Dienstag, Juni 06, 2023

Trotz fortschreitender Digitalisierung gewinnt der persönliche Kontakt an Bedeutung. Gefragt sind »ureigenste menschliche Eigenschaften« wie Intuition, Empathie und Hausverstand, meint die Klagenfurter Unternehmensberaterin Eva Kral.

(+) plus: Führungskräfte von morgen sollen gute Netzwerker, empathisch und sozial kompetent sein. Lässt sich das lernen?

Eva Kral: Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Empathie sollten sie möglichst bereits in der Prägephase ihrer Kindheit vom Elternhaus mitbekommen. Manches lässt sich aber durchaus über Techniken ein Stück weit erlernen. Das Wichtigste ist, trotzdem authentisch zu bleiben. Wenn eine Führungskraft, die bisher nicht sehr gesprächig und eher zurückhaltend war, nach dem Besuch eines Seminars plötzlich ihr Verhalten völlig ändert, wirkt das nicht stimmig.

(+) plus: Flache Hierarchien sind angesagt. Verlieren Führungskräfte dadurch an Entscheidungsstärke?

Kral: Ja, aber das kann durchaus etwas Gutes sein. Wenn ich mich in dieser Komplexität an Aufgaben um jeden Pipifax selbst kümmere, schaffe ich das als Führungskraft überhaupt noch? Dieses Detailwissen kann man ja fast nicht mehr haben.Vielleicht mache ich mir das Leben ein bisschen leichter, wenn ich diesen Machtverlust zulasse. Dann bleibt Zeit für wirklich wichtige Entscheidungen. Führungskräfte müssen die Wege bestimmen, auf denen die Ziele erreicht werden sollen, aber nicht die Inhalte. Das ist die Kunst: aus allen Bereichen Fachleute auszuwählen und zu vernetzen – wer sind die besten Leute für bestimmte Aufgaben, wie
arbeiten sie zusammen und wie können die Ergebnisse umgesetzt werden.

(+) plus: Wird das von den Betroffenen tatsächlich als Gewinn gesehen?

Kral: Nein – als Machtverlust. Das auszuhalten, muss man lernen.

(+) plus: Zieht mit der jüngeren Generation ein anderer Führungsstil ein?

Kral: Es ist noch zu früh. So viele Jüngere sind noch nicht in den Top-Positionen angelangt. Ich halte es mit Fürst Karl Schwarzenberg, der kürzlich in einem Vortrag gesagt hat: Jede Generation hat die Aufgabe, Neues zu gestalten, und wird Veränderungen bringen. Ich sehe aber schon, dass die Ansprüche heute ganz andere sind. Familie, Freunde und Hobbys haben einen höheren Stellenwert als die Karriere. Teamorientiertes, sinn­erfülltes Arbeiten auf Augenhöhe – das ist alles schon da. Was sich dadurch letztlich ändert, wird diese Generation erst zeigen.

Derzeit ist noch ein etwas »schizophrenes« Führungsverhalten gefragt. Einerseits befinden sich die Organisationen mitten im Umbruch, deshalb müssen Strategie und Struktur vorgegeben werden. Stückweise wird aber schon in Selbstorganisation übergeführt. In diesen unterschiedlichen Aufgabenstellungen und Welten muss man sich bewegen können. Wenn die neue Generation Einzug hält, schafft sie es, beide Wege zu gehen, ohne die Organisation zu überfordern? Das wird spannend. Die Mitarbeiter sind ja großteils noch ganz anders sozialisiert.

(+) plus: Können digitale Technologien und Kanäle die persönliche Kommunikation, face-to-face, ersetzen?

Kral: Je mehr die Digitalisierung Einzug hält, desto mehr ist der Mensch gefragt. Das ist kein Widerspruch, beides ergänzt sich. Der Mensch arbeitet in der Kommunikation mit allen Sinnen. Eine Videokonferenz ist oft ressourcenschonender. Geht es aber um ein Thema, das auch nur einen Funken von emotionalem Touch hat, ist man in der Kommunikation auf die Körpersprache, die Mimik, die Stimme, den Geruch angewiesen, um manche Äußerungen richtig interpretieren zu können. Schon bei einem Telefongespräch ist man viel leichter irritiert, weil man kein Bild vor Augen hat.

(+) plus: Sind in modernen Bürolandschaften deshalb so viele unterschiedliche Kommunikationsbereiche vorgesehen?

Kral: Daran sieht man, wie wichtig Kommunikation wird. Ich betreue ein Unternehmen, das noch sehr klassisch aufgebaut ist. Für eine Besprechung unter vier Augen oder ein ungestörtes Kundengespräch gibt es eigentlich keinen geeigneten Raum. Es gibt ein großes Sitzungszimmer für etwa 20 Leute, aber keine Rückzugsräume für konzentriertes Arbeiten oder Kommunikationsecken, wo man sich kurz zusammensetzen kann.

(+) plus: Mit welchen Instrumenten können Führungskräfte die künftigen Herausforderungen meistern?

Kral: Früher gab die Führungsebene das Organigramm vor, die Stellenbeschreibungen wurden vom Qualitätsmanagement bestimmt, die Budgets standen fest. Das hat sich verändert. Der Rahmen wird noch vorgegeben, die Aufgaben aber von den Mitarbeitern selbst abgesteckt und die Budgets dafür ebenso wie die Zeitleisten verhandelt.

Aus der Kontrollfunktion wurde eine Support-Tätigkeit. Die Führungskraft muss passende Ressourcen organisieren, Kompetenzen vernetzen und die Teams dirigieren bzw. orchestrieren. Viel Augenmerk liegt auf der Personalentwicklung: Wie können die Mitarbeiter ihr Potenzial entfalten? Generell sehe ich die Entwicklung positiv: Es geht wieder weg vom Technokratischen hin zu den ureigensten menschlichen Eigenschaften wie Intuition, Empathie und Hausverstand. Standardaufgaben können digitalisiert werden, übrig bleiben wirkliche Führungsaufgaben.

Info: Eva Kral leitet Seminare zum Thema »Führen in turbulenten Zeiten«. Details unter www.changedesign.at

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