Sonntag, April 28, 2024
Heiße Nächte, kühle Städte
(Titelbild: iStock)

Beim Klimawandel kommt Smart-City-Konzepten eine tragende Rolle zu. Intelligente Gebäude und Verkehrskonzepte können die Energieeffizienz erheblich verbessern – und überhitzte Stadtkerne abkühlen. 

Der Sommer 2023 war global gesehen der mit Abstand heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen 1940. »Wir werden weiterhin Klimarekorde sowie intensivere und häufigere extreme Wetterereignisse sehen, die sich auf Gesellschaft und Ökosysteme auswirken«, erklärte Samanth Burgess, Vizedirektorin des EU-Klimawandeldienstes Copernicus. Laut den Berechnungen der US-Klimabehörde NOAA erreichte die weltweite CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre einen historischen Höchststand – mit dramatischen Folgen für das Klima und damit auch für unsere Lebensqualität. Längere und heißere Hitzeperioden werden häufiger vorkommen und stellen insbesondere urbane Gebiete vor große Herausforderungen. Das Bevölkerungswachstum, der zunehmende Verkehr und die Überhitzung der Städte treiben den Energiebedarf in Ballungsräumen stetig an.

Die Entwicklung ist alarmierend und betrifft längst nicht nur Metropolen. »In den letzten 30 Jahren haben sich die Temperaturverhältnisse in Graz dramatisch nach oben verändert – der Temperaturanstieg war hier sogar stärker als im weltweiten Durchschnitt«, verweist etwa der Klimatologe Reinhold Lazar auf die aktuelle Stadtklimaanalyse. Bezirke, in denen es nur wenige Grünflächen und viele verbaute Innenhöfe gibt, stellen zentrale Hitzeinseln dar, wo es nachts teilweise um fünf Grad wärmer ist als im Umland. Auch Innsbruck weist bereits mehr als doppelt so viele Hitzetage wie Salzburg auf.

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Durchlüftung: Frischluftströme, die – wie beispielsweise in Wien vom Westen aus dem Wienerwald her – nachts für Abkühlung sorgen, müssen bei der Stadtplanung stärker berücksichtigt werden. Über die Auswertung langjähriger Messungen von Wind- und Temperaturdaten ist eine exakte Lokalisierung dieser wichtigen Luftkorridore, die unverbaut bleiben sollten, möglich. 

Das im Vorjahr abgeschlossene Projekt »Lucretia« der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) untersuchte, wie stark die Lufttemperatur während Hitzeperioden in urbanen Bereichen räumlich variiert. »Für das Projekt haben wir die Berechnungen von hochaufgelösten Computermodellen analysiert und auch die Messdaten von privaten Wetterstationen eingebunden«, sagt Projektleiterin Maja Zuvela-Aloise von der ZAMG, »weiters wurde der Einfluss unterschiedlicher Datensätze der Landnutzung auf die Modellergebnisse ausgewertet.«

Das Stadtklimamodell zeigt die Wärmeinseln in Wien. (Foto: ZAMG)

Das Fazit: Massive Veränderungen der Bebauung können die Zahl der heißen Tage deutlich erhöhen oder senken. Während die Umwandlung von Acker- in Industriefläche zu einem durchschnittlichen Anstieg von zwölf »Sommertagen« mit mindestens 25 Grad führt, bewirkt umgekehrt die Umwandlung von Straßen- in Grünfläche eine Reduktion von durchschnittlich acht heißen Tagen pro Jahr.

Blaue und grüne Infrastruktur

Neben großer Hitze nehmen auch Starkregen und andere Extremwetterereignisse an Häufigkeit und Intensität zu, für die urbane Wasserkreisläufe nicht gerüstet sind – das Wasser kann in hochverdichteten Stadtkernen nicht versickern, Überflutungen sind die Folge. Fraunhofer IGB identifizierte blaue und grüne Infrastrukturen, also Wasser- und Grünanlagen, als bestmögliche Vorsorge gegen die Auswirkungen des Klimawandels: Auf Einstauflächen, z. B. großen Wiesen, kann sich das Wasser nach starken Regengüssen sammeln; Teiche und unterirdische Zisternen dienen als Wasserspeicher für spätere Trockenperioden. Unter dem Titel »Leipziger BlauGrün« wird ein klimaangepasstes Wasser- und Energiemanagement für ein Stadtquartier mithilfe einer sensorbasierten Prozesssteuerung erprobt. Die Ergebnisse werden direkt bei der Umsetzung des Modellquartiers »Eutritzscher Freiladebahnhof« in Leipzig berücksichtigt.

Als eine der ersten Gemeinden Österreichs hat die niederösterreichische Stadt Mödling das Schwammstadt-Prinzip umgesetzt. Beim Umbau der Guntramsdorfer Straße wurden in den Untergrund faustgroße Steine eingearbeitet. In den so entstandenen Hohlräumen sammelt sich das Wasser und fließt nicht sofort in die Kanalisation ab. Der Boden saugt sich wie ein Schwamm voll und speichert die Feuchtigkeit – beste Voraussetzungen für die Bäume, um Wurzeln zu schlagen.


Das Schwammstadt-Prinzip ermöglicht Bäumen eine gesunde Entwicklung in befestigten Flächen und schafft Retentionsraum für Niederschläge. (Grafik: 3.0 Landschaftsarchitektur)

In der Stadtgemeinde Wieselburg wurde eine Fläche in Bahnhofsnähe, die ursprünglich für Wohnbau reserviert war, auf Grünland rückgewidmet. Auf 6.000 Quadratmetern entstand ein Stadtwald mit Feuchtbiotop. Beim Bau von Parkplätzen wird versickerungsfähiges Material verwendet, damit die Fläche nicht vollständig versiegelt ist. Im August 2023 ging das dritte Wieselburger Sonnenkraftwerk in Betrieb. Die zusätzlichen Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Messehallen liefern eine Leistung von rund 1.000 kWp, auch drei Transformatoren und zwei Überschussspeicher wurden errichtet.

Die Finanzierung erfolgte größtenteils über Bürgerbeteiligung. Konkret konnten pro Person Anteile zwischen 1.000 und 5.000 Euro erworben werden. In einem Rückzahlungszeitraum von fünf Jahren erhalten die Teilnehmer*innen vertraglich garantiert fünf Prozent Zinsen. Dieser hohe Zinssatz ist möglich, weil die Auszahlung durch »Wieselburger 10er«, die lokale Einkaufswährung erfolgt – somit ist gleichzeitig eine regionale Wertschöpfung gegeben. »An die 200 Teilnehmer*innen konnten sich für eine Beteiligung begeistern. Im Durchschnitt wurden rund 3.000 Euro pro Person investiert«, zeigte sich Messegeschäftsführer Werner Roher beeindruckt.

Fundierte Datenbasis

Um Städte zukunftsfähig zu gestalten, können intelligente Technologien einen entscheidenden Beitrag leisten. Allein in der Europäischen Union gehen 40 Prozent des Energieverbrauchs auf Gebäude zurück – mittels digitaler Systeme, die über Sensoren im Livebetrieb Daten zu Energiebedarf, Netzbelastung und Nutzungsgewohnheiten sammeln und bewerten, können Wärme, Wasser und Strom effizienter gesteuert und genutzt werden. Bei autonomen Gebäuden geht es noch einen Schritt weiter, indem diese betriebliche Aspekte selbstständig regeln und sich mit anderen Gebäuden vernetzen. Sie agieren dabei nicht als isolierte Einheit, sondern sind Teil einer intelligenten Infrastruktur für Wasser- und Wärmeversorgung. Ganze Stadtteile können somit zu smarten Gefügen werden, in denen vernetzte Systeme eine fundierte Datenbasis liefern, um den Anforderungen einer klimaneutralen Zukunft zu begegnen.

»Die Menschen haben sich verändert und die Städte müssen es auch«, appelliert Vladislav Boutenko, Managing Director und Senior Partner der Boston Consulting Group, an die Stadtverwaltungen: »Es reicht nicht aus, pauschal festzustellen, dass sie die Lebensqualität verbessern müssen.« Joachim Henkel, Professor für Technologie- und Innovationsmanagement an der TU München, sieht unterschiedliche Bedürfnisse, die bei Planungskonzepten berücksichtigt werden müssen: »Ein Parkleitsystem wird hohe Priorität haben, wenn Parkraum knapp ist, während andernorts die Optimierung des öffentlichen Nahverkehrs oder die Überwachung der Luftqualität wichtig sind. Mit fortschreitendem Klimawandel sehen wir ein zunehmendes Interesse an Umweltsensorik wie Bodenfeuchtesensoren zur Steuerung der Bewässerung oder vermehrt Hochwasserwarnsysteme.«

Vladislav Boutenko, Henderson Institute der Boston Consulting Group. (Foto: BCG Henderson Institute)

Rudolf Giffinger, Co-Autor der Studie »RESIST« und emeritierter Leiter des Forschungsbereichs Stadt und Regionalforschung an der TU Wien, spricht in diesem Zusammenhang von »urbaner Resilienz«: »Dazu gehören gute Notfallsysteme, die schnell und mit ausreichender Kapazität auf Impacts reagieren können. Um die Widerstandsfähigkeit zu verbessern, braucht es aber zusätzlich eine kritische Bewertung, wie einzelne Systeme – Gesundheit, Bildung, Ernährung, Transport – flexibler gemacht und wie Fehler aus der Vergangenheit – z. B. unzureichende grüne Korridore, ungeeignete Bebauungsstrukturen, Versiegelung – vermieden werden können.«

Rudolf Giffinger, Studienautor: »Zur urbanen Resilienz gehören Notfallsysteme, die schnell auf Impacts reagieren können.« (Foto: TU Wien)

Größtes Anergienetz

Auf den Aspanggründen in Wien-Erdberg entsteht derzeit ein »perfektes Klimaschutzquartier«, wie es Michael Strebl, Geschäftsführer der Wien Energie, bei einer Baustellenbesichtigung nannte: »Wir schaffen hier ein ökologisches und ökonomisches Musterbeispiel für die klimaneutrale Stadt der Zukunft.« Auf dem elf Hektar großen Areal mit 22 Baufeldern wurden 500 Erdwärmesonden gesetzt. Diese reichen 150 Meter ins Erdreich – die Erdwärme gelangt über die Sonden mit fünf bis 19 Grad in die hauseigenen Wärmepumpen und wird im Winter zum Heizen und im Sommer zum Kühlen genutzt.

Erdwärmesonden nutzen die Temperatur des Erdreichs von fünf bis 19 Grad zum Heizen bzw. moderaten Abkühlen der Wohnungen und Gewerbeflächen. (Foto: A. Heissenberger)

Für die Entwicklung des ausgeklügelten Energiekonzeptes wurde Ampeers Energy, ein Spin-off der deutschen Fraunhofer Gesellschaft, an Bord geholt. Mit einer speziellen Software stellt das Unternehmen die optimale Nutzung, Verteilung und Speicherung der Energie sicher und ermöglicht den künftigen Bewohner*innen die Bildung einer baufeldübergreifenden Energiegemeinschaft. Flächenheizsysteme, wie z. B. Fußbodenheizungen, sorgen für effiziente Verteilung der Wärme. Die Abwärme, die im Sommer den Gebäuden entzogen wird, dient zusätzlich zur Warmwasserproduktion. Auf allen Dächern werden Photovoltaikanlagen installiert. Ein Großteil der für dieses Anergienetz benötigten Energie kann somit aus lokalen Ressourcen gewonnen werden.

Mit der Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wurde im Vorjahr die Grundlage geschaffen, Energie regional zu produzieren und vor Ort zu nutzen. Privatpersonen, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen können sich zu Erneuerbaren Energiegemeinschaften (EEG) zusammenschließen, um Energie zu erzeugen, zu speichern, zu verbrauchen und zu verkaufen.

Die erste EEG Oberösterreichs wurde in Steyr als Genossenschaft mit maßgeblicher Unterstützung des Raiffeisenverbandes OÖ und des oberösterreichischen Energiesparverbandes gegründet. Zunächst ging eine Pilotanlage mit rund 125 kWp auf einem Firmengebäude im Wirtschaftspark Steyr in Betrieb. Der weitere Ausbau der Photovoltaik soll zügig vorangetrieben werden, um die gesamte Stadt künftig zu 100 Prozent mit regionalem sauberen Strom zu versorgen. Auf den denkmalgeschützten Gebäuden der Steyrer Altstadt ist dies nicht möglich, alternativ möchte man vor allem Hallen- und Fabriksdächer an der Peripherie nutzen. Auch in anderen Bundesländern wurden bereits etliche Energiegenossenschaften gegründet. Eine positive Wirtschaftlichkeitsprognose ist dafür Voraussetzung. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit stehen die Raiffeisen-Revisionsverbände mit Beratung und einem eigenen Planungsrechner zur Seite.

Auf den Aspanggründen in Wien-Erdberg entsteht das nahezu klimaneutrale Stadtquartier »Village im Dritten«. (Foto: SkyCraperCity)

Bei der Abwärmenutzung steht ebenfalls die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. In Österreich werden zwei Drittel der eingesetzten Energie in der Sachgüterproduktion für Wärmeanwendungen benötigt. In der Industrie und im Gewerbe entsteht bei fast jedem mechanischen oder thermischen Prozess Abwärme. Die Bandbreite der Abwärmequellen reicht dabei von Produktionsanlagen und Motoren über Abwässer aus Reinigungs- oder Waschprozessen bis hin zur Druckluft. Bis zu 70 Prozent der eingesetzten Wärme gehen über Abluft oder Abwasser verloren. Diese Wärme kann in einem Wärmerückgewinnungssystem wiedergewonnen und zur Vorwärmung von Luft, Wasser oder anderen Medien oder Prozessen verwendet werden.

Als grobe Richtschnur für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit gilt, dass sich Abwärmenutzung für kontinuierlich betriebene Anlagen in zwei bis fünf Jahren rechnet. Ein Beispiel: Das Unternehmen Salesianer Miettex nutzt die Abwärme des Abwassers zur Vorwärmung des Weichwassers. Ein Behälter fängt das Kondensat der Trockner zur Gänze auf, welches zur Dampferzeugung eingesetzt wird. Die einmalige Investition von 81.500 Euro bringt eine Energieeinsparung von 405.000 Kilowattstunden pro Jahr.

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