuerung aller Marktteilnehmer und einen effektiven Vollzug«, ist Harald Gutschi, Geschäftsführer von OTTO Austria, überzeugt.

Verlust der Shopflächen
Der ungleiche Kampf zeigt sich auch im stationären Handel deutlich. Die Einkaufsstraßen sind von leerstehenden Geschäftslokalen gesäumt. In Kleinstädten hat die Leerstandsquote laut »City Retail Report« des Beratungsunternehmens Standort+Markt mit mehr als 15 % ein Rekordniveau erreicht. In Hartberg, Bruck an der Mur und Knittelfeld liegt sie sogar über 30 %. Der Flächenanteil des Einzelhandels in den österreichischen Städten ging seit 2014 von 72,8 auf 65,5 % zurück. Am stärksten schrumpfte das Fashion-Segment. Hannes Lindner, Geschäftsführer von Standort+Markt spricht von einer »Demontage« durch die Billigware aus China: »Der Modehandel stirbt weg.« Anhaltende Leerstände führen letztlich zu einem Verlust der Shopflächen: Eigentümer suchen nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten und vermieten die Liegenschaft als Büros, Lagerräume oder Ordinationen.

Dabei sind die österreichischen Konsument*innen dem Einkauf im »echten« Geschäft gar nicht abgeneigt. Sie sondieren jedoch vorab recht genau mögliche Angebote und Features. Wie die »Smart Shopper Studie 2024« zeigt, informieren sich 61 % der österreichischen Konsument*innen vor einem Kauf online über Produkte. Besonders hoch ist der Wert bei Consumer Electronics (86 %), bei Lebensmitteln beträgt er immerhin noch 49 %. Damit kommt digitalen Kanälen bei der Kaufentscheidung große Bedeutung zu – dieser Wandel wird durch KI und andere innovative Technologien weiter vorangetrieben.

Große Handelsunternehmen wie MediaMarkt oder IKEA haben ihre Digitalstrategie entsprechend angepasst. Knapp jedes zweite österreichische Unternehmen plant in den nächsten fünf Jahren Investitionen in KI-Tools. Rund ein Drittel rechnet mit einem signifikanten Produktivitätsschub durch den Einsatz generativer KI. Das Tiroler Familienunternehmen Giesswein konnte durch automatisierte Kampagnen mithilfe Googles KI-gestützter »Performance Max«-Lösung den Umsatz um 19 % steigern.

KI-unterstützter Kundenservice
Neben Beratung und Service spielt auch das Einkaufserlebnis generell eine wichtige Rolle – online und stationär. MediaMarkt unterstützt auf beiden Ebenen mit KI-Tools. Mitarbeiter*innen steht eine interne Suchmaschine mit einem Chat-Assistenten zur Verfügung, während grundlegende Fragen von Online-Kund*innen zu Öffnungszeiten, Reparaturen und Umtausch via Chat- und Voice-Bot beantwortet werden. Mit der Entwicklung eines Consumer-Care-Hubs, der rund um die Uhr zur Verfügung steht und in Echtzeit und passender Tonalität auf die Emotionen der Nutzer*innen adäquat reagiert, soll der Kundenservice von Routine-Anrufen weitgehend entlastet werden.

Für kompliziertere Anfragen steht weiterhin menschliches Personal zur Verfügung – und wohl auch für jenen Teil der Bevölkerung, der die Innovationen noch recht skeptisch betrachtet. Laut einer Umfrage des Handelsverbands glauben aktuell nur 14 % der Konsument*innen, dass künstliche Intelligenz tatsächlich ihren Einkauf erleichtern kann. Wichtige Informationen liefert die KI jedoch vor allem in der Analyse der Kundendaten, für die Datenpunkte der MediaMarkt-Club-Mitglieder sowie anonymisierte Daten auswertet werden, wie Jörg Bauer, Managing Director Sales bei MediaMarkt Österreich & Schweiz, erläutert: »Durch KI-gesteuerte Tools bekommen wir Einblicke in das Verbraucherverhalten, können Lagerbestände entsprechend optimieren und Fehlbestände reduzieren.«

Besonders in der Konsumgüterindustrie stoße das traditionelle Wachstumsmodell aufgrund der Marktrealitäten an seine Grenzen, erklärt Silvan Göldi, Partner im Wiener Büro der internationalen Unternehmensberatung Bain & Company. »Für die Unternehmen ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, ihre Strategie zu schärfen und die Weichen für nachhaltigen Erfolg zu stellen. Der Einsatz von KI ist keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit. Wer diese Technologie vollständig in sein Geschäftsmodell integriert, wird die nächste Wachstumswelle der Branche anführen.«

In China erfolgreich
Den chinesischen Markt erobert das Transport- und Logistik­unternehmen Gebrüder Weiss indessen von der anderen Seite. In Großchina betreibt der Konzern bereits 19 Niederlassungen. Für einige renommierte Marken des Nationalgetränks Baijiu – hochwertige Spirituosen aus Hirse oder anderen Getreidesorten – bietet man spezielle E-Commerce-Lösungen an. »Wir haben in der westchinesischen Großstadt Chengdu ein Warenlager mit einem eigenen Team aufgebaut und eine Logistiklösung entwickelt, um die besonderen Anforderungen zu erfüllen«, berichtet Yongquan Chen, General Manager von Gebrüder Weiss in China. Die Services umfassen die Lagerung, Verpackung, Lieferung in ganz China, Versicherungsoptionen, Rückverfolgbarkeit der Sendungen und einen professionellen Kundendienst. Die Anzahl der Transportschäden hat sich seither deutlich verringert.

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Bild: Im Chengdu Baijiu Warehouse in China etablierte das Logistik­unternehmen Gebrüder Weiss eine eigene E-Commerce-Lösung.

Um sich an veränderte Verbraucherstrukturen und Konsummuster anpassen zu können, seien Flexibilität, schnelles Reagieren und ein zuverlässiger Kundenservice unerlässlich, so Yongquan Chen: »Wenn die Verpackungen nicht professionell verwaltet und nachverfolgt werden, können gefälschte Produkte Fuß fassen, die die Marke schädigen und das Vertrauen der Kunden untergraben.« Wie es scheint, stehen Handelsunternehmen in Europa und China also vor recht ähnlichen Herausforderungen.

 

Im Gespräch: »Der stationäre Handel steht unter Druck«

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Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, fordert wirksame Maßnahmen gegen Wettbewerbsverzerrungen.

Wie kann der heimische Wirtschaftsstandort gestärkt werden?

Rainer Will: Um den österreichischen Wirtschaftsstandort zu stärken, braucht es einen Dreiklang aus fairen Wettbewerbsbedingungen, einer Entlastung der Unternehmen bei Bürokratie und Abgaben sowie attraktiven Rahmenbedingungen für Innovation und Digitalisierung. Bei den Arbeitskosten zählt Österreich mittlerweile zu den teuersten Ländern der Welt. Auch der Handel befindet sich in einem beinharten internationalen Wettbewerb, in dem Österreich von Jahr zu Jahr an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Hier gehört dringend gegengesteuert. Auch die hohen Kostensteigerungen bei Mieten und Energie haben dem Handel stark zugesetzt. Hier benötigt es Antworten auch durch die Politik.

Sind EU-Maßnahmen gegen Billig-Importe aus China überfällig?

Will: Ja, die EU muss dringend Maßnahmen ergreifen, um Wettbewerbsverzerrungen durch Billig-Importe aus China zu verhindern. Viele Produkte aus Fernost sind nachweislich gesundheitsschädlich und werden noch dazu mit staatlichen Subventionen sowie unter fragwürdigen Umwelt- und Sozialstandards produziert. Die geplante Abschaffung der Zollfreigrenze von 150 Euro im Jahr 2028 kommt viel zu spät. Das gefährdet europäische Händler und Produzenten und damit Arbeitsplätze. Aber auch auf nationalstaatlicher Ebene könnte hier viel mehr getan werden, insbesondere bei der konsequenten Kontrolle von Importen durch die Zollbehörden.

Ist der stationäre Handel langfristig in Gefahr?

Will: Der stationäre Handel steht in Österreich unter Druck, das sieht man an den steigenden Leerständen in den heimischen Innenstädten. International zeigen genügend Beispiele, dass der stationäre Handel weiterhin ein zukunftstaugliches Modell ist – wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die richtigen Maßnahmen gesetzt werden. Wichtig sind Investitionen in Digitalisierung, attraktive Innenstadt-Konzepte und eine gerechtere Besteuerung von Online-Riesen. Wir sehen, dass Konsumentinnen und Konsumenten in vielen Bereichen verstärkt auf Regionalität und Qualität setzen. Der stationäre Handel muss sich mit exzellentem Service, Erlebniseinkauf und innovativen Lösungen behaupten – dann bleibt er ein zentraler Teil unserer Wirtschaft.


Weiters: Papierprospekte und gedruckte Kataloge waren gestern: Digitale Kanäle sind auch für den stationären Handel unerlässlich geworden. Die Unternehmen stehen dabei vor einer doppelten Herausforderung, weiß Oliver Olschewski, Geschäftsführer von Shopfully, der kürzlich umbenannten Offerista Group, und gibt Tipps, wie Kund*innen in Geschäfte gelockt werden können. (Link)

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