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»Wir müssen die ökonomischen Realitäten ernst nehmen«
Klima-Experte Peter Richner über negative Emissionen, CO2-neutralen Beton und die globalen Grenzen der europäischen Energiedebatte.
Bild: Dr. Peter Richner war stellvertretender Direktor der Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in Dübendorf und leitete dort den Forschungsbereich Ingenieurwissenschaften. Er gilt als einer der profiliertesten Experten für Klimastrategien im Gebäudesektor. Mit seinen Arbeiten zur Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft und CO2-negativen Baustoffen verfolgt er das Ziel, Klimaschutz und wirtschaftliche Innovation in Einklang zu bringen.
Herr Richner, die Schweiz hat mit dem Klima- und Innovationsgesetz ein Gesetz verabschiedet, das Klimaschutz und Innovation direkt miteinander verknüpft. Was macht diesen Ansatz so besonders?
Peter Richner: Besonders ist zunächst, dass das Gesetz explizit auf sogenannte negative Emissionen setzt – also auf Technologien und Prozesse, die CO₂ nicht nur vermeiden, sondern aktiv wieder aus der Atmosphäre holen. Das ist eine neue Dimension des Klimaschutzes. Hinzu kommt die Schweizer Eigenheit, dass die Bevölkerung darüber abgestimmt hat. Das verleiht dem Gesetz eine hohe demokratische Legitimation.
Worauf führen Sie die große Zustimmung in der Bevölkerung zurück?
Richner: Ich glaube, es gibt ein weit verbreitetes Bewusstsein, dass wir handeln müssen. Der Klimawandel ist real, das bestreitet kaum jemand mehr. Gleichzeitig ist es typisch schweizerisch, auch pragmatisch zu denken: Man will Lösungen, die realistisch und wirtschaftlich umsetzbar sind – keine Ideologie.
Der Bund hat angekündigt, beim Klimaschutz eine Vorbildrolle einzunehmen. Gelingt ihm das aus Ihrer Sicht schon?
Richner: Noch nicht ganz. Es ist erkannt worden, dass man sich anstrengen muss, aber in der Umsetzung besteht Nachholbedarf. Es braucht den politischen Willen, über kurzfristige Bequemlichkeiten hinwegzugehen. Das ist allen Beteiligten klar – und man arbeitet daran.
Sie haben mit Ihrer Idee einer Kreislaufführung von Kohlenstoff große Aufmerksamkeit erregt. Können Sie den Ansatz kurz erläutern?
Richner: Ausgangspunkt ist, dass wir für Netto-Null nicht nur Emissionen vermeiden, sondern auch CO₂ zurückholen müssen. Wenn wir die Konzentration in der Atmosphäre nicht aktiv senken, bleiben die heutigen Werte über Jahrtausende bestehen – mit irreversiblen Folgen wie dem Abschmelzen des grönländischen Eisschilds. Wir brauchen also Technologien, die CO₂ aus der Luft holen und langfristig binden. Mein Ansatz ist, diese Rückholung mit der Energie- und Bauwirtschaft zu verknüpfen. An Orten mit sehr viel erneuerbarer Energie – etwa in Australien oder Nordafrika – können wir CO₂ mit Hilfe von Sonne und Wind abscheiden und zugleich grünen Wasserstoff erzeugen. Aus beidem entsteht synthetisches Methan.
Dieses Methan kann über die bestehende Erdgas-Infrastruktur transportiert werden – die Logistikkette existiert bereits, anders als bei Wasserstoff. In der Schweiz oder Europa können wir dieses Methan dann durch Pyrolyse wieder in Wasserstoff und festen Kohlenstoff zerlegen. Der Wasserstoff dient als Energieträger, der Kohlenstoff wiederum als wertvoller Rohstoff.
Und dieser Kohlenstoff soll in der Bauwirtschaft eingesetzt werden?
Richner: Genau. Der Bausektor bietet die einmalige Möglichkeit, große Mengen Kohlenstoff dauerhaft zu speichern. Wir pelletieren den festen Kohlenstoff und setzen ihn als Zuschlagstoff im Beton ein. Im Labor können wir damit bereits CO₂-neutrale Betone herstellen – also von derzeit rund 200 Kilogramm CO₂-Ausstoß pro Kubikmeter Beton auf null reduzieren. Langfristig sehen wir sogar Potenzial für negative Werte.
Wann wird so ein Beton einsatzfähig sein?
Richner: Wir rechnen mit ersten Anwendungen in zwei bis drei Jahren. Im Moment arbeiten wir daran, die Prozesse zu skalieren und genügend Kohlenstoff bereitzustellen.
Kritiker könnten sagen: Wenn wir CO₂ ohnehin wieder einfangen, könnten wir doch weiter fossile Energien nutzen.
Richner: Das wäre ein gefährlicher Trugschluss. Selbst wenn wir heute alle Emissionen stoppen, bleibt CO₂ über Tausende Jahre in der Atmosphäre. Wir müssen also aktiv zurückholen – das ist die eigentliche Herausforderung. Unser Ansatz ermöglicht genau das: Der Kohlenstoff wird in Beton eingebunden, der mehrfach recycelt werden kann und damit dauerhaft der Atmosphäre entzogen wird. Genau das bedeutet »negativ« im wissenschaftlichen Sinn.
Wie wirkt sich der Kohlenstoff auf die Eigenschaften des Betons aus?
Richner: Nach aktuellem Stand gibt es keine Qualitätsverluste. Im Gegenteil: Wir sehen sogar Möglichkeiten, die mechanischen Eigenschaften des Betons zu verbessern. Der Kohlenstoff kann also nicht nur ökologisch, sondern auch materialtechnisch ein Gewinn sein.
Wie reagiert die Industrie auf diesen Ansatz?
Richner: Das Interesse ist enorm. Natürlich ist der Beton anfangs teurer, aber die sogenannten »First Mover« sind bereit, das zu tragen. Sobald die Produktion skaliert ist, sinken die Kosten deutlich. Entscheidend ist, dass wir an der bestehenden Betonrezeptur kaum etwas ändern müssen – wir ersetzen lediglich einen Teil des Zuschlagstoffs. Das senkt die Einstiegshürde und macht die Technologie schnell anwendbar.
Viele Länder, darunter auch Österreich, haben sehr ambitionierte Ziele für Netto-Null. Ist das realistisch?
Richner: Nur, wenn wir auf solche Kreisläufe setzen. Mit Biokohle lässt sich das bereits in kleinem Maßstab umsetzen, aber wirklich relevant wird es erst, wenn wir CO₂ aus der Luft oder aus dem Meer entfernen. Länder mit großem Flächenpotenzial und viel Sonnenenergie, etwa in der südlichen Hemisphäre, werden dabei eine zentrale Rolle spielen. Sie können die Welt mit erneuerbarer Energie und synthetischen Energieträgern versorgen.
In Europa wird derweil über das Aus des Verbrenner-Aus gestritten. Sie wirken da eher skeptisch.
Richner: Wir müssen uns an den globalen ökonomischen Realitäten orientieren. Die Entscheidungen fallen nicht in Brüssel, sondern in Märkten wie China, den USA oder Indien. Wenn etwa China 55 Prozent seiner Neuwagen vollelektrisch oder hybrid verkauft, dann ist das der Maßstab – und wer da nicht mithält, verschwindet. Wir diskutieren in Europa oft in einer Blase, losgelöst von den weltwirtschaftlichen Fakten.
Was wäre Ihr Fazit?
Richner: Wir müssen die ökologischen Ziele mit wirtschaftlicher Vernunft verbinden. Es geht nicht um Verzicht, sondern um intelligente Kreisläufe – bei Energie ebenso wie bei Baustoffen. Und wir dürfen nicht glauben, dass die Welt auf Europa wartet. Wer die ökonomischen Realitäten ignoriert, wird vom globalen Markt überholt.
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