Samstag, Juli 27, 2024
Die große Report-Umfrage: Arbeitskräftemangel
Titelbild (v.l.): Julia Moreno-Hasenöhrl (WKO), Andreas Reitermayer (Talent & Care GmbH) und Martina Auer-Klass (Porr). (Bilder: Nadine Studeny, Porr, Humanocare)

In nahezu jeder Branche fehlen Arbeitskräfte. Unternehmen suchen bereits außerhalb Europas nach Personal. Doch bringen die dort Angeworbenen die gewünschten Qualifikationen mit? Und wie groß sind die kulturellen Differenzen? Report(+)PLUS hat drei Expert*innen um ihre Einschätzung gebeten.

Soll Österreich verstärkt Arbeitskräfte von anderen Kontinenten anwerben, um den Personalmangel zu lindern?

Julia Moreno-Hasenöhrl
Stv. Leiterin der Abteilung für Sozial- & Gesundheitspolitik der WKO, Gesamt­koordination Fachkräftesicherung

Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist in Österreich eines der drängendsten Probleme. Aktuell haben wir bereits über 200.000 nicht besetzte Stellen. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich die Situation weiter verschärfen. Dies gefährdet unseren Wohlstand und die Finanzierung der Sozialsysteme. Wir müssen jetzt handeln und wir brauchen daher auch qualifizierte Zuwanderung, denn allein mit den in Österreich verfügbaren Personen wird es sich nicht ausgehen. Der Arbeitsstandort muss daher aktiv beworben und internationalen Talente für Österreich gewonnen werden.

Martina Auer-Klass
Head of HR der PORR Group

Wenn wir unseren Wohlstand nicht verlieren wollen, müssen wir die legale Migration zulassen. Österreich braucht eine gezielte Zuwanderung, so wie es in klassischen Einwanderungsländern wie Kanada und den USA üblich ist. Wir müssen definieren können, welche Arbeitskräfte wir brauchen. Derzeit arbeiten wir bei der PORR in Österreich viel mit polnischen Kolleginnen und Kollegen. Wir merken jedoch in Europa insgesamt den Arbeitskräftemangel. In den kommenden Jahren rekrutieren wir verstärkt aus dem asiatischen Raum – bei unseren Projekten in Katar haben wir ja gute Erfahrungen mit Bewerbern aus Indien und Nepal gemacht.

Andreas Reitermayer
Geschäftsführer der Talent & Care GmbH

Österreich hat einen eklatanten Mangel an Arbeitskräften, insbesondere im Gesundheitswesen. Da herrscht inzwischen eine sehr herausfordernde Situation. Es gibt beispielsweise Krankenhäuser, die Abteilungen schließen müssen, weil sie nicht genug Personal haben, um Patient*innen rund um die Uhr betreuen zu können. Talent & Care leistet einen Beitrag, um ein gewaltiges Strukturproblem im Österreichischen Gesundheitssystem ein wenig zu lindern. Deshalb sind wir überzeugt, dass Österreich generell künftig zusätzliche Arbeitskräfte von anderen Kontinenten benötigt, da nicht zuletzt aufgrund des demographischen Wandels auch in anderen Branchen Engpässe entstehen werden. Daher führt kein Weg an der Zuwanderung in den österreichischen Arbeitsmarkt vorbei und hier sehen wir unseren Beitrag.

Ist die Rot-Weiß-Rot-Card ein taugliches Instrument für qualifizierte Zuwanderung?

Julia Moreno-Hasenöhrl: Grundsätzlich hat sich das System der Rot-Weiß-Rot-Karte für qualifizierte Fachkräfte bewährt. Mit der Reform im Oktober 2022 wurden viele wichtige Forderungen der Wirtschaft umgesetzt. Die positiven Auswirkungen sind bereits in den Zahlen sichtbar, die sich von 2021 auf 2022 fast verdoppelt haben. Durch weitere Anpassungen kann man das System noch treffsicherer machen. In Kombination mit gezielten Rekrutierungsaktivitäten in Fokusländern sollten sich so noch mehr Fachkräfte für Österreich gewinnen lassen.




Martina Auer-Klass: Die Rot-Weiß-Rot-Karte in der derzeitigen Form hilft uns als Bauunternehmen nur begrenzt, nämlich dort, wo es um bestimmte Fachkräfte geht. Wir benötigen aber sehr viel gewerbliches Personal für unsere Baustellen. Alleine in Österreich suchen wir laufend rund 500 Arbeitskräfte. Der Erwerb der Rot-Weiß-Rot-Karte ist an Bildungsstand und Sprachkenntnisse geknüpft – viele potenziell für uns interessante Arbeitskräfte können diese Kriterien nicht erfüllen. Hinzu kommt, dass der Prozess in der Praxis umständlich ist und lange dauert.

Andreas Reitermayer: Grundsätzlich ist die RWR-Card ein taugliches Mittel. Allerdings ist das Thema der Mangelberufe eines, das künftig verstärkt zu evaluieren sein wird. Die Berufe und Berufsbilder sind vielschichtiger geworden, das spiegelt sich nicht nur in der Mangelberufsliste wider. Diese Entwicklung muss mitgedacht und generell ein Stück weit flexibler werden, beispielsweise durch regelmäßige Adaptierungsmöglichkeiten. Auch das Thema Berufsanerkennung ist ein wichtiges und auch hier sollte an einer größeren Flexibilität weitergearbeitet werden. Der herausforderndste Teil des Prozesses für die Rekrutierung von Fachpersonal in der Gesundheitsbranche sind jedoch die Anforderungen des Anerkennungsverfahrens.

Wie kann die Integration gelingen?

Julia Moreno-Hasenöhrl: Damit die internationale Rekrutierung nachhaltig erfolgreich ist, muss natürlich auch die Integration gelingen. Daher ist es essenziell, dass sich die Fachkraft hier »wohl fühlt« und sich ein Leben in Österreich aufbaut. Bei der Integration muss man sowohl betrieblich als auch gesellschaftlich ansetzen. Berufsbegleitende Deutschkurse, Welcome Center in der Region, Einführung ins Vereinsleben oder betriebliche Mentor*innen zur Begleitung sind dabei wichtige Ansatzpunkte.

Martina Auer-Klass: Ich kann hier nur für die PORR Gruppe sprechen. Wir beschäftigen Menschen aus ca. 80 Nationen; diese Vielfalt ist eine unserer größten Stärken. In Österreich hat fast ein Viertel unserer Mitarbeitenden eine ausländische Staatsbürgerschaft. Auf den Baustellen haben wir daher schon seit langem Routine darin, Menschen unterschiedlichster Herkunft zu integrieren. Wenn es zum Beispiel eine Sprachbarriere gibt, dann sorgen wir dafür, dass in jeder Partie zumindest eine Person ist, die übersetzen kann, damit alle die Anweisungen verstehen.



Andreas Reitermayer: Schon vorab überlegen und mitdenken, welche Typen und Kulturen sich gut mit unseren Werten matchen. Daher ist für uns vor allem der Fokus auf Südamerika, z. B. Kolumbien, gerichtet. Die Menschen aus diesem Teil der Welt haben eine grundsätzliche Beziehungskultur, was im Gesundheitswesen besonders wichtig ist. In Kolumbien gibt es ein ausgezeichnetes Ausbildungssystem, aber zu wenige Arbeitsplätze für die Absolvent*innen. Mit ihrem Ausbildungssystem und ihren Werten sind die Kolumbianer*innen damit sehr nahe am europäischen bzw. österreichischen Kulturbild. Und somit können wir bereits viele Erfolgsgeschichten von gelungener Integration erzählen.

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