Freitag, Mai 03, 2024
Die Ressourcenwende schaffen
(Titelbild: iStock)

Produzierende Unternehmen sind zunehmend von schwankenden Rohstoffpreisen, Lieferproblemen und Knappheiten betroffen. Ressourceneffizienz ist auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. 

Im Werk der BMW Motoren Steyr fallen jährlich rund 6.000 Tonnen Aluminium-Späne an, die beispielsweise bei der Herstellung von Zylinderkopf und Kurbelgehäuse entstehen. Dieser wertvolle »Abfall« wird sortenrein gesammelt, um ihn wieder einzuschmelzen. Täglich verlassen etwa 15 LKW-Mulden das Werk in Richtung Aluschmelze. Das Flüssig-Aluminium wird in der BMW-Gießerei in Landshut zu neuen Motorbestandteilen verarbeitet – ein Musterbeispiel für Circular Economy: kein Rohstoff, kein Material geht verloren. Sogar das Wasser bleibt im Kreislauf, indem durch innovative Membrantechnologien sämtliche Fertigungsabwässer des Werks aufbereitet und wieder zurück in die Produktion gespeist werden. Der Aufwand lohnt sich in zweierlei Hinsicht: Das Unternehmen spart riesige Mengen an Wasser und in die öffentliche Kanalisation gelangen keine Abwässer.

Viele Unternehmen haben schon vor Jahren Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz als Chance erkannt, um ihre Umweltbelastung zu reduzieren, Kosten zu senken und sich gleichzeitig als Vorreiter zu positionieren. Die steigenden Rohstoffpreise und nicht zuletzt Versorgungsengpässe während der Coronapandemie haben nun auch Betriebe, die sich bisher mit dem Thema Nachhaltigkeit nur am Rande beschäftigten, zu einem Umdenken veranlasst. Insbesondere mineralische Rohstoffe sind nicht unbegrenzt verfügbar – sie so lange wie möglich im Kreislauf zu halten, sollte auf der Agenda jedes Unternehmens stehen. 


Mehr zum Thema: Eveline Wagner, Managing Director von Mondi Korneuburg, fordert gemeinsame Strategien von Politik und Wirtschaft: www.report.at/plus


Kreisläufe schließen

Die teilweise extremen Preisschwankungen auf den internationalen Rohstoffmärkten beeinflussen die Margen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stark. Im Schnitt betragen die Materialkosten in produzierenden Betrieben rund 40 Prozent, Tendenz steigend. Über die Branchen hinweg stellen die Materialkosten zumeist den größten Kostenblock und verdienen ähnliche Gewichtung wie die Energiekosten – zumal oftmals »versteckte« Kosten für Entsorgung oder Transport anfallen. Die Materialkosten über Effizienzsteigerungen und Schließung der Kreisläufe zu reduzieren, ist somit aus ökologischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll.

Quelle: Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2023; Zahlen jeweils pro Jahr, zuletzt erfasst 2020. (Hintergrundbild: Störchle GmbH)

Ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen ist ein Schlüssel, um Kosten und Versorgungsrisiken zu senken und die Abhängigkeit von Rohstoffmärkten zu mindern. Schätzungen gehen von einem Einsparungspotenzial von bis zu 20 Prozent des bislang eingesetzten Materials sowie von einer Steigerung der Umsatzrendite um zwei Prozent durch effizienteren Ressourceneinsatz aus. Trotzdem nehmen viele Betriebe die Ressourcenwende noch nicht als Chance wahr.

Ansatzpunkte gäbe es in der Industrie viele. Ein Unternehmen kann jedoch nur an seiner Nachhaltigkeit arbeiten, wenn es über bestimmte Kennzahlen Bescheid weiß. Neben dem CO2-Ausstoß in der Produktion sollten das Supply Chain Management, die Stoff-, Material- und Energieflüsse sowie das Verhältnis der Wirtschaftsleistung zu den verursachten Umweltbelastungen (Ökobilanz) einer genauen Analyse unterzogen werden. Adäquate Tools zur Berechnung dieser Parameter gibt es bereits, wie Barbara Frei, Executive Vice President von Schneider Electric, unterstreicht: »Unsere Lösungen machen deutlich, dass Maßnahmen für klimafreundlicheres Wirtschaften mit großen ökonomischen Vorteilen verbunden sein können. Die dafür notwendigen Technologien in puncto Digitalisierung, Automatisierung und Elektrifizierung sind längst vorhanden.« 

Rückgrat der Wirtschaft

Die Baubranche ist ein besonders ressourcenintensiver Wirtschaftszweig, der 38 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortet. In Österreich fallen jährlich 11,4 Tonnen Bau- und Abbruchabfälle an, das entspricht 16,4 Prozent des gesamten Abfallaufkommens. Rund 70 Prozent davon werden aufbereitet und im Sinne der Kreislaufwirtschaft als wertvolle Sekundärrohstoffe wiederverwendet – im europäischen Vergleich ein guter Wert.

Alois Fürnkranz, Bauexperte beim Verband Österreichischer Entsorgungsbetriebe (VOEB), hält ein Heben der Recyclingrate auf 90 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre dennoch für möglich. Aufgrund der EU-Taxonomie-Verordnung sind börsennotierte Unternehmen ab Jänner 2024 verpflichtet, Nachhaltigkeitskennzahlen zu veröffentlichen. Jede Maßnahme zur CO2-Reduktion wird dadurch relevant. »Das ist eine echte Revolution für die Bauwirtschaft«, ist Fürnkranz überzeugt. »Denn jede Baumaßnahme muss hinsichtlich konkreter Nachhaltigkeitskriterien überprüft und dokumentiert werden. Das wird zu einer starken Nachfrage nach recycelten Baustoffen führen.«

Alois Fürnkranz, VOEB: »Jede Baumaßnahme auf Nachhaltigkeit prüfen.« (Bild: kump.photography)

Doch nicht nur Bau- und Abbruchabfälle, auch Eisenschrott, Metalle, Holz, Papier, Glas und Kunststoffe werden unter Einsatz innovativer Technik aufbereitet, wieder in die Industrie zurückgeführt und der Kreislauf damit geschlossen. Zahlreiche österreichische Unternehmen der Abfall- und Ressourcenwirtschaft sind auf Recycling und den Handel mit Sekundärrohstoffen spezialisiert. Sie verfügen über modernste Aufbereitungsanlagen wie Shredder, Mühlen, Scheren, Pressen, Sortieranlagen und Sortierplätze. Im zuständigen Fachausschuss der Wirtschaftskammer Österreich sind 800 Mitglieder registriert.

»Der Bedarf an hochwertigen Rohstoffen ist stark gestiegen. Durch die Tätigkeit des Sekundärrohstoffhandels müssen weit weniger Primärrohstoffe gewonnen werden, was sich klimafreundlich und ressourcenschonend auf die Umwelt auswirkt«, sagt Alfred Störchle, Obmann des Fachausschusses Sekundärrohstoffhandel. Für die Industrie ergibt sich aus dem »ewigen« Kreislauf enormes Potenzial für die Herstellung nachhaltiger Produkte. So entstehen etwa aus dem Sekundärrohstoff Eisen Windräder. 

Alfred Störchle, WKO: »Bedarf an hochwertigen Rohstoffen ist stark gestiegen.« (Bild: Störchle GmbH)

Hochwertige Rezyklate

Besondere Herausforderungen an die Wirtschaft stellt das Recycling von Produkten und Verpackungen aus Kunststoff. Auch Rezyklate müssen härtesten Anforderungen und spezifischen Produkteigenschaften gerecht werden. Für eine »grüne« Haptik greifen Unternehmen oftmals zu Materialien und deren Kombinationen, für die nach heutigem technischem Stand nur der Weg in die thermische Verwertung bleibt, oder verwenden nur Primärmaterial. Beides muss heute nicht mehr sein – und wird durch verschärfte Vorschriften auch immer schwieriger.



Der Entsorgungsdienstleister Interzero entwickelt in seinem neuen Kompetenzzentrum für Kunststoffrecycling in Maribor auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Lösungen, die optimale Recyclingfähigkeit oder individuelle Eigenschaften von Kunststoff-Rezyklaten gewährleisten. Eine neue patentierte Technologie ermöglicht die Produktion blasgeformter HDPE-Flaschen, z. B. für Wasch- und Reinigungsmittel, erstmals zu 100 Prozent aus Abfällen aus der Gelben Tonne. Das neue Verfahren funktioniert mit Leichtverpackungsabfällen mit einem Anteil von mindestens 80 Prozent HDPE, die heute schon in der ersten Sortierung erreicht werden. 

Abhängigkeit reduzieren

Der Verpackungshersteller Coveris mit Hauptsitz in Wien setzt mit einer neuen Recyclinganlage am britischen Standort Louth neue Maßstäbe in der Verwertung von bedruckten Polytheylen-Folien. Mit dem zukunftsweisenden Deinking-Verfahren können aus Kunststoffabfällen erstmals auch Rezyklate von höchster Qualität hergestellt werden. Dabei wird die Druckfarbe aus Folienverpackungen entfernt und zu PE-Rezyklatgranulat aufbereitet. Dieses sogenannte »REGen« bildet die Basis für hochwertige Verpackungen im Non-Food-Bereich, wie beispielsweise Schrumpffolien oder Hygienepapierumverpackung.

Coveris hat mit dem Unternehmenszweig ReCover ein eigenständiges Geschäftsmodell etabliert, um den Kunststoffkreislauf zu schließen. »Mit ReCover positionieren wir uns als Recycling-Unternehmen mit einem klaren Technologievorsprung«, betont Christian Kolarik, CEO von Coveris. »Das reduziert nicht nur die Abhängigkeit und den Verbrauch von neuen Rohstoffen, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Denn mit unserem bahnbrechenden Verfahren bleiben Verpackungskunststoffe Teil des Kreislaufs.«

Mit der Recyclinganlage von Coveris im Werk Louth können aus Kunststoffabfällen Rezyklate von höchster Qualität hergestellt werden. (Bild: Coveris)

Das Werk in Louth hat eine lange Tradition in der Wiederaufbereitung von bedruckten Folienabfällen, die bisher zu Baufolien recycelt wurden. Zu der nach zweijähriger Bauzeit eröffneten Anlage gehört auch ein Labor, das den Innovationsprozess, die Qualitätskontrolle und den Einsatz des Rezyklats unterstützt. Hier sollen künftig aus Kunststoffabfällen der Coveris-Standorte sowie geeigneten Abfällen von Kunden und Partnern jährlich 5.000 Tonnen ReGen-Granulat erzeugt werden.

Beispiele wie diese zeigen: Kreislaufwirtschaft ist das Gebot der Stunde. Expert*innen sind sich einig, dass der Weg zu einer nachhaltigen Unternehmensführung primär über technologischen Fortschritt und Innovation beschritten werden kann. Profitables Wachstum könne in Zukunft nur über nachhaltige Produkte und Geschäftsmodelle erfolgen, wie Werner Hoffmann, Partner bei EY-Parthenon und Leiter des Instituts für Strategisches Management an der WU Wien, betont: »Keine zukunftsträchtige Unternehmensstrategie kann dieses Thema ausblenden.«


Klimasünder Modebranche

Der Circular Fashion Index 2023 der Unternehmensberatung Kearney zeigt in puncto Nachhaltigkeit den mangelnden Fortschritt bekannter Modelabels auf. Unter den 200 untersuchten Marken aus 20 Ländern finden sich nur wenige, die bei der Herstellung auf Recycling setzen oder den Lebenszyklus ihrer Produkte im Sinne der Kreislaufwirtschaft verlängern. Trotz des Modepakts, der auf dem G7-Gipfel 2019 in Frankreich vorgestellt wurde, zählt die Branche weiterhin zu den weltweit größten Umweltverschmutzern.


Statt nach den bereits im Vorjahr ernüchternden Bewertungen Verbesserungen einzuleiten, bewegte sich bei den globalen Labels wenig. »Im Vergleich zu den Ergebnissen von 2022 haben es alle Marken versäumt, die Verbraucher*innen über die Bedeutung von Nachhaltigkeit aufzuklären und sie über Maßnahmen wie Recycling, Upcycling und den Verleih von Kleidung zu informieren«, sagt Mirko Warschun, Partner bei Kearney.

An der Spitze liegen, wie schon im Vorjahr, Patagonia, Levi’s und The North Face. Fünf der zehn bestplatzierten Marken kommen aus den USA. Mit Platz 6 im Ranking ist die US-Marke Madewell der Aufsteiger des Jahres; sie konnte mit dem Programm »Madewell Forever« und der Rücknahme gebrauchter Ware punkten. Der Schweizer Outdoor-Spezialist Mammut zeigte in den Bereichen Recyclingmaterialien, Kommunikation, Pflegeanleitungen und Reparaturservice auf. Auch das deutsche Unternehmen Esprit ist in den Top 10 vertreten; Adidas, Hugo Boss und C&A befinden sich im oberen Viertel.

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