Donnerstag, Mai 02, 2024

Wirtschaft und Gesellschaft sind inzwischen in der Krisenbewältigung geübt, starten aber im Vergleich zum Vorjahr deutlich pessimistischer in die Zukunft. Die Unternehmen sehen sich laufend mit neuen Herausforderungen konfrontiert – leichter wird es auch 2023 wohl nicht.

Skepsis und Sorge prägen zum dritten Mal in Folge den Jahreswechsel. Nur noch 26 Prozent der Österreicher*innen blicken mit Zuversicht in die Zukunft. Eine so lange negative Phase habe es seit 1972 nicht gegeben, resümierte das IMAS-Institut. Das Gallup-Institut sieht die globale Stimmung gar auf dem tiefsten Stand seit dem Krisenjahr 2008. Die Österreicher*innen sind im internationalen Vergleich – befragt wurden Personen in 34 Ländern – überdurchschnittlich pessimistisch. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung glaubt laut einer market-Umfrage, dass es der Wirtschaft heuer besser oder zumindest unverändert gut gehen wird. Vor einem Jahr, als Corona sich neuerlich zu einer Sturzwelle aufbäumte, zeigten sich immerhin 69 Prozent der Befragten zuversichtlich. 

Als hätte die Pandemie nicht schon genügend Probleme verursacht, stellt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tatsächlich eine Zäsur in der jüngeren Geschichte Europas dar. Noch deutet wenig auf einen fundamentalen Wirtschaftsabschwung hin, die Verunsicherung in der Bevölkerung ist jedoch groß. Die saftigen Preiserhöhungen bei Energie, Treibstoff und Lebensmitteln sind bereits spürbar. 41 Prozent erwarten einen weiteren Anstieg – ungeachtet der Prognosen der Wirtschaftsforscher*innen, die unisono für 2023 mit einem Rückgang der Inflation rechnen.

»Für eine echte Entlastung braucht es mehr als die Abschaffung der kalten Progression«, sagt Dénes Kucsera, Agenda Austria.

Der Konsum – während der Pandemie eine wichtige Stütze der heimischen Wirtschaft – blieb bisher weitgehend stabil; die hohen Lohnabschlüsse und Energiezuschüsse federn ein Abschwächen der Kaufkraft ab. Durch die Abschaffung der kalten Progression mit Jahresbeginn 2023 fließen künftig zwei Drittel der bisherigen Einnahmen zurück in die Taschen der Steuerzahler*innen. Durchschnittsverdiener*innen mit rund 2.200 Euro Bruttomonatslohn profitieren von fast 300 Euro pro Jahr. »Ein richtiger Schritt, aber dabei handelt es sich nicht um eine Steuersenkung, sondern die Abschaffung einer ungerechtfertigten, automatischen Steuererhöhung«, betont Dénes Kucsera, Ökonom der Agenda Austria: »Für eine echte Entlastung braucht es mehr.«

Kosten fressen Gewinne auf

Investiert wird vor allem in Photovoltaik und thermische Sanierung, von privater Seite wie auch von Unternehmen. Bei anderen Investitionen stehen Betriebe auf der Bremse – die vorhandenen Mittel werden für die steigenden Energie- und Rohstoffkosten zurückgehalten. »Wir sehen, dass die Energiekosten zwar jetzt durch den Zuschuss abgefedert werden, aber die werden uns weiterhin fordern«, berichtet Doris Hummer, Landesobfrau des Wirtschaftsbunds Oberösterreich. Entsprechend verhalten und vorsichtig wird geplant. Der angespannte Arbeitsmarkt stellt die Unternehmen vor zusätzliche Probleme. Noch sind die Auftragsbücher voll, Fachkräfte fehlen in nahezu allen Branchen. Hummer fordert Anreize für »mehr und längeres Arbeiten« und erleichterten Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte.

Christina Khinast, EY Österreich: »Die stark gestiegenen Energiekosten wirken sich direkt auf die Gewinne aus.«

Jedes zweite Unternehmen in Österreich bekommt die hohen Energiepreise schon deutlich zu spüren, vor allem durch rückläufige Gewinne. In einer Umfrage des Beratungsunternehmens EY unter 600 mittelständischen Unternehmen gaben 52 Prozent an, starke Auswirkungen wahrzunehmen. Besonders betroffen sind Betriebe aus dem Transport-, Verkehrs- und Energiesektor sowie der Industrie. »Unabhängig davon, wie sich die Umsätze der Unternehmen entwickeln, wirken sich die stark gestiegenen Energiekosten direkt auf die Gewinne der Unternehmen aus. Das kann mittel- oder langfristig zum Problem werden«, meint Christina Khinast, Leiterin des Energiesektors bei EY Österreich. Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen setzen bereits Energiesparmaßnahmen um, 37 Prozent investieren in den Ausbau eigener Erzeugungskapazitäten. Mit Photovoltaik können Unternehmen bis zu einem Drittel ihres Energiebedarfs abdecken – das senkt die Kosten und steigert somit wieder den Gewinn. 

Bauwirtschaft als Barometer

Der hohe Kosten- und Inflationsdruck gefährdet zunehmend die Profitabilität und den Cash Flow der Unternehmen. Europa wird sich in den kommenden zwei Jahren auf steigende Insolvenzzahlen einstellen müssen. Besonders stark sind die Bauwirtschaft, Handel und Logistik betroffen. Vornehmlich sind es kleinere Unternehmen, die mit den multiplen Herausforderungen nicht mehr zurande kommen. In Österreich ist die Trendwende voll im Gang. Bis Ende September 2022 mussten 3.533 Unternehmen Insolvenz anmelden. Das entspricht einer Zunahme von 96 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und stellt den stärksten Anstieg aller europäischen Länder dar. Gudrun Meierschitz, Vorständin der österreichischen Kreditversicherung Acredia, erwartet für 2023 das Erreichen des Vor-Pandemie-Niveaus: »Wir gehen von einem Anstieg von 13 Prozent aus, verglichen mit 2019 wäre das ein Plus von acht Prozent.«

»Bei den Unternehmensinsolvenzen hat bereits weltweit eine Trendwende eingesetzt.«, erklärt Gudrun Meierschitz, Acredia Kreditversicherung.

In Industrie und Bauwirtschaft, die traditionell als Krisen-Barometer fungieren, kündigt sich vor dem Hintergrund von steigenden Arbeits-, Material- und Energiekosten sowie Engpässen bei Rohstoffen die Abflachung der Konjunktur bereits an. Für die erste Jahreshälfte erwarten die heimischen Bauunternehmen einen Rückgang des Auftragsvolumens von 13 Prozent. Im gewerblichen und öffentlichen Hochbau und im Industriebau werden die Einbußen mit minus 15 Prozent, im Tiefbau mit minus 18 Prozent geschätzt. Strengere Regeln bei der Kreditvergabe und steigende Zinsen machen Wohnungseigentum insbesondere für jüngere Menschen kaum noch leistbar.

Gab es in den vergangenen Jahren noch lange Wartelisten für Wohnungen, so hat sich dies zuletzt ins Gegenteil gekehrt: Auf Bauträger kommen risikoreiche Zeiten zu, geplante Projekte werden verschoben oder ganz abgesagt – eine fatale Entwicklung mit weitreichenden Folgen. Das Immobilienunternehmen s Real Immobilien rechnet in den nächsten drei Jahren in ganz Österreich mit weniger Fertigstellungen im Neubau-Erstbezug. Dass knappes Gut bei steigenden Herstellungskosten nicht billiger wird, liegt auf der Hand. 


2022: 1.002 Befragte ab 16 Jahren in Österreich im November.

Nachhaltige Lieferketten

Ungeachtet der aktuellen geopolitischen Situation bleibt die Energiewende quer durch alle Branchen das beherrschende Thema – auch wenn noch nicht klar ist, welche Technologie sich letztlich durchsetzen wird, wie Stefan Hartung, Vorsitzender der Robert Bosch GmbH, im Vorfeld des Internationalen Motorensymposiums 2023 in Wien eingesteht: »Auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 werden wir alle vorhandenen CO2-freien Technologien einsetzen müssen und sollten keine vorschnell ausschließen.« Insgesamt fehlt es beim Klimaschutz noch eklatant an wirtschaftspolitischen Initiativen, wie Markus Marterbauer und Daniel Haim in der WIFO-Konjunkturbilanz vom Dezember 2022 einfordern: »Die Klimakrise muss viel entschiedener angegangen werden, unter anderem durch eine rasche Ausweitung der grünen Investitionen.«

»Unternehmen dürfen und wollen nicht länger nur auf ihre eigenen Emissionsquellen schauen. Sie müssen die gesamte Wertschöpfungskette im Blick haben«, erklärt Reinhard Winkler, Head of Manufacturing bei Capgemini Invent Austria. Eine große Herausforderung – vor allem angesichts der anhaltenden Versorgungsprobleme, die das Thema Nachhaltigkeit vielfach in den Hintergrund rücken ließen. So waren drei Viertel der Unternehmen in den letzten drei Jahren von Unterbrechungen ihrer Lieferketten, Standortschließungen und Personalausfällen betroffen. Weniger als 20 Prozent der Unternehmen fühlten sich laut einer Studie des Capgemini Research Institute auf solche Störungen des Betriebs gut vorbereitet. Der Aufbau agiler, widerstandsfähiger Lieferketten schützt jedoch nicht nur die Aufrechterhaltung der eigenen Produktion, sondern unterstützt auch andere strategische Ziele wie eben Nachhaltigkeit, ist Winkler überzeugt: »Für diese Herausforderung gibt es keine einheitliche Lösung. Grundsätzlich lässt sich sagen: Lieferketten müssen datengesteuert, technologiegestützt, skalierbar und nachhaltig sein.« 

»Wir sollten alle CO2-freien Technologien einsetzen und keine ausschließen«, meint Stefan Hartung, Robert Bosch GmbH.

Prinzip Hoffnung

Trotz der aktuell schwierigen Lage spiegeln alle Studien eine interessante Diskrepanz wider: Danach befragt, wie sich das allgemeine Marktumfeld entwickeln wird, fällt die Einschätzung meist recht pessimistisch aus. Das eigene Unternehmen betreffend ist die Stimmungslage schon deutlich positiver. Hier vertrauen die Manager*innen auf ihre Führungskraft und Erfahrung, viele Widrigkeiten selbst meistern zu können. Bleiben jene Unwägbarkeiten, die nicht beeinflusst werden können. Hier greift das Prinzip Hoffnung – oder um es mit Friedrich Mostböck, Chefanalyst der Erste Group, zu sagen: »Es ist schwer vorstellbar, dass auf ein so negatives Jahr noch ein zweites folgt.« Die gute Nachricht zum Schluss: Trotz gedämpfter Stimmungslage überwiegt im Privaten das Gefühl des Glücks. Eine knappe Mehrheit der Menschen empfindet ihr Leben als glücklich oder sogar sehr glücklich. Österreich liegt nur wenig unter dem globalen Durchschnitt von 54 Prozent.

(Bilder: iStock, Elke Mayr, EY Österreich, Acredia, Bosch)

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