Dienstag, Dezember 03, 2024

Maschinen entscheiden autonom, Geräte kommunizieren untereinander, alles ist vernetzt - die Industrie 4.0 ist im Kommen. Doch was ist von einer Revolution zu erwarten, die noch gar nicht passiert ist?

Historisch sind drei revolutionäre industrielle Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft verbrieft, die weitgehend durch Neuerungen in der Technik ausgelöst wurden. Die Dampfmaschine katapultierte unsere Welt Ende des 18. Jahrhunderts in ein neues Zeitalter der Produktionseffizienz. Diese wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Arbeitsteilung und Elektrizität weiter verstärkt. Die offiziell dritte industrielle Revolution fand rund siebzig Jahre später auf Basis von Mikrochips statt. Heute, sind sich Fachleute einig, stehen Industrie und Gesellschaft vor einem neuen radikalen Wechsel – ob er nun »Internet of things«, »Internet of everything« oder, wie erstmals zur Hannover Messe 2011 verkündet, »Industrie 4.0« genannt wird. Neben einer zunehmenden Flexibilisierung und Nähe zu den Kunden, die Prozesse in der Wirtschaft immer mehr prägen, sind es neuerlich technische Treiber, die die angesagte vierte industrielle Revolution bringen werden. Daniel Huber, Leiter der Division Prozessautomatisierung Zentraleuropa bei ABB, beschreibt vier wesentliche Technikthemen, welche die »cyber physical systems« von morgen charakterisieren: allgegenwärtige Kommunikationsinfrastrukturen für den Datenaustausch im Engineering, in der Wartung, der Diagnose und dem Betrieb. »Die Kommunikationswege sind in dieser Breite noch nicht da. Aber wir gehen davon aus, dass sie ähnlich wie die Handynutzung im privaten Bereich kommen und auch verwendet werden«, folgert Huber. These Nummer zwei: In diesen Netzen wird eine Welle an neuen, von den Geräten produzierten Daten verfügbar sein. Der Experte bringt ein Beispiel: Sensoren messen heute bereits Bodenbeschaffenheit und Feuchtigkeit in Pflanzentöpfen. Die Parameter werden per Funk gesammelt und dienen als Grundlage für neue Anwendungen – etwa ein Alamierungsservice, der mittels SMS das Gießen der Pflanze einfordert. Generell wird das Internet als fähiger Untergrund für diesen Datenverkehr gesehen, vorausgesetzt die Übertragungen erfolgen entsprechend abgesichert. Dies führt direkt auch zum nächsten Faktor für Industrie 4.0: Heute bildet die Mehrheit der Maschinen und Produkte eine Insellandschaft, in der der eine nichts vom anderen weiß. Künftig werden Maschinen untereinander kommunizieren. Sie werden sich verbinden, können einander anfordern, ersetzen und können verhandeln. Folglich bewegen sich die Daten nicht in Einbahnsystemen wie heute, sondern fließen in jede gewünschte Richtung. Eine kluge Verbindung dieser Daten, so dann die finale These, revolutioniert jeden Aspekt der industriellen Produktion. Huber spricht von einer »neuen Welt von Diensten und Funktionen«, in denen zu jedem physischen Objekt virtualisierte Ebenbilder in Anwendungen simuliert werden. Vom Blumentopf und dem vernetzten Bewässerungssystem ist es zum Roboter der Zukunft nicht weit: Er ist physikalisch präsent und verfügt über eine eindeutige Identität im Netz. Die Maschine hat individuelle Bedürfnisse, basierend auf Zeit, Belastung und Typ. Und sie verfügt über ein virtuelles Modell von sich im Internet. Eine »RoboCare Engine« führt dann beispielsweise selbsttätig durch den optimalen Wartungsplan. Am Ende des Tages ist der Roboter keine blecherne Maschine mehr, sondern ein flexibler Service. Auch ein aktueller Gartner-Report mit dem Titel »Emerging Technology Analysis: Software Licensing & Entitlement Management Is the Key to Monetizing the Internet of Things« kommt zu dem Schluss, dass Maschinenbauer und Gerätehersteller mehr als nur zusätzliche internetfähige Produkte verkaufen müssen, um vom Internet der Dinge zu profitieren. Unternehmen werden Wege finden müssen, wie sie Hardware flexibel konfigurieren und deren Funktionen steuern können, um in diesem Umfeld zu bestehen.

Wandel in der Industrie

Diese angesagte Veränderung in den Industrieprozessen bringt auch einen Wandel bei den Anbietern selbst. ABB als Beispiel: Der Konzern generiert seine Umsätze seit Jahrzehnten traditionell im Kraftwerksbereich. Seit sich die Marktbedingungen besonders für die thermische Energieerzeugung verschärft haben, sind alternative Sparten gefragt. Die Ausrichtung auf den Bereich Automatisierung ist freilich auch bei ABB nicht neu. Auffallend ist heute die Gewichtung, die zunehmend für die Maschinenlösungen spricht. »Früher hatten wir in Österreich 55 % der Umsätze im Bereich Energietechnik. Heute ist ein gro­ßer Teil unseres Geschäfts in der Automatisierung zu finden. Die Energiesparte macht noch knapp 35 % aus«, rechnet ABB-Vorstandsvorsitzender Franz Chalupecky vor. Die Geschäftszahlen im 1. Quartal 2014 sprachen die gleiche Sprache: Europaweit stiegen die Auftragseingänge bei Automatisierungsprojekten um 7 %. In der gleichen Höhe ging das Kraftwerksgeschäft zurück. Auch in den Folgequartalen sorgte der Bereich »Industrieautomation und Antriebe« für ein stabiles Geschäft. Sorgen um das Unternehmen muss man sich keine machen: Unterm Strich wächst ABB auch gesamt. Chalupecky sieht jetzt eine Riesenchance für Europa, gegenüber Asien Terrain zurückzugewinnen. »Wir sprechen hier nicht von den höheren Lohnkosten, sondern von einer neuen Flexibilität in der Fertigung und Lieferung von Produkten.« Keines der technischen Features dieser Veränderung sei für sich besonders innovativ – es ist die herstellerübergreifende Summe der Einzelteile, die neue Möglichkeiten hervorbringt. »Wir befinden uns auf dem Weg, und viele Anwendungen daraus sind noch gar nicht erfunden«, sagt auch Daniel Huber. Fest steht jedenfalls: In der Fabrik von morgen steuern die Produkte die Maschinen. An welchen Stellen die nötige Intelligenz dazu sitzen wird, darüber wird noch von den Herstellern in einer branchenübergreifenden Normenfindung entschieden. Sie müssen aufpassen, nicht ausschließlich technologiegetrieben zu denken. »Wenn wir die Nutzer nicht von Anfang an mitnehmen, ist jedes System zum Scheitern verurteilt«, weiß man. »Andere Regionen werden immer billiger produzieren können. Europa muss einfach besser sein – besser ausgebildet und höhere Qualität bietend«, formuliert dies Chalupecky. Das bedeutet nun, Millionen – wenn nicht sogar Milliarden – Produkte, Geräte und Maschinen zu vernetzen.

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