Montag, April 29, 2024

Für IP-basierte Zugangsnetze ist auch künftig sinnvoll, SDH-Kernnetze mit entsprechenden Uplink-Schnittstellen zu unterstützen.Die Evolution der TK erfolgt immer schneller zu vollständig IP-basierten Netzen. IP-Netze sind günstiger und effizienter als herkömmliche TDM-Netze - wenn diese intelligent in die All-IP-Welt überführt werden.

Unerwartet kommt die Entwicklung nicht: Netzbetreiber sowie Systemhersteller haben die Migration in Richtung IP bereits vor vielen Jahren gestartet. Dienste wie Internetzugang und Voice-over-IP, die schon paketbasiert sind, werden bereits seit längerer Zeit über IP-Ethernet-Netze transportiert. Auch TDM-basierte Kernnetze (in der Regel SDH-Technik) sind durch Ethernet-over-SDH-Technologie bereits seit einigen Jahren in der Lage, paketbasierte Zugangsnetze effizient und zuverlässig anzubinden. Die aktuellen Herausforderungen bestehen darin, die restlichen in Betrieb befindlichen TDM-Dienste auch weiterhin in der All-IP-Welt zuverlässig und qualitativ hochwertig bereitzustellen. Diese Dienste werden oft noch über traditionelle Zugangsnetze realisiert, die über SDH-Kernnetze vernetzt sind und deren Nachbestückung beziehungsweise Reparatur aufgrund des Alters nicht mehr möglich oder sinnvoll ist. Daraus folgt, dass viele Zugangsnetzstandorte mit gemischter Infrastruktur (TDM und IP) an zwei getrennte Kernnetze (SDH und Ethernet) angebunden werden müssen. Dies lässt bei vielen Betreibern die Betriebskosten in die Höhe schießen. Die Frage lautet also: „Wie bekomme ich die sogenannten „alten Dienste“ auf das neue, hochmoderne IP-Netz?“, oder sinnbildlich „Wie bekomme ich meine Schallplatten in den MP3-Player?“

Geld wird mit Sprache verdient
High-Speed-Internet-Dienste und das gute alte Telefon, das inzwischen mächtig Konkurrenz von Low-cost, und leider oft auch Low-quality, Voice-over-IP-Produkten bekommt, sind dem Endverbraucher heute bestens bekannt. Auch neue Dienste wie Video-on-Demand oder Videotelefonie erfreuen sich wachsender Beliebtheit.

Aufgrund der Medienpräsenz entsteht oft der Eindruck, dass es im Festnetz darüber hinaus keine anderen Themen mehr gibt. Doch das ist trügerisch, denn ein Blick in die Bücher der Netzbetreiber zeigt, dass die vermeintlich alten Dienste die Margen erwirtschaften. Bezüglich des Umsatzvolumens sind die neuen Themen wie DSL oft dominierend, jedoch hat der intensive Wettbewerb der letzten Jahre im Privatkundenmarkt zu einem radikalen Preisverfall geführt. Vor allem die neuen Dienste sind zu einem Volumengeschäft geworden, bei denen nur wenig Gewinn hängen bleibt. Ein großer Anteil des Ertrags wird woanders verdient - nämlich mit den alten Diensten.

Worum handelt es sich bei den so genannten alten Diensten? Das einfachste und leicht verständliche Beispiel ist die traditionelle Telefonie. Hiermit machen die großen Service-Provider immer noch fast die Hälfte des gesamten Umsatzes. Die meisten Telefonie-Netze sind abgeschrieben, so dass die Marge an diesem Umsatzanteil in der Regel deutlich höher ist als bei den sogenannten neuen Diensten. Technisch betrachtet wurde der Telefonanschluss bisher über TDM-Technologie realisiert. Die Übertragung wird in einem PDH/SDH-Transportnetz mit einem 64kbit/s Zeitschlitz pro Sprachkanal zwischen den beteiligten Teilnehmern über die Vermittlungsstellen transportiert. Für die klassische Übertragung dieses Dienstes benötigt der Netzbetreiber im Zugangsnetz neben dem DSLAM für DSL-Dienste herkömmliche Schmalband-Übertragungssysteme (z.B. Optical Network Units (ONUs), Digital Line Units (DLUs, etc.) sowie eine dedizierte SDH-Kernnetz-Anbindung.

Zugangsnetzelemente der neuesten Generation basieren auf paketorientierter Ethernet/IP-Technologie. Die meisten Geräte sind in der Lage, mehrere unterschiedliche Dienste-Schnittstellen aus nur einem Netzknoten zu realisieren – daher bezeichnet man sie im Zugangsnetz als IP-Multi-Service-Access-Node (IP-MSAN). IP-MSANs können normale Telefonanschlussleitungen terminieren und in IP-Signalisierung umsetzen. Die Nutzdaten werden in Ethernet-Rahmen verpackt, die Signalisierung (beispielsweise Rufton, Dreierkonferenz, Rufnummernanzeige) wird mittels SIP-Protokollen oder auch H.248/MeGaCo realisiert.

IP-MSANs mit hybrider Backplane wie die MileGate-Produktfamilie von Keymile sind in der Lage, TDM und IP in einer Plattform zu vereinen und stellen somit die ideale Plattform zum Migrieren der POTS und ISDN-Telefonie auf IP-basierte Netze zur Verfügung. Somit ist es in nur einem Zugangsnetzelement möglich, POTS und ISDN-Leitungen wie in Bild 1 dargestellt über V5.2-Schnittstellen auf eine TDM-basierte digitale Vermittlungsstelle (DiV) zur führen, und gleichzeitig mittels VoIP-Gateway-Funktionalität die Telefonleitungen in eine VoIP-Umgebung (Softswitch, IMS etc.) zu integrieren.

Marc Kahabka ist Vertriebsleiter Deutschland, Österreich & Benelux bei Keymile.Migration der Daten-Festverbindungen auf Ethernet/IP
Die Umsetzung des Telefonie-Dienstes auf VoIP ist bereits erprobt und vielerorts in Betrieb. Eine neue Herausforderung ist die Migration der TDM-Datendienste. Diese werden oft für sicherheitskritische Applikationen (etwa in Betriebsnetzen von Energieversorgern, Überwachungsnetzen, Behördennetzen, etc.) genutzt. Aber auch Service-Provider in öffentlichen Netzen haben noch immer viele TDM-Datenapplikationen wie die Anbindung von Geldautomaten, von EC-Cash-Terminals im Einzelhandel, von Fernwirktechnik oder von Nebenstellenanlagen im Einsatz.

Betrachtet man die schmalbandigen Datendienste mit n-x-64kbit/s-Struktur könnte der Eindruck entstehen, dass die Umstellung auf Ethernet/IP ein Leichtes wäre. Dem ist aber nicht so, da es sich hierbei zum einen oft um Applikationen mit sehr anspruchsvollen Übertragungsanforderungen handelt (Taktgenauigkeit, Delay-sensitiv etc.), und zum anderen eine hohe Verfügbarkeit garantiert werden muss.

Betriebswirtschaftlich betrachtet wäre es am einfachsten, wenn sich alle Kundenschnittstellen und Applikationen mit alten TDM-Schnittstellen auf standardisiertes Ethernet migrieren ließen. Manchmal funktioniert das auch, es gibt jedoch oft wichtige Gründe, warum dies nicht sinnvoll ist, und die für den Diensteanbieter vertriebsstrategisch zu bedenken sind:

-    Kommerzielle Aspekte: Die TDM-Festverbindungsdienste sind oft hochwertige Dienste, die dem Betreiber eine gute Marge bescheren. Stellt man den Endkunden auf Ethernet/IP um, erwartet er, dass „alles nun billiger wird“ und ist oft nicht bereit, den bisherigen „hohen“ Preis zu bezahlen.

-    Kundenbindung: Kunden nutzen gerne die Gelegenheit, sich bei einem Service-Wechsel des bisherigen Anbieters über eventuell bessere Konkurrenzangebote zu informieren. Erhält der Kunde nun einen „normalen“ Ethernet-Anschluss, bekommt er diesen eventuell auch von einem anderen Netzbetreiber für weniger Geld und wechselt.

-    Operative Aspekte: Handelt es sich beispielsweise um einen Großkunden mit vielen TDM-Applikationen an unterschiedlichen Standorten (Geldautomatenvernetzung, Anschluss von Supermarkt-Filialen, etc.), ist es bereits aus operativen Gründen schwierig, hunderte oder gar tausende von TDM-Endgeräten zu ersetzen oder auf Ethernet-Schnittstellen umzurüsten. Im schlimmsten Falle könnte dies sogar einen Austausch der Endgeräte und einen Betreiberwechsel bedeuten.

Die beste Lösung für den Betreiber ist also, die vorhandenen Endgeräte weiterhin einzusetzen, und die Vorteile der neuen IP-Technik ausschließlich netzintern zu nutzen. Um dies zu tun, bedarf es im Netz einer Konvertierung von TDM- auf IP-Technik. Diese sollte idealerweise so früh wie möglich stattfinden, aber auch nicht so dass der Endkunde es direkt wahrnimmt. Die beste Stelle ist daher der Zugangsknoten.

Anforderungen an das Zugangsnetz
Soll der Endkunde ohne einen Wechsel der Endgeräte beziehungsweise Netzabschlusstechnik angebunden werden, muss die Gateway-Funktionalität im Zugangsknoten enthalten sein. Innerhalb des Zugangsknotens kommt es im Wesentlichen auf drei Funktionen an, ohne die eine Migration der TDM-Datendienste sowie -Festverbindungen kaum möglich ist:

•    Terminierung der n-x-64kbit-Schnittstellen und Umsetzung auf Ethernet-Transport (Bild 4, Option A): Die Bezeichnungen der n-x-64kbit/s-Schnittstellen-Standards fangen in der Regel mit den Buchstaben X und V an (z.B. X.21, V.35). Hierbei handelt es sich um Protokolle der OSI-Schicht 1; innerhalb dieser Schichten werden meistens IP-Pakete transportiert. Die OSI-Schicht 1 sollte im Zugangsknoten terminierbar sein, so dass eine Umsetzung der Daten auf eine effizientere, modernere und kostengünstigere Ethernet-Transport-Technologie möglich wird. Sind die Daten auf Ethernet umgesetzt, kann man sie mit den üblichen Möglichkeiten in Schicht 2 und 3 optimal durch ein paketbasiertes Backbone-Netz transportieren und dem Endkunden-Layer 2 oder 3 VPN-Produkte anbieten.

•    Verschaltbarkeit von 64kbit/s-Kanälen (Grooming, Switching): In manchen n-x-64kbit/s-Strecken sind die Zeitschlitze nicht gleichmäßig belegt, viele leere Zeitschlitze werden unnötigerweise mitgeführt und belegen Kapazität in einem übergeordnetem Signal wie einer E1/G.704 (PDH)- oder STM-1 (SDH)-Strecke. Um diese Strecken möglichst optimal mit 64kbit/s-Kanälen zu füllen, ist eine Verschaltbarkeit von 64kbit-Kanälen wichtig. Dies findet im IP-MSAN (siehe Bild 4) statt.

•    Emulation von PDH-Kanälen über IP (Bild 4, Option B): Werden in einem PDH-Signal TDM-Informationen transportiert, ist es unumgänglich, das Signal möglichst unverändert über ein IP-Netz zu übertragen, also „zu tunneln“. Die Signalisierungs- sowie Nutzdatenschicht bleibt dabei unangetastet. Die Schwierigkeit einer solchen TDM-Emulation besteht in der Replikation der hohen technischen Anforderungen einer TDM-Übertragung, wie Taktung, Vermeiden von Jitter und dauerhafte Reservierung von Bandbreite (also der Nachbildung einer „verbindungsorientierten Verbindung“) in einem Paketnetz.

Sind diese drei Funktionen im Zugangsnetzelement enthalten, ist der Betrieb von TDM-Festverbindungen in einem All-IP-Netz realisierbar. Einige TK-Netzbetreiber sind mit solchen Komplettlösungen bereits heute im Betrieb. Wie verhält es sich jedoch mit Anwendungen in sicherheitsrelevanten Netzen? Würden ein IT- und TK-Verantwortlicher eines Bahnbetriebes die elektronischen Stellwerke über Ethernet-Netze anschließen? Oder gar das Betriebszentrum eines Atomkraftwerkes? Oder wäre ihm das zu riskant?

Ist „Alles über IP“ heute bereits möglich?!
Auch für das Kernnetz sind die Anforderungen an TDM-over-IP-Anwendungen hoch. Auf Datenstrecken, die TDM-emulierte Daten transportieren, darf beispielsweise keine Überbuchung stattfinden. In ATM-Netzen wären diese Anforderungen mittels Einteilung in Verkehrsklassen realisierbar. In Ethernet-Netzen hingegen ist eine Bandbreiten-Reservierung grundsätzlich nicht möglich. Die Reserven müssen entweder in die Netzplanung einkalkuliert werden (das Netz sollte großzügig überdimensioniert sein), oder es wird ein zusätzliches Protokoll wie MPLS, PBB/PBT oder ähnliches zwecks Sicherstellung von hochwertigem QoS eingeführt. Das Letztere ist wiederum teuer und komplex im Betrieb. Der große Vorteil von Ethernet – die Einfachheit – wird dann aber schnell durch die Komplexität der benötigten QoS-Techniken überlagert.

Aus diesen Gründen verwenden Betreiber sicherheitsrelevanter Netze wie Energieversorger, Bahnbetriebe und andere im Kernnetz ausgereifte SDH-Transport-Technologie. Die Vorteile einer kanalgebundenen Übertragung sind kurz gefasst: extrem schnelle Umschaltzeiten, fest definiertes Delay, Synchronisation, Interoperabilität der Netzelemente und vieles mehr. Daher ist es für neue IP-basierte Zugangsnetz-Lösungen auch in Zukunft sinnvoll, zum Beispiel SDH-Kernnetze mit entsprechenden Uplink-Schnittstellen zu unterstützen.

Fazit
Die Unterstützung beider Welten, der TDM-Welt und der IP-Welt, ist für Betreiber von sicherheitsrelevanten Netzen nach wie vor unumgänglich. Aber auch für Betreiber öffentlicher Netze ist dies in einem marktwirtschaftlichen Umfeld, in dem für TDM-Dienste hohe Preise bezahlt werden, wichtig. Neue Übertragungsnetze sollten daher ebenfalls die vermeintlich alten Dienste unterstützen, um die Dienste mit einem hohen Gewinnanteil (die sogenannten Cash-cows) möglichst lange am Leben zu erhalten. Ein MP3-Player mit Plattenspieler ist daher im übertragenen Sinne für den jeweiligen Betreiber eine elegante Variante, die bis zum endgültigen Abschluss der IP-Netz- und Dienstemigration eine sinnvolle Investition darstellt. 

Zum Autor
Marc Kahabka ist Vertriebsleiter Deutschland, Österreich & Benelux des IKT-Spezialisten und Netzinfrastrukturausrüsters Keymile.

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