Saturday, July 26, 2025

Mehrwert für Manager

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Wie mit der Digitalisierung der Energieverbrauch von Gebäuden und Anlagen reduziert wird – und auch der Energieversorger partnerschaftlich eingebunden wird.

Bild: iStock

Der Klimawandel zwingt die Energieversorger, nicht nur ihre Stromproduktion auf erneuerbare Quellen umzustellen, sondern jede kleinste Effizienzlücke zu nutzen, um Energie zu sparen. Digitalisierung auf höchstem Niveau ist ein Teil, Flexibilisierung der Produktion und des Verbrauchs der andere. Und das funktioniert nur, wenn auch die Stromkunden mitspielen. Für sie wird Strom in Zukunft nicht einfach nur ein Produkt sein, das aus der Steckdose kommt und um das sie sich nicht weiter kümmern müssen. Stromkunden der Zukunft leben in smarten, digital gesteuerten Wohnungen oder Eigenheimen, sind total vernetzt und können ihren Verbrauch per App am Handy zu den jeweils günstigsten Tarifen – zumindest in einem bestimmten Ausmaß – mitgestalten. Wer auch seinen Versorger mitgestalten lässt, hat noch mehr Preisvorteile. So jedenfalls zeichnen Versorger, Immobilien- und Hightech-Konzerne wie Siemens die Zukunft.

Die Technologieunternehmen haben gute Gründe für ihre Zukunftsvision. Da ist zum einen der Klimawandel. »40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes stammen von Gebäuden«, erklärt Rahul Chillar, Executive Vice President Software, Siemens Smart Infrastructure Buildings. Gebäude sind damit ein zentraler Faktor im Kampf gegen den Klimawandel. Da Prognosen der UNO zufolge die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen wachsen wird und der Zuzug in Städte ungebrochen stark bleibt, sind die Herausforderungen, die an Gebäude gestellt werden, groß. 68 Prozent der Weltbevölkerung dürften 2050 in urbanen Räumen leben und 90 Prozent der Lebenszeit wird in Gebäuden verbracht werden, zitiert Chillar weitere UNO-Daten. Die Lösung seien also digital vernetzte Häuser, in denen das gesamte Gebäudemanagement, die Energieversorgung und die Belüftung per Software gesteuert werden.

Ein Gebäude, das mitdenkt
Etwa zwei Kilometer nordöstlich vom Mailänder Stadtzentrum liegt das Viertel Porta Nuova. Der Stadtteil wurde in den vergangenen Jahren von der italienischen Investment- und Immobilienentwicklungsgesellschaft Coima modernisiert. Das Motto dafür: nachhaltig, umweltfreundlich, grün. Rasenflächen, Bäume und der berühmte »vertikale Wald« (bosco verticale), zwei Gebäude, aus denen in jedem Stock Bäume wachsen – ein Tummelplatz für die Superreichen von Mailänder Fußballern bis zu Mode-Gurus. In Sichtweite dieser Wald-Immobilien steht auch das elfstöckige Gebäude namens »Pirelli 35«, das jüngste Projekt von Siemens Smart Infrastructure und Coima. Dort wurde umgesetzt, was Rahul Chillar als Zukunft der Immobilien bezeichnet. Das Gebäude braucht keine Hausverwaltung, die sich um die Instandhaltung der 45.000 Quadratmeter Büro- und Geschäftsflächen kümmert, kein Verwaltungsmitarbeiter muss Techniker beauftragen, die elektrische Leitungen reparieren, Glühbirnen tauschen oder kaputte Wasserhähne erneuern. Das Gebäude denkt selbst.

16.000 Sensoren überwachen alles, was überwacht werden kann, und steuern Heizung sowie Belüftung. Im Erdgeschoss sitzt der Administrator des Gebäudes vor mehreren Bildschirmen. Dort melden die Sensoren Temperaturen von Räumen, Luftqualität, wer kommt und wer geht. Bewohner und Büroangestellte können via Apps in kleinem Umfang ihre Raumtemperaturen steuern. Ein Grad mehr oder weniger als die Zentrale vorgibt, ist schon möglich. Die Sensoren zeigen auch an, dass die Raumtemperatur gesenkt werden kann, wenn sich etwa in Sitzungsräumen viele Personen aufhalten oder wenn die Luft zu viele Schadstoffe wie Feinstaub enthält. Dann werden die Luftfilter in Gang gesetzt.

Die digitale Steuerung zusammen mit der Versorgung des Gebäudes großteils mit erneuerbarer Energie bringt den 40 gewerblichen Mietern des 65 Jahre alten Gebäudes eine hervorragende Ökobilanz. Der Energieverbrauch konnte durch die Digitalisierung laut Siemens Smart Infrastructure um 60 Prozent verringert werden. 2.000 Tonnen weniger CO2-Emissionen werden dadurch jährlich eingespart. Desigo CC heißt das Gebäudemanagementsystem, das von Siemens im Pirelli 35 einsetzt wird. Alle Abläufe in dem Gebäude werden koordiniert und zentral überwacht – von Stromverteilung über Klimatechnik, Beleuchtung bis zum Brandschutz. Doch bietet das hohe Maß an Überwachung nicht auch ein Einfallstor für Cyberangriffe? »Nein«, betont man bei Siemens. Die Cybersicherheit dieses Systems sei in hohem Maße gegeben.

Pirelli 35 ist für Siemens ein Vorzeigemodell für nachhaltige urbane Regeneration. »In Großstädten könnten viele Gebäude von der Digitalisierung profitieren. So könnten auch ältere Immobilien in energieeffiziente Anlagen umgewandelt werden«, zeigt sich Susanne Seitz, CEO Buildings bei Siemens Smart Infrastructure, überzeugt.

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Bild: Der Bürokomplex Pirelli 35 aus den 1960er-Jahren ist heute ein Wahrzeichen der Moderne in Mailand.

Der digitalisierte Patient
Im nach Eigenangaben »modernsten Hightech-Spital der Schweiz«, dem Kantonspital Baden, ist digitale Vernetzung inzwischen selbstverständlich. 7.000 Sensoren sind mit allen elektrischen Geräten des Spitals, Beleuchtung, Lüftung und Brandschutz verbunden. So wie im Pirelli 35 in Mailand wird auch hier zentral überwacht, wie warm und wie hell oder wie sauber die Luft ist. Aber das ist noch nicht alles. Über die Siemens-Plattform Xcelerator können die Patienten via App am Handy durchs Krankenhaus navigiert werden. Zum Beispiel: Ein Patient kommt zu mehreren Untersuchungen wie Blutabnahme, Röntgen und CT ins Spital. Er erhält bei der Anmeldung die App, die ihn zu den Untersuchungsräumen führt. Die behandelnden Ärzte wissen, wo er ist und wann er in den nächsten Untersuchungsraum kommt. »Das erhöht die Effizienz und Kapazität«, beschreibt Claudia Guenzi, Head of Siemens Smart Infrastructure Italy, die Vorteile am Beispiel Kantonspital Baden. Die Attraktion der App für die Patienten: Die Wartezeit wird erheblich reduziert.

Betreut werden die Patienten noch von echten Menschen, zumindest fast immer. Denn das Essen transportieren Roboter, die autonom durch die Gänge fahren. Auch der Medikamentenkühlschrank wird von Robotern bedient. Dank der vielen Sensoren hat das Personal ständig den Überblick, wo welche medizinischen Instrumente sind und sogar, wo Betten frisch gemacht werden müssen. Nach den wenigen Monaten des digitalen Betriebs ziehen Siemens und das Spital eine positive Bilanz. Die Kosten für die digitalen Installationen dürften sich dank Personaleinsparungen in zwei Jahren amortisieren.

Flexible Kunden sparen Geld
Weiterer Schauplatzwechsel. Die Sorgen, die der Stromnetzbetreiber ­AcegasApsAmga, der den Großraum Triest versorgt, hat, teilen viele europäische Netzbetreiber: enorm rasch steigende Stromproduktion durch dezentrale PV-Anlagen, wachsender Strombedarf dank Elektrifizierung vieler Lebensbereiche bringen die Netzinfrastruktur an ihre Grenzen. Gerade jetzt im Sommer wachsen die Unsicherheiten im Netz, zumal viel Sonnenstrom Mittagsspitzen im Netz verursacht, die Preise ins Negative fallen lassen und die Netze nahezu zum Glühen bringen. Gemeinsam mit Siemens hat AcegasApsAmga jetzt einen digitalen Zwilling des Triester Stromnetzes erstellt, der mittels der Software Gridscale X unmittelbar Engpässe aufspürt und einen Ausgleich zwischen der volatilen PV-Strom­erzeugung und dem wachsenden Bedarf der Infrastruktur am Triester Hafen erstellt. »Wir hoffen damit, potenzielle Überlastungen im Netz im Voraus zu erkennen und die notwendigen Antworten zu berechnen«, sagt Carlo Andrioli, CEO von AcegasApsAmga.

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Bild: Acegas simuliert, überwacht und regelt Energieflüsse in »Echtzeit« über einen Digital Twin.

Andrioli setzt auf einen zweiten Ansatz, um Netzproblemen vorzubeugen: die Einbindung der Stromverbraucher. Sie sollen zustimmen, dass AcegasApsAmga ihre Verbräuche vorübergehend reduzieren darf, um Stabilität im Netz zu erreichen. Das kann etwa das Aufschieben des Ladens eines E-Autos sein, das Zurückfahren der Klimaanlage oder im Winter der Wärmepumpe. Die Stromkunden bekommen für das Zurverfügungstellen dieser Flexibilitäten Geld. Attraktiv ist dies vor allem für größere Verbraucher wie Büros oder Industriebetriebe. Anfang 2026 soll die EU einen regulatorischen Rahmen für diese neue Flexibilität am Strommarkt erstellen. Dann soll es auch möglich werden, mit den Flexibilitäten zu handeln – ein neues Geschäftsmodell, das sich damit auftut. Und für private Stromkunden, die über PV-Anlagen und E-Autos verfügen, zumindest eine neue Möglichkeit, ihre Stromrechnung zu reduzieren.

Salatöl statt Erdöl
Im Kampf gegen den Klimawandel gehen Stromnetzbetreiber in kleinste Details, die Treibhauswirkung haben. So will AcegasApsAmga in seinen Trafostationen auch fossile Schmieröle zunehmend durch pflanzliche Öle ersetzen, um damit den CO2-Fußabdruck zu verbessern. In den Schaltanlagen soll das äußerst starke Treibhausgas SF6 (Schwefelhexafluorid), das als Isoliermittel verwendet wird, durch gereinigte Luft ersetzt werden. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn damit dieser Ersatz gelingt, muss der Druck in den Anlagen erhöht werden, was das Material unter Stress setzt. Siemens hat diese Alternative der F-Gas-freien Schalt­anlagen entwickelt und bringt sie in Einsatz. Denn ab 2026 tritt das schrittweise Verbot dieser Gase in der EU in Kraft.

 

Der Bereich in Zahlen: Siemens Smart Infrastructure ist einer der vier großen Geschäftsbereiche des Technologiekonzerns. Mit 78.500 Mitarbeiter*innen wurde im Geschäftsjahr 2023/24 (per Ende September) ein Umsatz von 21,4 Milliarden Euro weltweit erwirtschaftet.

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