Samstag, Mai 11, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Alfred Leitner, Branchenmanager Bau bei Quality Austria, über das oft mangelhafte Qualitätsbewusstsein heimischer Bauunternehmen, die mittelbaren und unmittelbaren Folgen einer schlechten Organisation und warum die Ursachen für viele Pleiten im Management zu suchen sind.

Report: Wie ist es um das Qualitätsbewusstsein der österreichischen Bauwirtschaft bestellt?

Alfred Leitner: Das lässt sich allgemein nicht beantworten, das muss man differenziert betrachten. Es gibt eine ausreichend große Anzahl österreichischer Bauunternehmen, die eine sehr positive Einstellung zu Qualität haben. Es gibt aber auch immer noch relativ viele Unternehmen, die sich dem Thema eher locker annähern.

Report: Bezieht sich diese Einschätzung auf die Produkt- oder die Prozessqualität?

Leitner: Ganz klar auf die Prozessqualität. Die Endproduktqualität ist sogar bei den Unternehmen, die schlechte Qualität abliefern, besser geworden, weil die Produktqualität vertraglich festgelegt ist und so lange reklamiert wird, bis es halbwegs passt.
Bei jenen, die auch eine hervorragende Organisation und Ablaufqualität haben, gibt es aber einen signifikanten Zusammenhang zu einer guten oder sehr guten Produktqualität. Das ist fast automatisch die logische Folge und die Unternehmen haben deutlich weniger Aufwand mit Nachbesserungen und Mängelbearbeitung.

Report: Wenn die Unternehmensqualität, die Sie mit ihren Audits und Zertifizierungen sicherstellen, direkte Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg hat, müssten Ihnen die Unternehmen ja eigentlich die Tür einrennen.

Leitner: Das ist leider nicht der Fall. Die Unternehmen sind so sehr damit beschäftigt, Liquidität sicherzustellen, dass für diese Aktivitäten abseits des Kerngeschäfts kaum Zeit bleibt. Das ist ein Teufelskreis: Die schlechte Organisation hat zeitliche und finanzielle Engpässen zur Folge, was wiederum dazu führt, dass weder Zeit noch Geld in die Verbesserung der Organisation fließen können. Viele Unternehmen haben volle Auftragsbücher, schaffen es aber nicht, daraus Kapital zu schlagen, weil sie gar nicht wissen, was an Nachträgen passiert ist und was tatsächlich zu verrechnen ist. Mit der Weiterentwicklung der Organisation beschäftigen sich diese Unternehmen nur in den seltensten Fällen. Dabei wäre es gerade für diese Unternehmen wichtig, die eigenen Abläufe in Frage zu stellen und zu analysieren, wie man trotz voller Auftragsbücher in Schieflage geraten kann.

Die Unternehmen, die bei uns Schlange stehen, sind diejenigen, denen es um eine ständige Weiterentwicklung geht. Viele davon haben schon seit vielen Jahren Managementsysteme und wollen sich laufend weiterentwickeln, um die Produktivität und Effizienz zu steigern.

Report: Welche Zertifizierungen werden am stärksten nachgefragt?

Leitner: In erster Linie integrierte Managementsysteme aus den Bereichen Unternehmensqualität, Umweltschutz und Arbeitssicherheit. Diese drei Standards sind bei vielen unserer Kunden heute gar nicht mehr wegzudenken. Ebenfalls stark nachgefragt sind Themen wie Energieeffizienz und Compliance.  

Report: Laut KSV1870 waren 2013 noch 70 % aller Pleiten auf interne Fehler zurückzuführen, 2015 nur noch 51 %. Ist das ein Beleg dafür, dass das Bewusstsein für die interne Unternehmensqualität steigt?

Leitner: Branchenübergreifend kann man das sicher mit ja beantworten. Für die Bauwirtschaft gilt das leider nicht. Da gibt es immer noch unzählige Unternehmen, die zwar schon länger am Markt sind, aber immer noch keinen geregelten Liquiditätsprozess haben. Da werden wirtschaftliche Kerndisziplinen oft sträflich vernachlässigt. In der Bauwirtschaft sind Managementfehler nach wie vor die häufigsten Insolvenzursachen.

Report: Was heißt das konkret?

Leitner: Sehr oft fehlt etwa ein professionelles Risikomanagement. Zwar machen viele Unternehmen Risikoanalysen, vergessen aber die Bewältigungsstrategien und Absicherungsmaßnahmen für die identifizierten Risiken. Die wissen dann zwar, wo die Gefahren liegen, haben aber keine Ahnung, wie sie damit im Ernstfall umgehen sollen. Das klingt grotesk, ist aber leider so. Echtes, professionelles Risikomanagement trifft man eigentlich nur in gut organisierten Firmen an.

Report: Was sind die Folgen einer schlechten Organisation und mangelnder Prozessqualität?

Leitner: Eine schlechte Organisation bedeutet teure Abläufe in der Auftragsabwicklung und der Bauausführung. Unternehmen mit einer schlechten Organisation zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie aus ihren Fehlern nichts lernen. Das alles führt direkt zu wirtschaftlich berechenbaren Verlusten. Mittelfristig führt es aber auch dazu, dass gute Mitarbeiter gehen, weil sie in schlecht geführten Unternehmen irgendwann die Lust verlieren.

Report: Alle Welt spricht von Industrie 4.0. Inwieweit kann die Digitalisierung helfen, die Unternehmensqualität voranzutreiben? Oder birgt die Digitalisierung zusätzliche Fehlerquellen?

Leitner: Ich stehe diesem Thema sehr kritisch gegenüber, denn die Digitalisierung führt dazu, dass der menschliche Kontakt immer mehr verloren geht. Diese Entfremdung ist speziell im Dienstleis­tungsbereich, wo es viel um Vertrauen und Verständnis geht, aus meiner Sicht ein großes Problem. Denn darunter leidet die Kultur, die im Bauwesen ohnehin nicht die allerbeste ist. Ich bin natürlich offen für Fortschritt und Weiterentwicklung, aber die Werte und das respektvolle Miteinander dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben.

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