Freitag, Mai 10, 2024

Wenn Change-Vorhaben in Unternehmen scheitern, mangelt es meist an der Kommunikation. Verantwortlich dafür sind die Führungskräfte, die den Wandel gestalten und durchführen. Ihnen muss es gelingen, die MitarbeiterInnen für die Veränderungen zu begeistern.

Von Angela Heissenberger

Technologischer Wandel, volatile Märkte, geopolitische Krisen: Unternehmen sind stetig gefordert, auf Veränderungen rechtzeitig zu reagieren. Stillstand ist keine Option – darüber besteht in den Chefetagen Einigkeit. Doch wie diese Veränderungen zu managen sind, gilt als die zentrale Herausforderung der künftigen Personalarbeit, wie die Beratungsgesellschaft Kienbaum berichtet. Für den »HR-Klima Index 2015« wurden branchenübergreifend rund 500 HR-Verantwortliche in mehr als 15 Ländern befragt. Die gro­ßen Themen der letzten Jahre wie Big Data, Work-Life-Balance und Diversity Management stehen nicht mehr im Mittelpunkt. Stattdessen gewinnt die Weiterentwicklung von Qualifikationen an Bedeutung, um für Veränderungsprozesse besser gerüstet zu sein. Eine wesentliche Rolle spielt auch die zunehmende Globalisierung, weiß Manuel Ster, in der Geschäftsleitung Kienbaum Wien verantwortlich für das Thema HR-Management: »Die Personalarbeit wird immer internationaler. Wer Change-Projekte erfolgreich begleiten und steuern will, darf nicht an Ländergrenzen Halt machen.«

Abwehrhaltung

Sieben von zehn Change-Prozessen scheitern, heißt es in der Fachliteratur. Unternehmensberaterin Gerhild Deutinger hegt Zweifel an der Validität dieser Zahl, die der deutsch-niederländische Soziologe Egbert Deekeling 2009 nannte und die seither regelmäßig zitiert werden. Zudem gehen Unternehmen mit dem Begriff beinahe inflationär um. »Die Zahl gescheiterter Change-Projekte ist auch deshalb so hoch, weil so vieles unter diesem Titel läuft. Die Installierung einer neuen Telefonanlage als Change zu bezeichnen, ist schon ein bisschen übertrieben – das gehört doch zum normalen Alltag in einem Unternehmen«, sagt Deutinger. Nachvollziehen kann die Kommunikationsexpertin jedoch die Gründe, die zum Scheitern von Veränderungsprozessen führen. Auf nicht strukturierte oder mangelnde Kommunikation, schlechte Nachvollziehbarkeit sowie unklare Verantwortlichkeiten im Projektmanagement stößt auch Deutinger häufig, wenn sie als »Feuerwehr« strauchelnde Change-Vorhaben noch retten soll. Oft sei schon der Zeitraum zu knapp bemessen: »Eine strukturelle Fusion von zwei Firmen ist schnell geplant, aber die kulturelle Umsetzung dauert bis zu drei Jahre.« Veränderungen, die persönliche Werte in Frage stellen, brauchen noch länger – auch wenn sie von den Mitarbeitern rational verstanden werden. Bei der Einführung von Diversity in einem mittelständischen Betrieb sah sich Deutinger mit einem Controlling-Leiter konfrontiert, der nach langen Diskussionen für sich den Schluss zog: »Die Idee, Frauen zu fördern, ist schon okay. Aber meine Frau bleibt zu Hause.« Mitarbeiter zu Nachhaltigkeit, gesunder Ernährung oder Interkulturalität zu »erziehen«, ist gut gemeint. Leider nehmen aber Menschen bei aufgesetzten Verhaltensinitiativen sofort eine Abwehrhaltung ein. Da wird sehr genau beobachtet, ob der Geschäftsführer manchmal mit dem Fahrrad kommt, der »fleischlose« Tag in der Kantine auch für den Vorstand gilt und wie viele Migranten tatsächlich in leitende Funktionen kommen. Ein Turnaround, der mit einschneidenden Sparmaßnahmen und drastischem Personalabbau einhergeht, stellt die interne Kommunikation auf eine heikle Probe. Was, wann und an wen kommuniziert wird, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Motivation und das Vertrauen der Mitarbeiter. Schönfärberei ist fehl am Platz, will man einen Exodus der Leistungsträger verhindern. Experten wie der deutsche Change-Coach Winfried Berner plädieren in dieser Phase für Offenheit: »Viele Manager empfinden in dieser Situation eine dumpfe Angst, durch zu offene Kommunikation möglicherweise eine Katastrophe auszulösen. Tatsächlich spürt man die Verantwortung, die man als Manager trägt, selten so hautnah und körperlich wie in einer solchen Situation. Betrachtet man die gleiche Situation aber aus Sicht der Mitarbeiter, ist die Sache ganz offensichtlich: Sie wollen Klarheit.«

Gemeinsame Reise

Bei der voestalpine Edelstahl GmbH gelang es mit Hilfe externer Betreuung, zwei sehr unterschiedliche Unternehmenskulturen zu fusionieren. Ein neu gekauftes, mittelständisches Unternehmen sollte in den internationalen Stahlkonzern integriert werden, wobei sich unter den Mitarbeitern des bis dahin eigentümergeführten Betriebes zunächst Unmut regte. Von Anfang an setzte der Vorstand auf klare, ehrliche Kommunikation mit allen Zielgruppen. »Wir legten großen Wert darauf, den neuen Mitarbeitern darzustellen, wo die gemeinsame Reise hingeht«, erzählt Marion Drescher, HR-Leiterin der voestalpine Edelstahl. »Entscheidend war, ihnen zu verdeutlichen, dass es in Ordnung ist, unsicher und manchmal orientierungslos zu sein.« Auf einer Roadshow wurden alle Standorte über die bevorstehenden Änderungen und Entwicklungen informiert. In gemeinsamen Dialogen einigten sich die Führungskräfte beider Seiten darauf, welche kulturellen Gegebenheiten in der jeweiligen Organisation beibehalten werden und von welchen Hindernisse man sich lösen sollte. Neurobiologe Gerald Hüther berichtet von einem Bottom-up-Prozess, den ausgerechnet ein Team der Braunschweiger Polizei in Gang setzte. Angeregt durch das Coaching-Modell der Volkswagen AG initiierte eine kleine Gruppe Angebote zur Konfliktbewältigung und Krisenintervention. Alle internen Berater und Trainer sollten »echte« Polizisten sein, die den Alltag ihrer Kollegen nachvollziehen können. Ein tragisches ICE-Unglück mit mehr als 100 Toten und zahlreichen Verletzten spielte der Etablierung des Pilotprojekts schließlich in die Hände: Die anfängliche Skepsis – solche »weichen« Themen hätten bei der Polizei nichts zu suchen – wich der Überzeugung, dass gerade Polizisten oftmals mit traumatischen und belas­ tenden Einsätzen konfrontiert sind. Heute umfasst das Angebot der Braunschweiger Polizei auch Themen des privaten Umfelds wie Sucht, Depressionen, Überforderung oder Beziehungsprobleme. Die Polizei Niedersachsen richtete nach diesem Vorbild regionale Beratungsstellen ein – und selbst ein 60-jähriger Hauptkommissar findet nichts mehr dabei, einen Tai-Chi-Kurs zu belegen.

Können und Wollen

Führungskräften kommt im Change Management eine Schlüsselrolle zu. Sie müssen den Wandel gestalten, mit gutem Beispiel vorangehen. Ohne Einbindung der Mitarbeiter läuft gar nichts. Wird das Vorhaben nicht von allen mitgetragen, von einigen boykottiert oder sogar Widerstand geleistet, ist es selten von Erfolg gekrönt. Laut Capgemini Consulting zeigt sich schon zwischen erster und zweiter Führungsebene eine drastische Kluft zwischen dem »Können«, also der Veränderungskompetenz, und dem »Wollen«, der Veränderungsbereitschaft. Aber wie sollen Veränderungen funktionieren, wenn nicht einmal mehr die zweite Führungsebene davon überzeugt ist? Oft resultiert diese Resignation aus einer gewissen Veränderungsmüdigkeit. Gerade in großen Unternehmen oder Konzernen wechselt das Management mitunter im Zweijahrestakt. Jeder neue Chef will seinen Stempel aufdrücken und krempelt den Laden komplett um. Auf die sogenannten »weichen« Faktoren wird dabei vergessen. »Ich muss nicht nur die Emotionen der Mitarbeiter berücksichtigen, sondern auch jene der Führungskräfte, die diese Veränderungen verantworten. Wenn ich die nicht beachte, kann ich das Projekt streichen«, erklärt Gerhild Deutinger. »Mitarbeiter reflektieren immer auf ihre unmittelbaren Vorgesetzten, vor allem in großen Unternehmen. Wann sehen sie schon den Oberboss? Wenn mir die Führungskraft ›Ach, lass ihn nur reden‹ signalisiert, weiß ich schon, welche Priorität dieses Vorhaben hat. Dann werde ich mich nicht so engagieren.«

Eine Frage der Ressourcen

»Ein Festhalten an Schema F ist für wirksames Change Management nicht mehr ausreichend«, sagt Capgemini-Studienleiterin Ursula Bohn: »Hier ist eine bestimmte Person mit der richtigen Persönlichkeit, Führungsstil und Verhalten gefragt, die den Wandel aktiv gestalten will.« Sie identifiziert drei Managertypen, die unterschiedlich mit Veränderungen umgehen. »Change Leader« führen Transformationen am erfolgreichsten durch. Sie haben mehr als zehn Jahre Führungsverantwortung und ihre Position in der Organisation gefunden, ein Drittel von ihnen arbeitet im Mittelstand. »Change Manager« sind dagegen keine Top-Entscheider. Jeder zweite hat fünf oder mehr Jahre Erfahrung, fast zwei Drittel sind in einem Konzern tätig und verfügen über ausgeprägtes Know-how zum Thema Organisationsentwicklung. Sie kämpfen aber um ihre eigene Legitimation und halten sich an Hierarchien, weshalb oft der Blick für die richtige Herangehensweise fehlt. Sie begleiten und verwalten die Veränderungsprozesse, gestalten sie aber selten aktiv mit. Auch »Change Controller« kommen großteils aus Konzernen und bringen viel Fachexpertise, aber vergleichsweise wenig Fähigkeiten für die Bewältigung von Change-Prozessen mit. Sie verantworten neben Reorganisations-Projekten vor allem Kostensenkungsprogramme, die vom Management angeordnet sind, und erhalten seitens der Organisation wenig Unterstützung. Unter den drei angeführten Managertypen zeigen sie bei Change-Projekten die geringste Wirksamkeit. Gute Methodenkenntnis ist für Ursula Bohn nur der halbe Weg zum Erfolg: »Unternehmen müssen bereit sein, in ihre Veränderungsfähigkeit zu investieren. Der höchste Return-on-Investment lässt sich durch den Ausbau individueller Stärken erzielen.«


Glossar

7 Phasen der Veränderung nach Richard K. Streich durchlaufen die emotionale Reaktionen der MitarbeiterInnen in Change-Management-Prozessen in der Regel sieben Phasen. Ausnahmen sind Veränderungen, die nicht als grundlegend oder erschütternd erlebt werden oder wenig überraschend kommen sowie Veränderungen, bei denen die MitarbeiterInnen in die Erarbeitung von Lösungen einbezogen wurden. Vor allem bei großen, abrupten Veränderungen treten die Reaktionen aber nach folgendem Muster auf:

1. Schock. Die MitarbeiterInnen werden mit dem notwendigen Wandel konfrontiert. Typische Reaktionen in dieser Phase sind Schock und Überraschung, Angst vor der neuen Situation und Unverständnis. Dies schlägt sich häufig in sinkender Produktivität nieder, da den MitarbeiterInnen vermittelt wird, dass bisherige Verhaltensweisen nicht mehr adäquat sind.

2. Ablehnung. Nach dem ersten Schock schließen sich die Betroffenen zusammen, um gegen die angekündigten Maßnahmen, die aus ihrer Sicht überflüssig sind, zu protestieren. Typische Aussagen in dieser Phase sind: »Das kann doch nicht sein, wir haben es doch bisher immer richtig gemacht.« In solchen Reaktionen zeigt sich die Angst, gewohnte Strukturen und Teile der vertrauten Unternehmenskultur zu verlieren.

3. Rationale Einsicht. Die MitarbeiterInnen erkennen, dass ihre ablehnende Haltung nicht den gewünschten Erfolg bringt und ein Wandel unvermeidbar, vielleicht sogar notwendig ist. Eine tiefergehende Bereitschaft, eigene Verhaltensweisen grundsätzlich zu überdenken, ist jedoch noch nicht vorhanden. Vorerst werden nur erste, oberflächlich Veränderungen wahrgenommen und kurzfristige Lösungen gesucht.

4. Emotionale Akzeptanz. Am tiefsten Punkt kommt es zur entscheidenden Wendung. Die MitarbeiterInnen beginnen die Veränderung zu akzeptieren. Gewohnte Verhaltensweisen werden aufgegeben, eine grundlegende Neuorientierung kann beginnen.

5. Lernen. Die MitarbeiterInnen beginnen, mit der Situation umzugehen und entwickeln Neugier auf den Wandel und die damit verbundenen Handlungen. Durch Ausprobieren sowie Erfolge und Misserfolge wird gelernt, welche Verhaltensweisen angebracht sind. Permanente destruktive Kritik kann jedoch entmutigen.

6. Erkenntnis. Die MitarbeiterInnen erkennen, dass die Veränderung auch etwas Gutes hat. Durch erste Erfolge vollzieht sich eine Erweiterung der eigenen Fähigkeiten. Die Integration der Handlungen in den Alltag beginnt. Zu schnelles »Zurücklehnen« birgt die Gefahr, schleichend in alte Muster zurückzufallen.

7. Integration. Die neuen Verhaltensweisen werden von den MitarbeiterInnen als selbstverständlich erachtet. Ihr Selbstbild und die grundlegenden Unternehmenswerte haben sich verändert.


Buchtipp: Geheimwaffe Kommunikation

Jeder Veränderungsfall ist individuell, deshalb gibt es auch kein Patentrezept – wohl aber Parameter, die in vielen Change-Projekten wiederkehren. Die Autorin erläutert die damit verbundenen Aspekte und unterschiedlichen Verläufe gespickt mit vielen Beispielen und plädiert eindringlich, Emotionen ausreichend Raum zu lassen. Um die Stimmung, Ängste oder auch Wut der Belegschaft zu spüren, sollten Manager bewusst den Dialog suchen. Ist das »Tal der Tränen« durchschritten, geht es meist bergauf. Die Methode des »Storytelling« kann dabei wertvolle Dienste leisten: In eine Geschichte verpackt, wird der Prozess leichter verständlich. Auch wenn das Szenario unzählige Male mit den Mitarbeitern besprochen wurde, gilt der Grundsatz: Kommuniziert kann nie genug werden. Das zeigen auch die Interviews mit Führungskräften, die unterschiedliche Veränderungsprozesse gemanagt haben und offen von ihren Erfahrungen und Schwierigkeiten berichten.

Gerhild Deutinger: Kommunikation im Change. Erfolgreich kommunizieren in Veränderungsprozessen.
Springer Gabler, Berlin-Heidelberg 2013
ISBN: 978-3-642-37204-9

 

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