Donnerstag, Mai 02, 2024
Kurswechsel
Eine schrumpfende Auftragslage und sinkende Umsätze machen derzeit jedem zweiten Betrieb in Österreich zu schaffen.(Fotocredit: iStock)

Sinkende Umsätze und hohe Zinsen machen den Unternehmen derzeit schwer zu schaffen. Häufen sich die Warnsignale, ist mitunter eine strategische Neuausrichtung angezeigt – besser heute als morgen.

Text: Angela Heissenberger

Seit mehr als einem Jahrzehnt befindet sich die globale Wirtschaft im permanenten Krisenmodus. Mit Finanzkrise, Euro-Schuldenkrise, Brexit, Handelskonflikten, Covid-19-Pandemie, Lieferkettenproblemen, Ukraine- und Nahost-Krieg poppten in immer kürzeren Abständen die Brandherde auf, bald nicht mehr in loser Abfolge, sondern parallel. Dazu kamen Herausforderungen wie der Fachkräftemangel, Cyberkriminalität und Nachhaltigkeitsrichtlinien, mit denen sich Unternehmen neben dem Tagesgeschäft auseinandersetzen müssen. Auch vermeintlich gut aufgestellte Betriebe gerieten ob der multiplen Schwierigkeiten ins Straucheln.

Der »Global Crisis and Resilience Survey 2023« von PwC zufolge haben neun von zehn Unternehmen weltweit zumindest in den letzten zwei Jahren mehrere größere Krisen oder Disruptionen erlebt. 76 Prozent der Unternehmen mussten dabei erhebliche Auswirkungen auf den Betrieb in Kauf nehmen. Die Störungen beeinträchtigten Geschäftsprozesse und Dienstleistungen und führten mitunter zu Reputationsproblemen. Vor allem Unterbrechungen der Lieferkette haben sich seit 2019 verdoppelt. »Einseitige externe Abhängigkeiten sind ein erstes Warnsignal, da diese am ehesten das Geschäftsmodell gefährden und ein Unternehmen in die Krise stürzen können«, sagt Jörg Christian Riener, Krisenmanagement und Geopolitical Risk Advisory Manager bei PwC Österreich.

Jörg Riener, Krisenmanagement und Geopolitical Risk Advisory Manager bei PwC Österreich.


Die vier Schritte aus der Krise: Rasch reagieren, Kosten reduzieren, Potenziale nutzen und: Neues schaffen.


Wirtschaft am Scheideweg

Eine schrumpfende Auftragslage und sinkende Umsätze machen derzeit bereits jedem zweiten Betrieb in Österreich zu schaffen. »Das Thema Kosten ist nach wie vor der ›Key-Faktor‹, was innerbetriebliche Entwicklungen betrifft. Österreichs Wirtschaft befindet sich in vielen Bereichen am Scheideweg«, warnt Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG. 2023 wurden 5.401 Firmenpleiten gemeldet, was einem Anstieg von 13 Prozent entspricht. Vor allem Klein- und Mittelunternehmen leider unter Liquiditätsproblemen und haben mit der hohen Zinslast zu kämpfen. Die gute Nachricht: Die meisten Krisen sind beherrschbar, sofern rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Oftmals ist jedoch das Gegenteil der Fall. Die verantwortlichen Führungskräfte stecken – mangels interner Analyse oder wider besseren Wissens – den Kopf in den Sand. »Die Furcht vor unmittelbaren finanziellen Einbußen führt dazu, dass Unternehmen eine Restrukturierung aufschieben, selbst wenn langfristig die Gefahr besteht, den Anschluss zu verlieren«, warnt Martin L. Mayr, Geschäftsführer bei GOiNTERIM Leadership & Management, vor den Folgen: »Das Hinauszögern kann zu einer Verschärfung der Krise führen, da ineffiziente Strukturen und Geschäftsmodelle die Wettbewerbsfähigkeit untergraben.«

Um Warnsignale und Risiken rechtzeitig zu erkennen, empfiehlt Mayr die Implementierung eines Frühwarnsystems: »Unternehmen sollten kontinuierlich Markttrends analysieren. Die regelmäßige Identifikation und Bewertung von Risiken ermöglicht eine gezielte Vorbereitung und Minimierung möglicher Auswirkungen.« Durch die Diversifikation von Produkten, Märkten und Lieferketten können Unternehmen zudem ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Schocks stärken. Auch eine offene Innovationskultur ermöglicht es Betrieben, flexibler auf Veränderungen zu reagieren und neue Geschäftsfelder zu erschließen.


Krisen vorbeugen und sie meistern

Bodo Antonic wurde 2023 zum Interimmanager des Jahres gekürt. (Foto: DÖIM)


Krisen können jedes Unternehmen treffen. Wer gut vorbereitet ist, reagiert jedoch im Ernstfall rascher, fokussierter und agiler. Resiliente Unternehmen gehen aus einem Rückschlag mit neuer Kraft hervor – und nutzen die Krise für eine strategische Weichenstellung für die Zukunft. Interimmanager Bodo Antonic sieht in den meisten Fällen hausgemachte Probleme, wenn Unternehmen in Schieflage geraten: »Krisen sind Ausdruck mangelnder Bewegungsfähigkeit. Wenn Unternehmen nicht mehr innovativ sind, Kunden verlieren, an Liquidität einbüßen, liegt das meist an Führungsfehlern, die Auswirkungen auf das ganze Unternehmen haben.«


An allen Schrauben drehen

Im Ernstfall startet das Unternehmen sein Krisenmanagement idealerweise mit einem vorbereiteten Plan, der konkrete Maßnahmen und Zuständigkeiten koordiniert. Bei exogenen Krisen wie einer Cyberattacke, einem Brand oder Produkt­rückruf können schwerwiegende Folgen auf diese Weise rasch eingedämmt werden. Schwieriger stellt sich die Bewältigung endogener Krisen dar, die sich langsam entwickeln und längere Zeit unbemerkt bleiben. Ist das Unternehmen etwa durch Veränderungen des Marktumfeldes wirtschaftlich in eine Sackgasse geraten, ist eine strategische Neuausrichtung unumgänglich.

Für Klaus Haberfehlner, Strategieexperte bei EY-Parthenon, lautet deshalb die zentrale Frage: »Was muss getan werden, damit das Unternehmen in 15 Jahren immer noch relevant ist?« Statt auf kurzfristige Trends aufzuspringen, sollte nach Geschäftsmodellen gesucht werden, die auf längere Sicht Bestand haben und beispielsweise eine neue Zielgruppe ansprechen. Die Kosten drastisch zu senken und stille Reserven aufzubrauchen, ist nur die zweitbeste Lösung. Zwar sollten Unternehmen ihre Bilanzen stets im Blick haben; um die Performance zu verbessern, muss aber auch an anderen Schrauben gedreht werden. Vor allem die Kündigung von Mitarbeiter*innen sollte gut überlegt sein. Personal ist heute eine besonders wertvolle und knappe Ressource. Hat sich das Unternehmen wirtschaftlich erholt, können die nun fehlenden Mitarbeiter*innen nur mit erheblichem Aufwand, wenn überhaupt, ersetzt werden.

Martin L. Mayr, Geschäftsführer GOiNTERIM Leadership & Management, warnt: »Das Hinauszögern kann zu einer Verschärfung der Krise führen, da ineffiziente Strukturen und Geschäftsmodelle die Wettbewerbsfähigkeit untergraben.« (Foto: GOiNTERIM)


Bleiben die Erträge weiter aus, wird die Liquidität schnell knapp und der Aktionsradius sehr klein. In dieser Phase steht die Existenz des Unternehmens buchstäblich auf dem Spiel. Helfen kann hier meist nur ein Sanierungsprofi. Eine Restrukturierung mit dessen Expertise kann aber nicht nur eine Insolvenz abwenden, sondern zum Rettungsanker werden und einen Neustart einleiten.

Wieder in die Erfolgsspur

In Krisenphasen heißt es, proaktiv zu handeln, meint Interim Manager und Turn­around-Experte Martin L. Mayr: »Unternehmen sollten frühzeitig den Mut aufbringen, notwendige Veränderungen anzugehen, um langfristige Stabilität zu gewährleisten.« Die Schaffung einer agilen Organisationsstruktur kann dabei helfen, schneller strategische Anpassungen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang sind auch die Managementfähigkeiten der Führungskräfte gefordert. An ihnen liegt es, das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen. »Durch das veränderte und von Disruptionen geprägte wirtschaftliche Umfeld der letzten Jahre haben sich auch die Anforderungen und Erwartungshaltungen an Führungskräfte verändert«, erklärt PwC-Experte Jörg Riener: »Wir erkennen, dass Krisenresilienz für Unternehmen zu einem wichtigen Erfolgsfaktor im Wettbewerb geworden ist.« 

Zunehmend wird auch die emotionale Resilienz in dieses Mindset einbezogen: »Die Fähigkeit, sich anzupassen und auf Störungen zu reagieren, ist von entscheidender Bedeutung, um das bei den Stakeholdern aufgebaute Vertrauen zu erhalten und den Unternehmenswert und die Reputation zu schützen – und das in einer Zeit, in der die Erwartungen an Unternehmen so hoch wie noch nie sind.«


Vier Schritte aus der Krise

Ein Patentrezept gibt es nicht, ist doch jedes Unternehmen samt den Umständen, die es in Schief­lage gebracht haben, individuell zu bewerten. Folgende Maßnahmen sind jedoch in allen Krisensituationen zu empfehlen:

  1. Rasch reagieren
    Den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass sich die Probleme von selbst lösen, ist keine gute Idee. Wenn das Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, ist Handlungsbedarf angesagt. Möglicherweise ist es Zeit, etwas ganz Neues zu wagen. Bei akuten finanziellen Engpässen gilt es zudem, die Zahlungsunfähigkeit im Auge zu behalten – ansonsten macht sich die Geschäftsführung der Insolvenzverschleppung schuldig.

  2. Kosten reduzieren
    Einschnitte beim Personal, beim Vertrieb und im Marketing werden meist als erste Maßnahmen gesetzt. Die finanzielle Lage entspannt sich dadurch kurzfristig, kann jedoch das Unternehmen noch schneller in den Abgrund ziehen. Darüber hinaus muss eine Neugewichtung der Geschäftstätigkeit erfolgen: den Businessplan überarbeiten, verschiedene Szenarien aufstellen, Kassensturz durchführen, Expert*innen hinzuziehen.

  3. Potenziale nutzen
    Große Posten wie der Fuhrpark, IT-Lizenzen oder Lieferkonditionen sollten einer genauen Analyse unterzogen werden. Möglicherweise lassen sich Ausgaben bündeln, um Preisvorteile zu erzielen. »Sale & Lease-back«-Lösungen, bei denen Anlagen oder Immobilien verkauft und zurück geleast werden, dienen ebenfalls der Liquidität. Ein Blick auf den Mitbewerb bietet eine gute Einschätzung, ob die eigene Marge dem Branchenschnitt entspricht. 

  4. Etwas Neues
    Neue Produkte und Dienstleistungen eröffnen neue Chancen. Wer nicht so schnell auf veränderte Marktbedürfnisse reagieren kann, muss überlegen, wie sich das bestehende Angebot, etwa durch zusätzliche Services, aufwerten lässt. Der Abverkauf von Waren zu Diskontpreisen sollte nur die letzte Wahl sein. Auch eine Übernahme oder Kooperation mit einem Start-up, um das eigene Geschäftsmodell disruptiver zu gestalten, muss gut überlegt sein. 

 

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