Samstag, April 27, 2024
Report:Wie geht es der österreichischen Gaswirtschaft?
Gerstl:Das hängt von der regionalen Kundenstruktur ab. In Oberösterreich dürfen schon im ersten Schritt der Liberalisierung über 80 Prozent der Industriekunden den Versorger frei wählen, in der Steiermark über 60 Prozent. Das nächste Mal spannend wird es mit 1. Oktober 2002, wenn die hundertprozentige Liberalisierung kommt und sich theoretisch jeder Haushaltskunde seinen Lieferanten selber suchen kann.

Wie hoch ist die Wechselbereitschaft?
Wir gehen von deutlich weniger als zehn Prozent aus. Wenn der Versorger seinen Kunden nicht verärgert hat, bleibt der Kunde bei ihm.

Warum ist die Gaswirtschaft gegen eine Regulierungsbehörde?
Es heißt, der Markt soll liberalisiert werden, und dann wird reguliert. Das ist doch widersinnig. Außerdem können Regulierungsbehörden nicht kundenfreundlich agieren, weil ihnen die Nähe zum Kunden fehlt. Seit 1968 importieren wir russisches Gas und sind ohne Regulierungsbehörde ausgekommen. Ich bezweifle, ob ein Regulator oder auch ein Independent System Operator (ISO) das genau so gut kann. Das wäre eine große Zentralbehörde, die von Brüssel aus das Netzwerk steuert.

Welche ausländischen Anbieter sind in österreich derzeit tätig?
Ich weiß nur von der Ruhrgas. Die Frage ist: Wer tut sich das an? Eine wirkliche Wechselbereitschaft gibt es ja nur bei entsprechend großen Preisvorteilen. Da kann ich höchstens mit einer Kriegskasse eine Zeit lang unter dem Einstandspreis verkaufen. Aber das ist riskant, weil die Stammkunden sagen: Warum bekomme ich keine solchen Preisnachlässe? Niemand ist gut beraten, extrem aus der Rolle zu fallen.

In Deutschland klagen neue Anbieter, dass faktisch kein verhandelter Netzzugang existiere. Ihnen würden einfach die Bedingungen vorgelegt.
In Deutschland gibt es die Verbändevereinbarung Gas 2, eine freiwillige übereinkunft. Wir dagegen müssen die Kalkulationsrichtlinien veröffentlichen. Da gibt es keine Tricks. Die Ruhrgas Austria etwa ist bei uns sehr gut bedient. Auf Granit beißt sie bei Kunden wie der Gmundner Keramik, die weit weniger als 25 Millionen Kubikmeter im Jahr verbraucht. Die kann ihren Versorger laut Gesetz halt erst ab 1. Oktober 2002 wählen.

Was bringen Ihnen die anderthalb Jahre Verzögerung?
Wenn ich einem die Durchleitung erlaube, muss ich sie allen erlauben. Und es gibt ja noch keine funktionierende Verrechnungssoftware. Die Firmen sitzen alle noch beim Entwickeln. Das wird verdammt eng. Wir sträuben uns nicht gegen so knappe Termine, weil wir gegen die Liberalisierung sind, sondern weil sie technisch nicht so schnell machbar ist. Wenn ein Softwarelieferant sagt, das Werkel rennt in zwei Jahren, dauert es vier Jahre, bis es wirklich rennt. Wir sind gesetzlich verpflichtet, den Markt zu öffnen. Nur wie das verwaltungstechnisch gehen soll, sagt uns die Politik nicht.

Gehört das nicht zum wirtschaftlichen Risiko?
Die Frage ist, wer trägt das wirtschaftliche Risiko. Ich als verantwortungsvoller Netzbetreiber muss darauf achten, dass die Gasmengen, die ich shippere, ordentlich verrechnet werden.

Schlägt sich der höhere Verwaltungsaufwand auf den Gaspreis nieder? Wir müssen ihn selber schlucken, sonst werden wir geprügelt. Aber es sind beträchtliche Investitionen nötig in Hard- und Software. Bei Kunden, die nur das Teewasser mit Gas kochen und um die 500 Kubikmeter pro Jahr brauchen, sind die Infrastrukturkosten höher als die Einnahmen aus dem Gasverkauf. Es gibt also auch kaum Spielraum für Preissenkungen.

OMV-Finanzchef Ruttenstorfer sagte, die mittlere Verteilungsebene solle beseitigt werden.
Darüber reden wir seit über einem Jahr. Ich bin überzeugt, es wird zu einem Zusammenrücken kommen, und dem werden wir uns sicher nicht verschließen.

Wie gehen Sie im freien Markt mit den Take-or-Pay-Verpflichtungen um?
Ich wäre glücklich, wenn ich die Take-or-Pay-Verpflichtung nicht in meinem Vertrag hätte. Aber die OMV übernimmt sie von den Russen und gibt es uns weiter ...

... und Sie Ihren Kunden.
So einfach ist das nicht. Der TOP-Vertrag der OMV läuft rund 25 Jahre, das übernehmen wir fast eins zu eins. Auf der Kundenseite gibt es kaum noch Verträge über mehr als drei Jahre. Wir bleiben auf der TOP-Verpflichtung sitzen. Das muss im neuen Gaswirtschaftsgesetz geregelt werden.

Wie hoch sind die österreichischen Gastarife im internationalen Vergleich?
Eindeutige Vergleiche sind schwierig, weil wir in unsere Tarife einen Lastausgleich hineinnehmen müssen, der zehn Prozent der transportierten Menge beträgt. Wir als OöFG haben sogar eine zweistündige Notversorgung drin. In Deutschland habe ich eine ganze Reihe von Durchleitungstarifen, in die die Netzdienstleistungsgebühr nicht einkalkuliert ist.

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