Dienstag, April 30, 2024

Dreifaltigkeit des Marketing. Strategie, Taktik und operative Maßnahmen.Wirtschaftlicher Wettbewerb wird unter anderem über das Marketing entschieden. Dabei ist ein Begriff völlig unangebracht: Fairness. Denn Marketing ist Krieg mit erlaubten Mitteln. Wie Sie aus der Schlacht als Sieger hervorgehen.

Von Hans-Jürgen Borchardt

Wenn Sie an Marketing denken, fallen Ihnen wahrscheinlich Begriffe wie Wettbewerber, Marktpartner oder auch noch Marktbegleiter ein, wie es immer wieder in der Literatur zu lesen und auf Seminaren zu hören ist. Aber denken Sie mal nach: Was ist ein Wettbewerber, ein Marktpartner oder ein Marktbegleiter?

Der Reihe nach

Ein Wettbewerber ist einer, mit dem man mit gleichen Mitteln um den Sieg kämpft, um festzustellen, wer der Bessere ist. Und in einem fairen Wettbewerb treten Gleichberechtigte gegeneinander an. 100-Meter-Läufer gegen 100-Meter-Läufer, Kanuten gegen Kanuten und Boxer in der gleichen Gewichtsklasse. Der Sieger gewinnt, aber vernichtet nicht seinen Gegner. Auch wenn der Begriff »Wettbewerb« nicht sportlich interpretiert wird, sondern im Sinne eines kreativen Leistungsvergleichs gesehen wird, wie z. B. bei Architektur-Wettbewerben, sind die Chancen gleich und die Verlierer nicht generell aus dem Marktgeschehen entfernt.

Noch fairer müssten Marktpartner oder Marktbegleiter miteinander umgehen. Sie würden sich, wenn sie wirklich Partner oder Begleiter wären, gegenseitig unterstützen und helfen, weil sie das gleiche Ziel haben. Im wirtschaftlichen Bereich wird aber der Begriff »Wettbewerb« von den Volkswirtschaftlern mit Verdrängung, Abnahme von Marktanteilen, schöpferischer Zerstörung, Preiskrieg usw. gleichgesetzt. Noch konkreter und direkter ist der verpönte Begriff  Konkurrenz. Die Ökonomen erklären dieses Wort so: »Konkurrenz  ist der Kampf verschiedener Anbieter um die Kunden.« Diese stark vereinfachten, aber dennoch richtigen Interpretationen zeigen, dass Marketing kein Wettbewerb, sondern Krieg ist. Das beweisen schon die wichtigsten Handlungsoptionen, die es im Marketing gibt: »Strategie«, »Taktik« und »Operative Maßnahmen«, drei militärische Begriffe, die –richtig ausgefüllt– das Ziel haben, die Schlachten und damit letztendlich den Krieg zu gewinnen.

Die Praxis

Marketing ist kein Wettbewerb und schon gar nicht fair. Marketing hat immer das Ziel zu siegen und – wenn möglich – den oder die Gegner vom Markt zu verdrängen und zwar definitiv und endgültig. Marketing ist erlaubter Krieg. Es gilt das Wort:» Du oder ich«.
Das Problem ist, dass Großunternehmen das wissen, und sie beschäftigen Spezialisten, deren Aufgabe einzig und allein darin besteht, neue Strategien, neue Taktiken und neue operative Maßnahmen zu entwickeln, um dem Gegner die Kunden wegzunehmen. Kleinere Betriebe dagegen verfügen selten über (viele) Spezialisten.  

Die falschen Vorstellungen

Viele Unternehmer glauben heute immer noch, Marketing sei nicht so wichtig, sondern »Qualität verkauft sich von selbst«. Die­se falsche Einstellung vieler Firmeninhaber liegt oft  in der mangelhaften Ausbildung im Bereich Marketing. Nach wie vor stehen die betriebswirtschaftlichen, die organisatorischen Themen und die Finanzierung im Mittelpunkt des Denkens und Handelns. Wenn sich dann die Inhaber notgedrungen  doch mit den verschieden Teilgebieten des Marketings befassen müssen, werden aufgrund der Unkenntnis oft falsche Entscheidungen getroffen.

Die Kardinalfehler

> Bei Fragen der Werbung ist die Ästhetik wichtiger als die konsequente Darstellung der Vorteile, die man zu bieten hat.
> Man betrachtet den Auftritt und die Aussagen der Konkurrenten als Vorbild und will deshalb so oder so ähnlich im Markt auftreten.
> Bei Entscheidungen im Bereich des Service hat die Vermeidung von Leistungen Vorrang vor der Kundenzufriedenheit.
> Im Vertrieb wird erst über neue Möglichkeiten nachgedacht, wenn die Konkurrenten sich dort bereits erfolgreich etabliert haben und man feststellen muss, dass die eigenen Kunden abwandern.
>  Entschließt sich dann ein Inhaber doch einmal, einen Profi zu engagieren, muss er sehr schnell feststellen, dass er zwar viel Geld bezahlen muss, aber spürbare Erfolge oft ausbleiben. Der Grund ist einfach. Die wirklich guten Marketingprofis sind rar und sitzen gut bezahlt in den (internationalen) Beratungsfirmen, Agenturen und  Großunternehmen. Die, die sich freiberuflich anbieten und für 30, 50, 70 Euro die Stunde arbeiten, sind meistens zweite Wahl. Für sie ist oft der eigene Verdienst das Wichtigste.

Konzentrieren Sie sich auf die Vorteile, die Sie besitzen

Wenn Sie sich jetzt fragen: »Und wie soll das jetzt ohne fachliche Unterstützung besser werden? Was kann ich denn gegen die ›Großen‹ unternehmen?«,  dann ist die Antwort einfach. Kleinere Betriebe haben völlig andere Bedingungen.

Weil Ihre Bedingungen zum Teil völlig anders sind, benötigen Sie nur einen Bruchteil des Wissens, über den Großbetriebe verfügen müssen. Sie können sich auf die Urform des Marketings konzentrieren, so wie es Handwerker, Händler und Dienstleister schon seit ihrer Entstehung getan haben: die Wünsche der Kunden erfassen und erfüllen. Oder anders formuliert: Sie konzentrieren sich selektiv auf den Kernbereich des Marketings, mit dem Sie Ihren Betrieb wettbewerbsfähig ausrichten.

Mittelgroße Betriebe, egal welcher Art, verfügen über sechs wichtige Vorteile, die Großbetriebe nicht haben und nicht für sich nutzen können. Die Praxis zeigt, dass den meisten Unternehmern diese Vorteile nicht bewusst sind und sie daher auch nicht genutzt werden. Deshalb denken Sie darüber nach, wie Sie diese Vorteile zur Verbesserung Ihrer Wettbewerbssituation und Kundenbindung nachhaltig einsetzen können.

Die sechs Vorteile beruhen im Prinzip alle auf der Nähe zum Kunden. Dieser Unterschied ist gravierend, denn jeder Inhaber eines kleineren Betriebes ist – im Gegensatz zu den Groß- und Markenartikelbetrieben – immer im direkten Kontakt mit seinen Kunden.

Die Vorteile im Einzelnen:

1. Die Nähe
2. Der Direktkontakt zum Kunden
3. Das persönliche Verhältnis
4. Die Vertrauenswürdigkeit
5. Die Individualisierung
6. Die Schnelligkeit

Diese sechs Vorteile müssen Sie nutzen, denn über diese Vorteile verfügen nur Sie als Unternehmer mit dem direkten Kontakt zu Ihren Kunden.

 1. Die Nähe   

Eine Untersuchung der bekannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young hat festgestellt:
»Kleine Unternehmen haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Großunternehmen: die Nähe zum Kunden. Ihr Nachteil ist: Sie wissen nicht, was ihre Kunden wollen.«

Kleinere Betriebe kennen ihre Kunden, aber fragen sie nicht nach ihren Wünschen. Sie sind zwar mit den Gegebenheiten und den (besonderen) Bedingungen vor Ort vertraut, aber sie stellen sich nicht ausreichend darauf ein. Ein Beispiel:
Jeder weiß z. B., wie wichtig vielen Kunden der Service ist, aber nur wenige Unternehmer denken darüber nach, wie sie diesen Vorteil mit ihrem Vor-Ort-Service vermarkten können. Denken Sie darüber nach, wie Sie die Nähe zum Kunden zu Ihrem Vorteil nutzen können. Überlegen Sie, welche (Service-)Angebote Sie entwickeln können, die Großunternehmen nicht kopieren können, weil diese weit weg sind. Fragen Sie Ihre Kunden und denken Sie mit Ihren Kunden über neue Lösungen nach, die Großunternehmen nicht bieten können.

 2. Der Direktkontakt

Je größer die Unternehmen werden, je anonymer werden sie. Wer kennt die Personen, die bei den internationalen Unternehmen, den Banken, den Versicherungen, die Entscheidungen treffen? Es kann keinen direkten Kontakt zwischen Unternehmen und Kunden geben, weil die Zahl der Kunden für diese Unternehmen nicht mehr überschaubar ist. Und weil der direkte Kontakt zum Kunden aufgrund der Größe und des »Wasserkopfes« verloren gegangen ist, werden oft Entscheidungen getroffen, die die Wünsche der Kunden ignorieren. Werden Informationen für Entscheidungen im Bereich Marketing benötigt, werden Marktforschungsinstitute eingesetzt. Die müssen die Meinung der Kunden anonym erfassen. Dass dieses Verfahren nicht immer optimal ist, beweist die Erfahrung. Auch mit einer Reklamation dringt der Kunde nur noch selten bis zu den verantwortlichen Personen in den Unternehmen vor, weil diese sich gegen ihre Kunden abschotten. Der Kunde muss sich an den Händler, den Agenten oder an das Callcenter wenden. Die haben aber meistens nur ein Ziel: die Kunden zu beschwichtigen und abzuwimmeln.  Ganz anders dagegen Sie, als Chef. Sie stehen aufgrund der Nähe jeden Tag in direktem Kontakt mit Ihren Kunden. Sie können Ihre Kunden jeden Tag nach ihren Wünschen und Erwartungen befragen und entsprechend reagieren. Sie müssen es nur tun.

 3. Das persönliche Verhältnis

Es gibt nur wenige Anbieter, die ein so persönliches Verhältnis zum Kunden entwickeln können wie Sie. Sie können den Kunden persönlich beraten, ihm Tipps und Anregungen bieten und ihn persönlich einweisen. Sie können in einer Person Berater, Verkäufer, Lieferant, Monteur und oft auch der Servicepartner sein. Sie können Reklamationen persönlich behandeln und mit den Kunden gemeinsam sowohl die beste Lösung suchen als auch die Fehlerursache ermitteln und nach Lösungen zur Vermeidung suchen.   

 4. Die Vertrauenswürdigkeit

Banken, Versicherungen und viele Großunternehmen neigen dazu, in ihren Firmenaussagen und Slogans Leistungen zu versprechen, die sie gar nicht halten können.
Denken Sie mal eine Minute über verschiedene Slogans der Versicherungen, Banken, Autohersteller oder Hersteller von Körperpflegemitteln nach. Da wird alles Mögliche versprochen, aber wenig eingehalten.

Kleinere Unternehmen werben im Normalfall nicht mit Slogans, die an Superlative erinnern oder mit Versprechungen, die nicht eingehalten werden. Nutzen Sie diesen Vertrauensbonus. Sagen Sie in Ihrer Werbung und in dem persönlichen Gespräch, was Sie unterscheidet und was Sie besser machen.

 5. Die Individualisierung

Viele Industriebetriebe bestimmter Branchen behaupten zwar, dass sie individuelle Lösungen bieten, aber das ist grundsätzlich nicht richtig. Richtig ist, dass sie über Baukastensysteme verfügen, die der Kunde nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen zusammenfügen kann. Das Ergebnis sind angepasste, aber keine individuellen Lösungen, weil nur (unveränderbare) Module und Einzelteile zusammengesetzt werden können. Die Differenzierung zur Industrie ist noch nachhaltiger, wenn der Inhaber oder die Mitarbeiter bei Design, Funktionalität, Materialqualität, Leistungsauslegung, Ausstattung etc. individuell beraten, gestalten und empfehlen.

 6. Die Schnelligkeit

Kleinbetriebe können von einem Tag auf den anderen reagieren. Sie können sich mit einer extremen Schnelligkeit auf neue Situationen einstellen und mit Gegenmaßnahmen oder neuen Angeboten agieren und reagieren. Bevor ein Großunternehmen sich bewegt, müssen Zielvorstellungen entwickelt und formuliert werden. Diese müssen geprüft und hinterfragt werden. Ist das geschehen, müssen Pläne gemacht, korrigiert und genehmigt werden. Irgendwann wird dann, wenn entsprechende Ressourcen bereitgestellt sind, der Plan realisiert. Dann sind aber bereits Monate oder mehr Zeit vergangen und es können schon neue Bedingungen eingetreten sein. Ganz anders der Kleinbetrieb: Wenn er heute mit einer neuen Situation oder einem neuen Angebot konfrontiert wird, kann er umgehend Gegenmaßnahmen einleiten.

Fazit

Wenn Sie Ihre Nähe zum Kunden und die damit verbundenen Vorteile konsequent nutzen, haben Sie große Chancen, den Marketing-Krieg nicht zu verlieren.

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