KI für den Einsatz in der Industrie und in vielen anderen Bereichen: ExpertInnen setzen auf die dynamische Analyse von Daten mittels neuer Methoden – warnen aber auch vor blindem Vertrauen in die Technik.
Der IT-Dienstleister und Technologieexperte Nagarro unterstützt RHI Magnesita bei der Entwicklung einer Software, die Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenführt, um diese auswertbar zu machen. Dabei werden Produktionsdaten und von Lasermessgeräten erfasste Informationen direkt in die eigene Unternehmens-Cloud des Herstellers übertragen. Mittels künstlicher Intelligenz wird ein digitaler Zwilling berechnet. Dieser kann die Lebensdauer von Feuerfestmaterialien in der Stahlproduktion vorhersagen. Weiters können mit Unterstützung von der KI Parameter, die den Verschleiß beeinflussen, identifiziert und interpretiert werden.
Für RHI Magnesita wurde die Datenerfassung mit Analyse und wichtigen Folgeinformationen über eine kundenfreundliche mobile App zusammengeführt: Die Kunden können über ein zur Verfügung gestelltes Tablet den »Lifetime Report« ihrer Feuerfestmaterialien über eine sichere Verbindung abrufen. Die Auswertung führt zu einer Wartungsempfehlung, die sich an den aktuellen Daten und der Lebensdauerprognose orientiert. »RHI Magnesita kann mit Hilfe der KI-unterstützten Lösung den Kunden eine bessere Ressourcenplanung anbieten«, erklärt dazu Thomas Riedl, Managing Director bei Nagarro Österreich.
Gregor Lammer, APO Product Owner RHI Magnesita: »Unsere patentierte, automatisierte APO Prozessoptimierung nutzt künstliche Intelligenz zur Berechnung eines ›digital twin‹ von Feuerfestmaterialien, um deren Lebensdauer vorhersehbar zu machen. Das bedeutet: Erhöhte Sicherheit, optimierte Produktion und weniger Produktionsausfälle.«
Die KI als Teamkollegin
Auf künstliche Intelligenz basierende Systeme sind vielleicht auch die neuen Teamkolleginnen der Zukunft. Sie sollen den Menschen am Arbeitsplatz tatkräftig unter die Arme greifen – insbesondere da, wo hohe Flexibilität gefragt ist, wie etwa bei der Fertigung von individuellen Produkten in Losgröße eins. Wichtig ist dabei, dass der Mensch seinem künstlichen Teamkollegen vertraut und die beiden gut miteinander kommunizieren können.
Das Software Competence Center Hagenberg (SCCH) hat dazu das Forschungsprojekt TEAMING.AI initiiert und leitet dieses auch. Gemeinsam mit europäischen Partnern aus Forschung und Industrie wird das visionäre Konzept anhand von Demonstratoren in den Bereichen Qualitätsinspektion, Maschinendiagnostik und Unfallprävention realisiert und veranschaulicht.
Bild oben: Thomas Riedl, Nagarro: »KI-Lösungen ermöglichen Energieeinsparungen und exaktere Wartungsempfehlungen, da man sich an aktuellen Daten orientiert.«
KI ist in der Produktion eine Schlüsselfrage für die globale Wettbewerbssituation Europas – in den USA und China ist KI im Industriebereich nicht so stark präsent. »Die EU fokussiert sich auf die Reindustrialisierung und die KI-gestützte Produktion, deshalb gab es auch den Call ›AI for Manufacturing‹«, erklärt der Initiator und Koordinator von TEAMING.AI, Bernhard Moser.
In der Produktion werde viel automatisiert, das funktioniert bei großen Losgrößen gut. Der Trend geht aber zu individualisierten Produkten, daher sollen die Fertigungsstraßen flexibler agieren können, mit dem Ziel, effizient in geringeren Losgrößen fertigen zu können, so Moser, Forschungsleiter des Software Competence Center Hagenbergt.
Durch die Produktion in geringeren Stückzahlen stehen allerdings auch weniger Daten für maschinelles Lernen zur Verfügung. Es brauche daher das Know-how und die Unterstützung von erfahrenen Fachkräften mit ihrem Wissen zu Prozessen und Zusammenhängen. Für kleine Losgrößen und generell bei Wartungsarbeiten oder beim Umrüsten auf eine neue Produktionslinie braucht man vor allem Kontextinformationen – diese spielen eine wichtige Rolle beim Erkennen von Mustern. »Wir haben es mit statischen und dynamischen Daten zu tun.
Das können technische Dokumentationen, System-Logs oder Sensordaten von Maschinen und das Feedback von Menschen sein. Diese Vielfalt an Daten gilt es zu nutzen und auf einen Nenner zu bringen, um Teamwork zwischen Mensch und KI zu ermöglichen. Dazu bieten sich sogenannte Knowledge-Graphen an. Darunter versteht man allgemein eine Systematik, anhand derer Informationen gesucht und miteinander verknüpft werden.
Diese werden in Sozialen Medien wie etwa Facebook erfolgreich eingesetzt. Dabei gibt es jedoch einen Haken, denn für soziale Medien genügt eine Aktualisierung dieser Datenstrukturen im Bereich von mehreren Stunden. Für industrielle Zwecke aber brauchen wir Aktualisierungsraten im Bereich von Minuten oder sogar Sekunden«, erklärt der Experte.
Die Rolle des Menschen
Neben vielen Herausforderungen aus der Produktion behandelt das Projekt im Kern auch zentrale Fragen des sogenannten »Human Centered AI« Paradigmas. Dabei geht es darum, sicherzustellen, dass KI-Systeme ethischen Kriterien entsprechen. Entsprechende ethische Richtlinien wurden bereits auch von der High-Level-AI-Expert Group der Europäischen Kommission erarbeitet.
Wie aber kann sichergestellt werden, dass KI-Systeme solche textuell formulierten Richtlinien befolgen? Beispielsweise muss garantiert sein, dass der Mensch die Kontrollhoheit über KI-Systeme hat. »Ein Schlüssel dazu ist, ähnlich wie im Zusammenhang mit der Flexibilisierung, ein schneller Mechanismus zur Aktualisierung und Konsistenzprüfung von verlinkten Daten, um zeitgerecht oder bereits im Vorfeld die Missachtung von etwaigen Richtlinien automatisch erkennen zu können«, so Moser.
Automatische Mustererkennung
Das Startup Smart Digital Concepts setzt auf »Unmanned Aerial Vehicles (UAVs)« und KI, um auf Basis von Bilddaten aus Drohnenflügen neuen Nutzen für Kunden in den unterschiedlichsten Bereichen zu schaffen: für die Land- und Forstwirtschaft, Vermessung, Versicherungen, öffentliche Sicherheit und Katastrophenschutz, Sicherheitsdienstleister sowie Betreiber und Eigentümer von Infrastrukturen. Im Hintergrund werkt eine leistungsfähige IT, darunter eine Speicherplattform von Pure Storage. Die Niederösterreicher entwickeln viele Anwendungen und Algorithmen selbst.
Bild oben: Wolfgang Kalny, Smart Digital Concepts: »Drohnenflüge tragen dazu bei, dass Schadensfälle schneller und wahrheitsgetreu von Versicherungen bearbeitet werden können.«
Die eingesetzten Drohnen sind mit Bilderfassungssystemen, speziellen Messgeräten, Lasersystemen sowie Spektral- und Thermalkameras ausgestattet und liefern auch bei schlechter Sicht zuverlässige, hochauflösende Bilder. Die Daten werden im Flug aufgezeichnet und zur späteren Auswertung ausgelesen. Ziel ist unter anderem die Auswertung von Umwelt- und Katastrophenszenarien, wie zum Beispiel Lawinengefahr, und die Erfassung des Zustands von Stromleitungen durch Mustererkennung mittels KI.
»Unser Ziel ist es, Lösungen anzubieten, die einen Mehrwert für unsere Kunden haben und möglichst hoch automatisiert sind. Die Anwendungen reichen von der präzisen Erfassung des Zustandes forst- und landwirtschaftlicher Nutzflächen, über Defekte auf Baustellen und Verkehrswegen bis hin zu Verschleißerscheinungen an Stromnetzen«, erklärt Wolfgang Kalny, CTO bei Smart Digital Concepts.
Warnung vor Vertrauen
KI kann in vielerlei Hinsicht helfen. In Hinblick auf die Robustheit von Technik kann KI eingesetzt werden, um Fehler und Lücken in Systemen zu identifizieren, meint auch Mariarosaria Taddeo, Senior Research Fellow am Oxford Internet Institute, Oxford University. KI könne etwa Verifikations- oder Validierungsprozesse viel schneller erledigen. »Diese sind im Allgemeinen oft zeitaufwendig und mühselig. Weiters wird KI bereits auch eingesetzt, um Systeme bei der Abwehr von Angriffen zu unterstützen«, sagt sie.
Das britische Unternehmen Darktrace nutzt bereits Methoden des maschinellen Lernens, um kompromittierte Teile von Systemen, die angegriffen wurden, zu identifizieren und unter Quarantäne zu stellen. »Das sind alles gute Nachrichten und es ist der Grund, warum es weltweit großen Druck auf die Entwicklung von KI-basierten Produkten für die Cybersicherheit gibt«, erklärt Taddeo.
Die Rolle von KI in der Cybersicherheit wird in den Leitlinien der EU-Kommission und von anderen internationalen Initiativen betont. Normierungsgremien wie die IEEE arbeiten an Standards für KI in der Cybersicherheit. All diese Initiativen haben ein Element gemeinsam: die Idee, vertrauenswürdige KI voranzutreiben.
Allerdings warnt Taddeo vor einem blinden Vertrauen in KI-Technologie. »Wir wissen nicht im Detail, wie ein auf maschinellem Lernen basierender Prozess ein bestimmtes Ergebnis hervorbringt. KI ist eigentlich eine sehr fragile und fehleranfällige Technologie.« (Siehe Interview im Report (+) PLUS im Februar 2021.) Studien zeigen, dass mit einem minimalen Aufwand das Ergebnis eines KI-Systems in großem Umfang verändert werden kann.
Auch bestehe die Gefahr von Hintertüren in neuronalen Netzwerken: Da diese Technologien keinen einsehbaren Quellcode im klassischen Sinn haben, werden Backdoors kaum erkannt. »Wir sollten vom Terminus der vertrauensbasierten KI zu jenem zuverlässiger KI-Systeme übergehen. Das bedeutet für die Betreiber kritischer Infrastrukturen, dass bei der Beschaffung ›KI als Dienstleistung‹ keine Option ist: Unternehmen und der öffentliche Sektor sollten Lösungen und Komponenten für maschinelles Lernen selbst entwickeln.«
KI ermöglicht Reporting der Zukunft
»Bisher ermöglichte Reporting, die Vergangenheit zu betrachten und die Gegenwart zu analysieren. Wir gehen mit KI den entscheidenden Schritt weiter. Auf Basis historischer SAP-Daten des letzten Jahres können wir mit hoher Genauigkeit eine Woche in die Zukunft blicken«, erläutert Markus Morell, Leiter des Geschäftsbereichs Advanced Analytics & Artificial Intelligence bei Axians.
Die Prognosen werden durch die Auswertung von SAP-Daten möglich, die mit komplexen mathematischen Algorithmen verknüpft werden. Damit können beispielsweise Produktionsmengen, Lagerbestände oder die Einsatzplanung der Mitarbeiter entsprechend geplant werden. Zum Einsatz kommen statistische Modelle und Verfahren auf Basis von Machine Learning, digitale Bildererkennung sowie das Erkennen und Verstehen von Sprache. Diese Methoden ermöglichen es, Prozesse und Betriebskosten zu optimieren, da beispielsweise Stillstandzeiten in der Fertigung reduziert oder Transportvolumen in der Logistik bis zum Maximum ausgeschöpft werden können.