Wednesday, July 23, 2025

Mehrwert für Manager

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Die Resilienz der digitalen Infrastruktur wird zum Wettbewerbsfaktor. Soll Europa weiterhin auf Produkte und Services aus anderen Regionen setzen und sich von ­externen politischen ­Entwicklungen abhängig ­machen?


Es war ein vergleichsweise überschaubarer technischer Vorfall im Mai, im Büro des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag – die Sperre des Microsoft-Mail-Accounts von Chefankläger Karim Khan. Die Ursache war ein Dekret der Trump-Administration, mit dem Sanktionen gegen Khan und bis zu 900 Mitarbeitende des IStGH verhängt wurden– mit Verboten für Einreisen in die USA und Restriktionen bei bereitgestellten Dienstleistungen durch US-Unternehmen. Khan ist inzwischen aus anderen Gründen zurückgetreten, der Fall löste aber prompt eine Debatte um die digitale Souveränität und Kontrolle über IT-Infrastrukturen aus. Die Abhängigkeit von internationalen Technologiedienstleistern von rechtlichen und politischen Anforderungen in ihren Heimatländern sollte als Warnsignal für die europäische Wirtschaft dienen, heißt es allerorts.

Ein Rundruf von Report(+) in der IT-Branche zeigt ein einhelliges Stimmungsbild: Die digitale Souveränität Europas ist längst mehr als ein technisches oder politisches Schlagwort – sie ist ein wirtschaftlicher Imperativ (Hier geht es zu den ungekürzten Meinungen und Urteile der Branchenvertreter*innen aus der Report-Umfrage). Wer seine Daten, Systeme und digitalen Prozesse nicht selbst kontrolliert, begibt sich in gefährliche Abhängigkeiten – mit direkten Auswirkungen auf Innovationskraft, Sicherheit und wirtschaftliche Resilienz. »In einer Welt, in der geopolitische Spannungen zunehmen und technologische Abhängigkeiten zur strategischen Schwachstelle werden, ist digitale Souveränität kein Nice-to-have mehr – sie ist ein Muss«, betont Martin Resel, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von A1.

Wirtschaftliche Notwendigkeit
Digitale Technologien bilden heute die Grundlage nahezu aller Wertschöpfung. Gleichzeitig liegt ein Großteil dieser Technologien – insbesondere im Cloudbereich – in der Hand weniger internationaler Anbieter. Laut Schätzungen kontrollieren drei US-Unternehmen rund 70 % des weltweiten Cloudmarkts. Das bedeutet für europäische Betriebe, dass geschäftskritische Daten oft außerhalb ihrer rechtlichen und operativen Kontrolle verarbeitet werden – selbst wenn diese physisch in Europa gespeichert sind. »Cloud ist kein neutraler Begriff – es ist Propaganda. Die Daten liegen nicht irgendwo in der Wolke, sondern auf fremden Servern, verwaltet von unbekannten Administratoren«, warnt Bernhard Peham, Head of ITandTEL. Europa müsse eigene, transparent und demokratisch kontrollierte Infrastrukturen schaffen, um nicht länger »nur zu regulieren, aber technisch hinterherzuhinken«.

Eine Antwort auf diese Herausforderung sind souveräne Cloudarchitekturen, die die vollständige Kontrolle über Daten, Zugriffsrechte, Verschlüsselung und Betriebsmodelle ermöglichen. Sie kombinieren europäische Rechtskonformität mit technologischer Leistungsfähigkeit – oft im Rahmen hybrider Modelle, bei denen auch internationale Partner eingebunden werden. A1 bietet mit der eigenen Private Cloud sowie der europäischen Public Cloud Exoscale ein souveränes Modell an, das laut Resel »volle Kontrolle über Daten und Systeme« ermöglicht und »entscheidende Vorteile in Zeiten wachsender Unsicherheit« bietet. Gleichzeitig arbeitet A1 mit Partnern wie Microsoft, um hybride Strukturen zu schaffen – und damit Souveränität und Flexibilität zu verbinden.

Auch Capgemini setzt auf europäische Modelle. Vorstandsvorsitzende Martina Sennebogen verweist auf eine Studie, der zufolge bereits mehr als die Hälfte der Unternehmen Cloudsouveränität aktiv in ihre Strategie integrieren. Mit Initiativen wie dem französischen Joint Venture Bleu zeigt Capgemini, wie Cloudin­frastrukturen gleichzeitig sicher, leistungsfähig und konform mit europäischen Vorgaben sein können.

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»Unternehmen, die diese Elemente proaktiv definieren, bewerten, ausrichten und weiterentwickeln, werden regulatorische Herausforderungen erfolgreich meistern, das Vertrauen stärken und einen Wettbewerbsvorteil aufbauen«, ist Martina Sennebogen, Capgemini überzeugt.

Vorteile durch Vertrauen
Microsoft legt bei der Souveränitätsdebatte ebenfalls nach – mit einer eigenen Rechenzentrumsregion in Österreich. »Microsoft hat fünf neue digitale Zusicherungen für Europa vorgestellt. Dazu gehört der Ausbau der Cloud- und KI-Infrastruktur in Europa sowie eine klare Verpflichtung, Europas digitale Resilienz sicherzustellen – unabhängig von geopolitischen oder weltwirtschaftlichen Entwicklungen«, betont Hermann Erlach, General Manager von Microsoft Österreich. Sein Credo: Österreichische Unternehmen profitieren von leistungsfähigen Cloudtechnologien direkt vor Ort und können ihre Daten sicher, datenschutzkonform und lokal speichern. Die neue »Sovereign Public Cloud« garantiere, dass alle Daten in Europa bleiben, europäischem Recht unterliegen und vollständig vom Kunden kontrolliert werden.

Standort Europa
Der Aufbau souveräner Strukturen in Europa braucht mehr als Regulierung – er braucht Investitionen, Innovationsförderung und faire Wettbewerbsbedingungen. Europäische Anbieter wie OVHCloud oder Anexia zeigen, dass konkurrenzfähige Cloudservices auch aus Europa möglich sind. Alexander Windbichler, CEO Anexia: »Digitale Souveränität bedeutet nicht, autark zu sein, sondern auf Augenhöhe mit Amerika und Asien zu agieren.« Dafür brauche es faire Lizenzbedingungen, transparente Technologien und den politischen Willen, europäische Produkte ernsthaft in Betracht zu ziehen – nicht zuletzt in der öffentlichen Beschaffung.

Auch Andreas Grigull von OVHCloud unterstreicht, dass resiliente Infrastrukturen und der Schutz strategischer Daten Grundpfeiler europäischer Unabhängigkeit sind: »Cloudservices aus den USA und Asien bergen das Risiko politischer und regulatorischer Abhängigkeiten. Europa muss eigene Alternativen stärken, die Offenheit, Interoperabilität und Transparenz bieten.« Der Anbieter mit Hauptsitz in Frankreich bietet vollständig in der EU betriebene Dienste an, bei denen sämtliche Daten ausschließlich nach europäischen Gesetzen verarbeitet werden. »Wir gewährleisten den Schutz der Daten und die Immunität vor außereuropäischen Gesetzen. Es ist diese Immunität, die den Unterschied macht zwischen einem echten souveränen Anbieter und einem Anbieter, der nur souverän erscheint«, so der Sales Director Central Europe von OVHCloud.

Grenzenlos gedacht
Die Herausforderungen rund um digitale Souveränität betreffen nicht nur einzelne Länder, sondern ganz Europa. Deshalb sind auch grenzüberschreitende Initiativen wie das geplante »European Digital Infrastructure Consortium« entscheidend, um gemeinsame Standards zu etablieren und interoperable Lösungen voranzutreiben. Lea Beiermann vom Zentrum für Digitale Souveränität (ZenDiS) in Deutschland beschreibt europäische Zusammenarbeit als zentralen Erfolgsfaktor: »Keine Insellösungen – sondern abgestimmte, offene Digitalprojekte, die interoperabel funktionieren.«

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Bild: Lea Beiermann leitet die Partnerschaften des Zentrums für Digitale Souveränität (ZenDiS)

Projekte wie openDesk oder La Suite numérique zeigen, wie Open Source und europäische Koordination konkrete Souveränität schaffen können. Das ZenDiS koordiniert dazu gemeinsame Projekte für die Wirtschaft und Gesellschaft von Behördenpartnern in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.

Fazit: Wahlfreiheit – nicht Abschottung
Aber in welchem Ausmaß ist derzeit eine Reduktion der offenkundigen technologischen Abhängigkeiten überhaupt machbar und auch sinnvoll? Experten sehen diese Zielsetzung grundsätzlich richtig – Europa müsse kritische digitale Infrastrukturen selbst kontrollieren können, um resilient und innovationsfähig zu bleiben. Doch Souveränität bedeute nicht Abschottung. Für Unternehmen auch in Österreich ist es entscheidend, auf die besten Technologien zugreifen zu können. Digitale Souveränität dürfe nicht bedeuten, Unternehmen in ihrer technologischen Auswahl zu beschränken. Vielmehr geht es darum, faire Bedingungen zu schaffen, bei denen europäische Anbieter konkurrenzfähig sind – und gleichzeitig die Freiheit erhalten bleibt, internationale Angebote zu nutzen.

 

Expertenstatement: Haben wir die Wahl?

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Informationstechnologie ist zu einem strategischen Thema für Unternehmen geworden. »Neben dem Aspekt der technischen Verfügbarkeit, der zunehmend beherrschbar geworden ist, sind jetzt Resilienz und Sicherheit im Fokus«, ist Georg Chytil, Geschäftsführer next layer, überzeugt. Er empfiehlt, zur langfristigen Absicherung der Unternehmens-IT folgende Überlegungen anzustellen:

1. Prozesse
Wie wichtig sind Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität der verarbeiteten Daten? Schnell wird sich zeigen, dass auch in Zeiten zunehmender Sorge um digitale Souveränität viele Anwendungen problemlos bei Hyperscalern betrieben werden können, auch außerhalb des europäischen Rechtsrahmens – aber sicher nicht alle. Es gibt auch Möglichkeiten, europäische Clouddienstleister zu nutzen, die eigene IT in nationalen Rechenzentren zu betreiben oder bestimmte Systeme weiterhin vor Ort zu betreiben. Europäische Infrastrukturanbieter und Lösungsanbieter sind hier kompetenter und erfahrener, als es Lobbying und PR internationaler Hyperscaler vermuten lassen.

2. Anwendungen
Für kommerzielle Software finden sich fast immer auch europäische Anbieter oder Open-Source-Software. Nicht immer sind das die komfortabelsten oder leistungsfähigsten Lösungen – ist digitale Souveränität allerdings eine Priorität, wird man diesen Aufwand in Kauf nehmen müssen. Manche europäischen Anwendungen haben die kritische Masse bereits gewonnen und sind in ihren Bereichen führend – Nextcloud ist ein erfreuliches Beispiel der letzten Jahre. Im kommerziellen Umfeld gilt SAP als Weltmarktführer für ERP-Systeme. Wir haben also durchaus Anlass für Selbstvertrauen und Optimismus, das Potenzial für eigenständige Entwicklungen ist vorhanden.

3. Betriebssysteme
Bis auf einige sehr spezifische Lösungen ist man hier auf internationale Anbieter angewiesen, insofern man vom vielseitigen und robusten, aber nicht für jedermann tauglichen Open-Source-Betriebssystem Linux absieht. Der Wiederaufbau einer europäischen Hardware-Indus­trie – ist er möglich? Dazu bedarf es eines gemeinsamen »Commitment«, die notwendigen Aufwände gemeinschaftlich zu tragen und erheblicher Vorleistungen in Aus- und Weiterbildung. Privatwirtschaftlich allein wird so ein Vorhaben nicht zu stemmen sein.

 

Tipps der Redaktion: Alternativen in der KI

Modelle
Das Linzer Unternehmen NXAI verfolgt das Ziel, Europas Unabhängigkeit in der Entwicklung leistungsfähiger KI-Modelle zu stärken. Das NXAI-Team arbeitet an neuartigen, ressourcenschonenden KI-Architekturen als Alternative zu gängigen Transformer-Modellen wie ChatGPT. Grundlage ist xLSTM, eine Weiterentwicklung klassischer LSTM (»Long Short Term Memory«)-Netze, die für höhere Effizienz und geringeren Energieverbrauch optimiert ist. Darauf baut TiRex auf – ein kompaktes, vortrainiertes Modell für Zeitreihenanalysen. Es ermöglicht präzise Vorhersagen auch für unbekannte Datensätze. Die Technologie bringt KI direkt in industrielle Anwendungen.

Kontrolle
Das Unternehmen TRUSTIFAI ist ein Joint Venture von TÜV Austria und dem Software Competence Center Hagenberg. Es stellt mit einer einzigartigen Methode KI-Anwendungen auf den Prüfstand. Getestet werden unterschiedliche technische Kriterien und Risikoanforderungen je nach Branche und Einsatzbereich, aber auch Plausibilität und Nachvollziehbarkeit von KI-gestützten Prozessen. Unternehmen erhalten damit nicht nur den Nachweis der Funktionstüchtigkeit und Güte einer Anwendung, sondern auch »Guidelines« für die weitere Verbesserung, etwa auf Leistungsebene.

Training
Maschinelles Lernen benötigt für das Training Daten in hoher Qualität. Der Verein Responsible Annotation, gegründet 2022 als Weiterentwicklung eines seit 2019 laufenden Pilotprojekts mit Kapsch TrafficCom, vermittelt Menschen mit unterschiedlichen Benachteiligungen in Arbeitstrainings und Jobs in der Datenannotation in Österreich. Annotation ist die Datenaufbereitung für KI-Training. Die Vereinsausgründung Responsible Annotation Services bietet diese Dienstleistung mit gut trainierten Leuten für die Wirtschaft an. Zielgruppe sind unter anderem Unternehmen, die selbst kein Annotations-Team dauerhaft aufbauen wollen.

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