Mittwoch, Mai 01, 2024
Personalchefin KI

Wer einen Job bekommt oder nicht – diese Wahl trifft immer öfter auch eine künstliche Intelligenz. Doch entscheidet sie tatsächlich fair und unvoreingenommen? Und werden Recruiter bald überflüssig? Text: Angela Heissenberger

Künstliche Intelligenz bietet im HR-Bereich viele Möglichkeiten, um bestimmte Abläufe zu automatisieren und effizienter zu gestalten. Bei der Erstellung von Anforderungsprofilen und Stellenausschreibungen, der Verwaltung von Bewerbungen, beim Screening von Lebensläufen und der Kommunikation mit Kandidat*innen leistet smarte Software bereits gute Dienste. Auch die Beantwortung der Fragen von Interessent*innen durch einen Chatbot kann zu einer positiven »Candidate Experience« beitragen. Dass Jobanwärter*innen wochenlang über den Stand ihrer Bewerbung im Unklaren bleiben oder gar überhaupt keine Antwort erhalten, kann beim Einsatz eines professionellen HR-Managementsystems nicht passieren.

Die Übernahme dieser Aufgaben durch KI setzt Kapazitäten frei, die im Personalbereich häufig fehlen, um strategische Ziele, etwa in der Förderung von Talenten, zu verfolgen. Dennoch hagelt es auch Kritik an automatisierten Recruiting-Prozessen. Da Algorithmen die im Anforderungsprofil angeführten Punkte konsequent nach Übereinstimmungen screenen, haben Bewerber*innen mit nicht-linearen Erwerbsbiografien weniger Chancen. Auch Lücken im Lebenslauf wirken sich nicht gerade vorteilhaft aus. Amazon stellte 2018 zudem fest, dass die eingesetzte Recruiting-Software Bewerbungen von Frauen schlechter bewertete als jene von Männern. Die zugrundeliegenden Algorithmen waren anhand der bisherigen Einstellungsbilanz trainiert worden, und da Männer in Tech-Berufen überrepräsentiert sind, ging die KI davon aus, dass männliche Bewerber vorzuziehen seien.

Laut einer Untersuchung der Harvard Business School setzen 99 Prozent der Fortune-500-Unternehmen ein »Applicant Tracking System« (ATS) bei der Personalsuche ein, in Deutschland und UK sind es schon 63 Prozent. Gleichzeitig blüht ein Markt für Tools auf, mit denen ATS-Screenings angeblich umgangen werden können. Die Tipps und Tricks reichen von unsichtbar hinterlegten Textpassagen (»White Fonting«), die nur die KI erkennt, bis hin zu Möglichkeiten, Lücken im Lebenslauf sinnvoll zu schließen.

Bewerben beim Chatbot

Recruiting Robots urteilen tatsächlich nicht so unvoreingenommen, wie man gerne glauben möchte. Die Technologie steckt noch in der Entwicklung und macht zwangsläufig Fehler. Trotzdem überwiegen für Peter Kolb, CEO des Recruiting-Pioniers LogOn, schon jetzt die Vorteile: Sie spare Zeit und bringe mehr Diversität in Teams. Mit der Bewerbungs-App justappl.ai blickt der Softwareentwickler weit in Richtung Zukunft.

Ein typischer Bewerbungsprozess läuft damit so ab: Klickt man in einer Stellenanzeige auf den »Bewerben«-Button, kann man entweder klassisch einen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben hochladen oder sich per Voice- oder Text-Chat bewerben. Die beiden letztgenannten Varianten funktionieren mit KI-Unterstützung und sind wie ein kurzes Jobinterview aufgebaut. Die künstliche Intelligenz passt ihre Fragen an die für den jeweiligen Job erforderlichen Informationen an. Das Gespräch fühlt sich dadurch natürlicher an als ein Dialog mit einem klassischen Chatbot, der stur seinen vorgegebenen Fragenkatalog abarbeitet. Zudem weist das System vor dem Absenden der Bewerbung auf unvollständige oder unkonkrete Angaben hin. »In den Optimierungsratschlägen heißt es dann zum Beispiel: Sie haben in der Kategorie Berufserfahrung bei Ihrem letzten Job keine Branche angegeben. Wollen Sie das noch ergänzen?«, erläutert Kolb. Die Bewerber*innen erhöhen damit ihre Chancen auf ein persönliches Gespräch.

Fehler könnten zwar nie ausgeschlossen werden, so Kolb, der menschliche Recruiter sei jedoch auch nicht unfehlbar. Wie durch Studien mehrfach belegt ist, werden beispielsweise Bewerber*innen mit den Vornamen Kevin, Chantal oder Ali sowie Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe in herkömmlichen Auswahlverfahren deutlich benachteiligt. Für die KI sollten Name, Geschlecht oder Herkunft hingegen keine Rolle spielen – außer diese Merkmale sind eigens als Kriterien für die Vorselektion festgelegt, was allerdings nicht den ethischen Standards entspricht. Gemäß dem AI-Act der EU ist die ausschließlich automatisierte Entscheidungsfindung durch künstliche Intelligenz ohnehin nicht erlaubt.

Besondere Talente

Die Stärke der künstlichen Intelligenz ist gleichzeitig ihr Pferdefuß: KI-Tools sind darauf trainiert, Muster zu erkennen. Man müsse ihr also beibringen, in der Masse nicht Gleiches zu finden, sondern »den statistischen Ausreißer, die Exzellenz«, meint Philipp Wissgott, CEO des Wiener Unternehmen danube.ai. Gemeinsam mit devjobs, einem Karriereportal für IT-Talente, entwickelte das Start-up treffsichere KI-Algorithmen. Statt zu versuchen, die Stellenangebote oder die Bewerber*innen zu kategorisieren, wird für jeden einzelnen Jobsuchenden eine eigene Kategorie berechnet, die KI schlägt dann gezielt geeignete Stellen vor.

Die größten Talente oder die am besten ins Team passenden Personen sind bekanntlich oft nicht gerade jene Bewerber*innen, die einen makellosen Lebenslauf vorzuweisen haben. Die Grenzen der KI zeigen sich auch immer dann, wenn sie Gefühle anhand von Gesichtsausdrücken deuten und einordnen soll. Nicht zuletzt aufgrund eklatanter Fehlentscheidungen verbietet der AI-Act auch die KI-Erkennung menschlicher Emotionen, z. B. bei einem Video-Jobinterview.

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