Freitag, Oktober 11, 2024

Wer morgen vorn dabei sein will, darf nicht mit den Mitteln von gestern planen. Wer Weitsicht hat, wartet stattdessen auf die Technik von übermorgen. Eine Prokrastination von Rainer Sigl. 

Schauen Sie, ich hab da ja auch schon schlaflose Nächte gehabt deswegen. Wegen allem. Wegen dem Klima. Wegen der Inflation. Wegen dem Pflegenotstand, der Pensionslücke, den Antibiotika­resistenzen, dem Bevölkerungswachstum und dem allem. Und neulich, wie ich so im Halbschlaf dahindämmernd im dumpfen Jammertal meiner Sorgen wandere, erscheint mir in einem Glorienschein aus Dieselgasen und Lagerhausneonröhrenlicht der Kanzler und weist mir mit einer kantigen Kinnbewegung den Weg in die Zukunft. eFuels!

Die Augen geöffnet

Also, nicht dass eFuels konkret jetzt die Lösung für irgendein Problem wären. Weil, in Wirklichkeit versteht das schon ein durchschnittlich begabtes Kindergartenkind, dass es irgendwie ein Blödsinn ist, einen Faschingskrapfen auszupressen, wenn man eine Marillenmarmelade will. Allein dieser einleuchtende Vergleich müsste bei nicht von Boulevardschnodder zugegeifertem Frontallappen schon dazu führen, dass selbst der begeistertste Benzinbruder achselzuckend resigniert und kleinlaut den Verbrenner einmottet, und trotzdem hat mir diese geniale Nebelgranate die Augen geöffnet.

Weil: Wieso die Probleme von morgen heute schon angehen, wenn ich sie mit der Technologie von übermorgen vielleicht gar nicht so richtig ernst nehmen muss? Dafür steht stellvertretend mein Schlachtruf, mit dem ich von nun an den Sorgen übers Morgen begegne: eFuels!

Ich sag Ihnen: Es hat mich durchzuckt wie ein Blitz und seitdem schlaf ich wie ein Baby, ich schwör. Ab jetzt mach ich mir keine Sorgen mehr über die Klimakrise, weil mein Flugauto fährt sicher mit biologisch angebautem Gänseblümchen-Hack. eFuels! Ich zermartere mir endlich nimmer den Kopf wegen Pflegebedarf im hohen Alter, weil bis dahin knuddelt mich sowieso sicher jeden Abend eine attraktive Roboterpflegekraft in den Schlaf. eFuels!

Antibiotikaresistenz? Braucht keiner, in Kürze gibt’s sicher eine neue Generation hyperpotenter Homöopathika, die noch weniger Wirkstoff und damit noch mehr Power haben und folglich ratzfatz vom Wimmerl am Popsch bis zum Hirntumor alles wegpotenzieren. eFuels! Sorgen wegen der Pensionslücke? Papperlapapp, bis dahin hab ich schon zig Mal im Lotto gewonnen. Ich muss nur schauen, dass ich mal spiele. Mach ich sicher noch rechtzeitig – Ehrenwort!  eFuels! eFuels! eFuels!

Keine Sorgen mehr

Sehen Sie, jetzt geht’s mir schon viel besser. Herrlich, wenn man die Last der Zukunft auf die Zukunft verschieben kann. Ich sag Ihnen: Das hätt ich schon viel früher machen sollen!

Wie bitte? Ob ich was riech? Der Rauch? Ja, haha, ich weiß eh: Im Erdgeschoß brennt irgendwas, vermutlich die Küche. Ja, ein bissi unangenehm, oder? Wie meinen? Ob ich was dagegen machen will? Pfff, machen Sie sich mal keine Sorgen: Mir fällt sicher irgendwas ein. Morgen vermutlich. Oder übermorgen. Sie werden sehen: Auf mich ist Verlass. Ehrenwort. eFuels!

(Titelbild: iStock)

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