Dienstag, Mai 14, 2024

Kalt erwischt hatte es einen Freund von mir vor gut einem Jahr: Reorganisation in der Firma und anschließende Kündigung, seit damals viele, viele Bewerbungen. Etliche davon bestens passend zu seiner Ausbildung und seinen Erfahrungen – und dennoch: keine einzige Einladung zu einem persönlichen Gespräch. Mit 50 ist man offenbar zu alt.

Ein Gastkommentar von Peter Fellner

Wir erleben gerade eine unheimliche Diskrepanz. Vor dem Hintergrund einer noch nie dagewesenen demografischen Alterung der Gesellschaft erschwert die Politik (aus gutem Grund) den Zugang zum frühen Pensionsantritt mit dem Resultat einer drastischen Steigerung der Arbeitslosigkeit speziell bei älteren ArbeitnehmerInnen. Gleichzeitig leidet die Industrie an einem Mangel an (jungen) Fachkräften, während sich Marketing­abteilungen der Unternehmen und deren Werbungen immer stärker auf kaufkräftige Best Ager fokussieren. Die Rekrutierungspolitik vieler Unternehmen spiegelt ein gesellschaftliches Vorurteil wider: Ältere sind unflexibel, langsam, nicht mehr lernfähig, oft unmotiviert und bequem – einfach nicht ausreichend leistungsfähig, um in der modernen Arbeitswelt mitzuhalten.

Die Forschung allerdings zeichnet ein anderes Bild. Es gibt natürlich einen Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit, beim Hören und Sehen, eventuell auch bei der Schnelligkeit des Lernens. Tatsächlich aber reduzieren sich kognitive Fähigkeiten bis 65 äußerst langsam, erst danach beschleunigt sich der Abbauprozess. Faktum ist auch, dass Menschen beim Älterwerden neue Fähigkeiten entwickeln: Sie kompensieren ein langsameres Lernen oder Tun mit Erfahrung, Weitsicht und gut gewählten Abkürzungen. So kommen sie mitunter schneller zu produktiven Ergebnissen, verbunden mit höherer Gelassenheit und Beständigkeit, mit besseren sozialen Kompetenzen, mit höheren Qualitäts- und Sicherheitsansprüchen und reduzierten Fehlerraten. Ältere wechseln auch bedeutend seltener den Job.

Dass diese Forschungsergebnisse dem Erleben mancher Führungskräfte nicht entsprechen, ist oft hausgemacht. Denn mangelnde Wertschätzung – auch gegenüber den speziellen Erfahrungen der Älteren – führt immer zu reduzierter Motivation und zu geringerer Identifikation und Einsatzfreude. Kleines Indiz dafür: In vielen Unternehmen gibt es für Ältere keine Schulungen mehr.
Dass man aus dem brachliegenden Potenzial der Älteren viel machen kann, zeigt das Beispiel eines deutschen mittelständischen Unternehmens: Auf eine Stellenanzeige für neue Ingenieurpositionen bewarben sich 17 BewerberInnen, die dann alle nicht wirklich passten. Eine darauf folgende Stellenausschreibung adressierte man deshalb speziell an erfahrene 50plus-Mitarbeiter. Das Unternehmen erhielt über 500 Bewerbungen. Letztlich wurden statt der ursprünglich geplanten sechs sogar 19 neue Positionen geschaffen – mit dem Ergebnis, dass zusätzliche Projekte erfolgreich akquiriert und umgesetzt werden konnten.
Wäre doch schön, wenn neben Marketing- auch die HR-Abteilungen unsere Best Ager als Wachstumspotenzial ansehen würden und obiges Beispiel öfter Schule macht. Dann gäbe es auch für meinen Freund als – weiterhin kaufkräftigen – Best Ager wieder Hoffnung.


Der Autor: Peter Fellner begleitet als Coach, Trainer und Berater Menschen und Organisationen bei Entwicklungsprozessen, um operative und strategische Ziele unter Beachtung oder durch Gestaltung einer bestehenden Unternehmenskultur überdurchschnittlich und nachhaltig zu erreichen.
www.fellner-ccc.com

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