Samstag, April 27, 2024



Die diesjährigen KV-Verhandlungen brachten in manchen Branchen sogar zweistellige Entgelterhöhungen. So gibt es zum Beispiel 10,2 Prozent mehr für Beschäftigte der Seilbahnbranche und um 11 Prozent mehr für das Bordpersonal der AUA. Aber gelten die vereinbarten Lohn- und Gehaltserhöhungen für alle Beschäftigten, also auch bei Überzahlung?

Von Nicolaus Mels-Colloredo und Ramona Maurer 

Das kollektivvertragliche festgelegte Entgelt ist das verpflichtende Mindestentgelt für die jeweilige Branche. Doch in vielen Arbeitsverträgen ist ein höheres Gehalt vereinbart. Berufserfahrung, Zusatzqualifikationen oder schlicht Fachkräftemangel sind für viele Unternehmen ein Grund, tiefer in die Tasche zu greifen, als der Kollektivvertrag es vorsieht. Ob Beschäftigte mit einer Überzahlung ebenfalls in den Genuss der kollektivvertraglichen Entgelterhöhungen kommen, hängt von mehreren Faktoren ab.

Ist-Lohnklauseln für automatische Anpassung

In manchen Kollektivverträgen sind Ist-Lohn- bzw. Ist-Gehaltsklauseln (in der Praxis meist einheitlich als „Ist-Lohnklausel“ bezeichnet) enthalten, die bewirken, dass die einzelvertraglich festgelegten Überzahlungen, also die Ist-Löhne, automatisch angepasst werden, wenn der Kollektivvertrag eine Erhöhung der Mindestentgelte vorsieht. Es gibt unterschiedliche Ausgestaltungen von Ist-Lohnklauseln, die jedoch alle dasselbe Ziel verfolgen: Das Verhindern oder zumindest Begrenzen des "Aufsaugens" individuell vereinbarter Überzahlungen aufgrund von Erhöhungen des kollektivvertraglichen Mindestentgelts.

Nachteile der Istlohnklausel

Für Arbeitgeber:innen kann die Verpflichtung zur Anpassung der Überzahlungen bei einer Erhöhung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts zu einer unerwarteten Kostensteigerung führen, was insbesondere in der aktuellen Wirtschaftslage eine erhebliche Belastung darstellen kann.

Doch welche Möglichkeiten haben Unternehmen, um der durch Istlohnklauseln bedingten laufenden Erhöhung von bereits (deutlich) überzahlten Ist-Löhnen entgegenzuwirken?

Aufsaugungsklausel als Ausweg?

Durch Vereinbarung einer sogenannten „Aufsaugungsklausel“ im Arbeitsvertrag kann das Ansteigen der Ist-Löhne zeitlich begrenzt verhindert werden. Hierbei handelt es sich um Bestimmungen, wonach allfällige kollektivvertragliche Erhöhungen durch die Überzahlung bereits abgegolten sind. Laut ständiger Rechtsprechung des OGH ist es möglich, zumindest zwei KV-Erhöhungen durch eine Aufsaugungsklausel vorwegzunehmen. In Fällen einer sehr hohen Überzahlung (z.B. 40 Prozent im Sachverhalt der Leitentscheidung des OGH zur Aufsaugungsklausel vom 18.5.1999, 8 ObA 173/98v) können auch bis zu drei künftige KV-Erhöhungen dadurch abgegolten werden. Voraussetzung bleibt natürlich, dass immer zumindest das kollektivvertragliche Mindestentgelt bezahlt wird.

Doch Vorsicht: Manche Kollektivverträge schließen eine derartige Aufsaugungsklausel aus. Insbesondere in Branchen der Industrie ist eine solche Regelung tendenziell häufiger anzutreffen. Derartige Verbote finden sich beispielsweise im KV der Arbeiter:innen in der Sägeindustrie, im KV der Arbeiter:innen in der Holzindustrie oder im KV der Arbeiter:innen in der Stein- und Keramikindustrie. In diesen Fällen wäre eine Aufsaugungsklausel unwirksam.

Es ist daher empfehlenswert, vor der Einstellung neuer Mitarbeiter:innen, insbesondere bei hochqualifizierten Fachkräften und bei Leitungspositionen, juristische Beratung in Anspruch zu nehmen, um eine wirtschaftlich vernünftige Lösung zu finden und mögliche Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.


Über die Autor*innen



Nicolaus Mels-Colloredo ist Partner bei PHH Rechtsanwält:innen und Arbeitsrechtsexperte.



Ramona Maurer ist Rechtsanwaltsanwärterin im PHH Arbeitsrechtsteam.

PHH Rechtsanwält:innen GmbH ist eine der führenden Wirtschaftskanzleien Österreichs. Zehn PHH-Partner und rund 70 Mitarbeiter arbeiten in Experten-Clustern, die von M&A über Prozessführung, Bank- und Finanzrecht, Steuerplanung bis hin zu Immobilienrecht reichen. www.phh.at

Fotos: iStock, PHH Rechtsanwältinnen

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