Montag, Mai 13, 2024

Die österreichische Gewerbeordnung geht auf das Jahr 1859 zurück und war in der Urfassung geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie Gesetze formuliert sein sollten: klar, logisch und prägnant. Die heute gültige Fassung stammt aus dem Jahr 1994, kleinere Korrekturen folgten aber laufend. Das Ergebnis ist ein Flickwerk aus sehr strengen, fast spitzfindigen Regelungen; andere Bereiche sind dagegen gar nicht berücksichtigt oder längst nicht mehr zeitgemäß. Die Regierung strebt noch im Herbst eine Entrümpelung an, Innungen, Fachverbände und Gewerkschaften gehen bereits auf Konfrontationskurs. Report(+)PLUS hat sich bei ExpertInnen umgehört, wie weit die Liberalisierung ihrer Meinung nach gehen soll.

1.In welchen Bereichen ist das Gewerberecht veraltet?

Monika Köppl-Turyna, Ökonomin bei Agenda Austria

In vielen! Bei der Einführung 1859 war das Gesetz vielleicht modern, aber 150 Jahre später, mit über Jahrzehnte gewachsenen Zusatzregelungen und Beschränkungen, ist es undurchschaubar geworden und eher ein Relikt aus der Zunft-Ära. Was ursprünglich leichten Zugang und Sicherstellung der Qualität beabsichtigte, dient heutzutage eher der Sicherung der Marktposition bereits existierender Unternehmer und Abwehr lästiger Konkurrenten. Auch aufgrund der technologischen Entwicklung ist es in vielen Gewerben nicht mehr notwendig, strenge Vorschriften zu haben. Fotografen arbeiten heute am Computer und weniger mit gefährlichen chemischen Substanzen.

Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft

In kaum einem anderen Land Europas ist der Zugang zu so vielen Gewerben reglementiert wie bei uns in Österreich. Speziell junge und innovative UnternehmerInnen sehen sich oft mit vollkommen unnötigen und veralteten Zugangsbeschränkungen konfrontiert, die sowohl die Gründung von Unternehmen erschweren als auch den Wettbewerb hemmen. Während man z.B. in jeder Einkaufsstraße Billigmode aus Fernost kaufen kann, werden kreative Menschen, die bei uns eine Schneiderwerkstatt eröffnen möchten, mit Berufsverboten schikaniert. Die Lis-te der reglementierten Gewerbe muss radikal entrümpelt werden

Rosemarie Schön, Leiterin der Rechtspolitischen Abteilung der WKÖ

Die heimische Gewerbeordnung ist ein stabiles Fundament des heimischen Wirtschaftswesens. Sie sichert Qualität, Qualifizierung und duale Ausbildung. Dort, wo Notwendigkeiten auf Modernisierung bestanden, wurden diese vorgenommen. Beispielsweise bei den Rauchfangkehrern oder den Berufsfotografen. Die Mehrzahl der Gewerbe (440) ist ja bereits frei zugänglich, nur 80 sind reglementiert.


2.Welche Gewerbe sollten geschützt bleiben?

Monika Köppl-Turyna

Streng reglementiert werden sollten nur noch jene Gewerbe, deren Ausübung Mensch, Tier oder Umwelt gefährdet. Zum Beispiel Gastechniker, chemische Laboratorien und Augenoptiker. Man könnte die Liste auf etwa 15 Gewerbe zusammenkürzen, ohne dass Sicherheit leiden würde. Wenn jeder Gewerbetreibende obligatorisch eine Betriebshaftpflichtversicherung abschließt, die sämtliche Schäden abdeckt, die durch die Ausübung der gewerblichen Tätigkeit oder durch den Betrieb einer Betriebsanlage hervorgerufen werden, wird der Konsument sogar besser abgesichert als derzeit.

Volker Plass

Diese Frage zeigt auf schöne Weise, wie wir in Österreich denken: Es geht nicht um den Schutz einzelner Gewerbe! Es geht auch nicht um den Schutz der in diesen Branchen aktiven Unternehmen vor vermeintlich unqualifizierter oder gar unliebsamer Konkurrenz. Es geht darum, die KonsumentInnen vor der unsachgemäßen Ausübung jener ganz wenigen Gewerbe zu schützen, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gefahr für Leib und Leben oder die Umwelt entstehen könnte. Bei Baumeistern und Installateuren ist das der Fall. Bei Uhrmachern, Orgelbauern und vielen anderen bislang reglementierten Gewerben nicht!

Rosemarie Schön

Es geht aus unserer Sicht nicht darum, einzelne Gewerbe zu nennen, sondern erfolgreiches Unternehmertum zu ermöglichen: Also ein uneingeschränktes Ja zum Meister, der vor allem im Handwerk und Gewerbe die duale Ausbildung sichert. Reglementierte Gewerbe, also dort, wo eine Qualifikation nachzuweisen ist, sind immer unter den Aspekten Qualität, Qualifikation und Konsumentenschutz zu betrachten. Über den Reifenschuster kann man lächeln. Aber wollen Sie mit einem unsachgemäß geflickten Reifen über die Autobahn brettern und im schlechtesten Fall dann die Betriebshaftpflicht in Anspruch nehmen müssen?


3.Vor welche weiteren Hürden stellt die derzeitige Regelung die Unternehmen?

Monika Köppl-Turyna

Durch die detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten kommt es oft vor, dass Unternehmen für ihren Betrieb mehr als einen Gewerbeschein benötigen. Für jeden Gewerbeschein zahlt der Unternehmer eine Grundumlage. Im Frühjahr gab es 609.618 Gewerbetreibende, aber es waren 800.258 Gewerbeberechtigungen notwendig. Die WKÖ hat dadurch jährlich etwa 40 bis 60 Millionen Euro an Mehreinnahmen. Eine Unternehmensgründung ist auch ziemlich teuer, dann folgen hohe Lohnnebenkosten für die Mitarbeiter. Zu begrüßen ist daher das »Start-up«-Paket, welches vorsieht, dass für die ersten drei Mitarbeiter über drei Jahre die Dienstgeberabgaben niedriger sind.

Volker Plass

Im Bereich der frei zugänglichen Gewerbe geht es den Staat eigentlich gar nichts an, mit welchen Tätigkeiten ich mein Einkommen erwerbe. Das bedeutet: Man könnte die Vielfalt der unterschiedlichsten Gewerbescheine durch einen einzigen Universal-Gewerbeschein ersetzen und damit pro Jahr zehntausende Verwaltungsverfahren einsparen. Unternehmen könnten jederzeit ohne Bürokratie Geschäftsfelder ausweiten oder wechseln. Dagegen wird sich jedoch die Wirtschaftskammer wehren, weil dann deren vollkommen veraltete und ebenso unnötige Fachgruppenstruktur plötzlich auch nicht mehr zu rechtfertigen wäre.

Rosemarie Schön

Ich sehe Hürden vor allem in der überbordenden Bürokratie, bei den Vorschriften und den Berichtspflichten. Und wenn in der Gewerbeordnung auch die Genehmigung von Betriebsanlagen vereinfacht wird, wäre das ein großer Schritt. Wenn Überprüfungen einer Tankstelle drei Wochen nach einem Hochwasser stattfinden, ist das bedenklich, vor allem wenn dann noch Strafen aufgrund von Müllansammlungen verursacht durch das Hochwasser verhängt werden. Oder aber haushaltsübliche Putzmittel im Betrieb plötzlich zu »gefährlichen Stoffen« werden. Hier gilt es zu durchforsten und mit Augenmaß und Hausverstand vorzugehen!

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