Thursday, June 12, 2025

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Der Dienstleister TÜV SÜD unterstützt Unternehmen bei der Umsetzung der ISO 14068-1 (Whitepaper, Link). Mit der Norm erhalten Unternehmen einen strukturierten Rahmen, um ihren Weg zur CO2-Neutralität zu gestalten. Im Report-Gespräch zur Wirtschaftlichkeit von Nachhaltigkeitsmaßnahmen: Gabriela Espinosa, Expertin für die Verifizierung von Carbon Footprints und CO2-Neutralität, und Robert Hermann, Geschäftsbereichsleitung Green Energy & Sustainability.

Bild: iStock

Warum sollten sich Unternehmen auch rein wirtschaftlich gesehen mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?

Gabriela Espinosa: Das lässt sich gut mit dem Begriff der „Doppelten Materialität“ erklären, der besagt, dass jedes Unternehmen in zweifacher Art und Weise mit der Umwelt interagiert.

Zum einen ziehen die Aktivitäten von Unternehmen verschiedene Umweltauswirkungen nach sich – darunter Emissionen, Lärm, Verschmutzung von Wasser und Boden, Abfallaufkommen sowie Ressourcenverbrauch. Diese Umweltauswirkungen ergeben sich aus den Tätigkeiten des Unternehmens und dem Einsatz benötigter Ressourcen. Solche Aspekte sind weltweit – meist zum Schutz von Menschen und Umwelt – gesetzlich geregelt. Werden Grenzwerte überschritten, Schäden verursacht oder Ressourcen ineffizient genutzt, entstehen nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Kosten.

Zum anderen werden umgekehrt auch Organisationen durch Umweltveränderungen in ihrer Tätigkeit beeinflusst. Der Klimawandel, zunehmende Dürren, die Verknappung natürlicher Ressourcen oder politische Entwicklungen können dazu führen, dass Rohstoffe schwerer verfügbar sind oder Produktionsbedingungen sich verschlechtern – etwa durch unterbrochene Lieferketten. Die Folgen könnten erhebliche Kosten verursachen, sei es durch die Anpassung der Wertschöpfungskette oder durch Produktions- und Umsatzeinbußen.

Darüber hinaus gewinnen Nachhaltigkeitsaspekte auch im Konsumverhalten zunehmend an Bedeutung: Sowohl Unternehmen als auch Endverbraucher legen heute deutlich mehr Wert auf verantwortungsvollen Konsum – Tendenz steigend.

Daher müssen sich Unternehmen aktiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen – nicht nur, um sicherzustellen, dass sie Umwelt und Mensch keinen Schaden zufügen, sondern auch, um ihre eigenen Umwelt-, Technologie- und Energiekosten zu senken, teure Folgeschäden zu vermeiden und ihre Lieferketten widerstandsfähig zu halten. In einer globalen Realität, die zunehmend von Klimawandel und politischen Unsicherheiten geprägt ist, gewinnen knappe und teurer werdende Ressourcen und Energie zunehmend an strategischer Bedeutung.

Investitionen rechnen sich zwar oft erst nach einer gewissen Abschreibungsdauer, doch Resilienz sollte heute schon mitgedacht werden – um in der Welt von morgen bestehen zu können.

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Bild: Gabriela Espinosa ist Expertin für die Verifizierung von Carbon Footprints und CO2-Neutralität bei der TÜV SÜD Energietechnik GmbH.

Welche Branchen haben hier besonders Aufholbedarf? Wo gibt es also noch das größte Potenzial?

Gabriela Espinosa: Um über Potenzial oder Aufholbedarf beim Thema CO₂-Neutralität reden zu können, müssen wir das Thema in zwei Bereiche trennen: Im ersten Schritt geht es darum, die Emissionen zu erfassen, um dann im zweiten Schritt mit einer belastbaren quantitativen Grundlage fundierte Entscheidungen zur Emissionsreduktion etwa in einem Dekarbonisierungsplan zu treffen und diese zu implementieren.

Es gibt Unternehmen, die bereits daran gewöhnt sind, ihre CO₂-Emissionen zu quantifizieren und diese schrittweise zu reduzieren. Typische Beispiele sind Zementwerke, Chemie- und Pharmaindustrie, Raffinerien, Papierfabriken, Fernwärmeanlagen, Stahlwerke oder sogenannte EU-Emissionshandelssystem-Anlagen. Hier entstehen nämlich Kosten für die Nichteinhaltung der Emissionsgrenzwerte. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit, Kosten zu sparen – etwa durch die Verringerung des Ressourcenverbrauchs oder durch die Reduktion von Emissionsbehandlungskosten. Zusätzlich kann sogar Geld verdient werden, wenn Emissionen reduziert werden – mit Emissionshandel.

Diese Unternehmen haben in der Regel bereits einen CO₂-Managementplan und ein großes Interesse daran, die Emissionen ihrer Anlagen zu reduzieren. Allerdings konzentriert sich das EU-EHS nur auf direkte Emissionen und berücksichtigt nicht automatisch die gesamte Lieferkette oder den gesamten Lebenszyklus der Produkte. Diese Unternehmen haben daher fortgeschrittene Kenntnisse in der CO₂-Bilanzierung und -Reduzierung innerhalb ihrer organisatorischen Grenzen, aber nicht unbedingt Erfahrung in der Reduzierung von Emissionen in der Lieferkette.

Andere Unternehmen haben erst vor Kurzem begonnen, ihre Emissionen zu erfassen. Doch um internationalen Standards zu entsprechen – aufgrund von Marktdruck oder internem Nachhaltigkeitsbewusstsein – haben sie rasch ihre gesamte Lieferkette einbezogen. Dabei erkennen sie zunehmend, dass der Großteil ihrer Emissionen aus der Rohstoffbeschaffung stammt („Upstream-Emissionen“), und beginnen, das Thema ganzheitlich anzugehen.

Ich würde daher nicht unbedingt von einem Aufholbedarf sprechen. Das größte Verbesserungspotenzial haben jedoch Branchen mit einem hohen Energie- und Ressourceneinsatz. Dazu gehören beispielsweise die metallverarbeitende Industrie und fossilbasierte Industrien wie Energieerzeugung, Petrochemie und Kunststoffe. Aber auch die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, von Papier und Pappe sowie von Glas und Keramik ist mit einem hohen Ressourcenverbrauch verbunden. Aufgrund des hohen Energie- und Ressourceneinsatzes stehen diese Branchen vor den größten Herausforderungen. Der Unterschied liegt darin, ob Unternehmen Änderungen direkt implementieren können – zum Beispiel durch Elektrifizierung ihrer Aktivitäten und Umstellung auf erneuerbare Energien – oder ob die Änderungen in der Lieferkette stattfinden müssen, was wiederum nicht in ihrem direkten Einflussbereich liegt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die meisten Emissionen aus dem Ressourcenabbau und der Produktion der Vorprodukte entstehen.

Welche Maßnahmen in der Wertschöpfung sehen Sie da mit besonderen Anstrengungen verknüpft?

Gabriela Espinosa: Besonders herausfordernd ist der Bereich komplexer Endverbraucherprodukte, bei denen die Herstellung der Vorprodukte oder Komponenten mit sehr langen und verzweigten Lieferketten verbunden ist. Typische Beispiele sind Autos, Computer und Mobiltelefone. Diese Branchen müssen auf einer Ebene von Tier 3 oder höher mit ihren Lieferanten zusammenarbeiten, um signifikante Veränderungen in ihrem CO₂-Fußabdruck zu erreichen.

Ein weiterer herausfordernder Aspekt ist die Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus von Produkten. Die Rückführung der Komponenten eines Produkts für technologische Materialkreisläufe am Ende seiner Lebensdauer ist sowohl technologisch als auch logistisch schwierig. Es gibt weltweit unterschiedliche Abfallwirtschaftssysteme für die Sammlung und Handhabung von Abfallprodukten, was es schwierig macht, wertvolle Materialien kosteneffizient zurückzugewinnen.

Dazu braucht es zum einen den Zugang zu erneuerbarer Energie an den Produktionsstandorten und zum anderen technologische Weiterentwicklungen – beides ist notwendig, um unvermeidbare Emissionen weiter zu reduzieren und den Einsatz von Kompensationsmaßnahmen, wie Emissionszertifikaten, möglichst gering zu halten.

Welche Projekte zeigen beispielhaft besonders gut den Hebel Nachhaltigkeit für Unternehmen? Was ist in diesen Projekten umgesetzt worden?

Robert Hermann: Abhängig von der Branche haben Unternehmen unterschiedliche Möglichkeiten, ihre Emissionen zu reduzieren. Häufige erste Schritte umfassen den Einsatz erneuerbarer Energien, die Optimierung von Produktionsprozessen und die Verbesserung der Ressourceneffizienz. Besonders bei rohstoffintensiven Prozessen, wie in der Stahl-, Aluminium- und Papierindustrie, kann der Einsatz von Sekundärrohstoffen – also aus Abfällen hergestellten Rohstoffen – erhebliche Einsparungen bei den Treibhausgasemissionen bewirken. Viele Unternehmen nutzen dies auch in ihrer kommerziellen Kommunikation, um den Rezyklatgehalt ihrer Produkte hervorzuheben und ihr Engagement für Nachhaltigkeit sichtbar zu machen.

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Bild: Robert Hermann ist Leiter des Bereichs Green Energy & Sustainability bei TÜV SÜD.

Während der Einsatz von Sekundärrohstoffen in der Stahl- und Papierindustrie bereits weit verbreitet ist, gewinnt er nun auch in der Kunststoffindustrie zunehmend an Bedeutung. Die Herstellung von Kunststoffen erfordert große Mengen an fossilen Rohstoffen wie Öl und Gas, was zu einem hohen Ressourcenverbrauch und erheblichen Treibhausgasemissionen führt. Mehrere Projekte zeigen bereits Erfolge beim Einsatz von Rezyklaten in Kunststoffen, was zu einer Reduktion der Umweltbelastung führt und gleichzeitig das Vertrauen der Verbraucher in die Nachhaltigkeit der Produkte stärkt.

Zudem kann die Kunststoffindustrie verstärkt auf die Recyclingfähigkeit von Verpackungen und Produkten achten. Eine hohe Recyclingfähigkeit bedeutet, dass Materialien nach ihrer Nutzung effizient wiederverwertet werden können, was den Abfall reduziert und somit Emissionen einspart. Fakt ist, dass Kunststoffe, die nicht recycelt werden, oft auf Deponien landen oder verbrannt werden, was zusätzliche Treibhausgasemissionen verursacht. Eine Verbesserung der Recyclingfähigkeit führt auch zu einer höheren Verfügbarkeit von Rezyklaten und trägt somit dazu bei, die steigende Nachfrage zu decken. Daher ist es entscheidend, dass Verpackungen zukünftig recyclingfähig sind, wie es die geplante EU-Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle PPWR vorsieht.

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