Freitag, April 19, 2024

Scheidungsanwältin Helene Klaar steht stets auf der Seite der Schwachen und Benachteiligten. Unzähligen Frauen hat sie in fast 40 Jahren zu ihrem Recht verholfen. Dass sie den Ruf hat, Männern in Scheidungsverfahren nur das Unterhemd zu lassen, hält die engagierte Feministin für »übertrieben, aber ganz praktisch«. Warum die Ehe mehr als ein Bierliefervertrag ist und Männer ihre dreckigen Socken selbst wegräumen sollten, erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Sie haben den Ruf als »gefürchtetste Scheidungsanwältin des Landes«. Fühlen Sie sich geehrt?

Helene Klaar: Ich halte das für stark übertrieben, aber es ist praktisch. Es muss nicht jeder wissen, was für eine sympathische und gutmütige Person ich bin. Das wäre schlecht fürs Geschäft. Als Frau fällt man halt schon auf, wenn man sich traut, den Mund aufzumachen und Position zu beziehen.

(+) plus: Warum wurden Sie Scheidungsanwältin und nicht zum Beispiel Wirtschaftsanwältin?

Klaar: Ich habe mich immer für Kunst, Kultur und Politik interessiert und dachte, ich werde irgendwo im Bereich Urheberrecht oder Medienrecht ein Plätzchen finden. Aber als ich 1976 an der vormaligen Kanzlei meines pensionierten Vaters meine Tafel angeschraubt habe, kamen hauptsächlich arme Hascherln zu mir, deren Mann weg war und für die Kinder nichts gezahlt hat. Die wollte kein anständiger Anwalt vertreten, weil sie kein Geld hatten. Meine damalige Kanzlei war in einem fins-teren Hinterhof und alles andere als elegant, zu mir haben sich diese Klientinnen getraut. Über die Familienrechtsreform war ich sehr gut informiert, während viele ältere Anwälte die neuen Gesetze nicht so genau studiert haben. Da konnte ich vor Gericht schnell punkten.

1982 bekam ich von der damaligen Frauenstaatssekretärin Johanna Dohnal den Auftrag, eine Broschüre über das neue Familienrecht zu schreiben. Sie erschien unter dem Titel »Was tue ich, wenn es zur Scheidung kommt« und war sofort ein Renner. Unter der schwarz-blauen Regierung wurde sie nicht mehr nachgedruckt, inzwischen aber in einer überarbeiteten Auflage neu aufgelegt. Eine Menge Fortschritte zugunsten der Frauen wurden ja wieder zurückgenommen. Jedenfalls gelte ich seither als Familienrechtsexpertin. Eine Zeitlang habe ich noch Wert darauf gelegt, dass auch Arbeits-, Miet- und Wohnrecht meine Spezialgebiete sind. Jetzt bin ich schon im pensionsfähigen Alter und es ist mir wurscht. Ich nehme für mich in Anspruch, immer die Schwachen und Benachteiligten vertreten zu haben.

"Ich bin eine große Freundin der Eheschließung. Aus der Lebensgemeinschaft erwachsen keine Rechte."

(+) plus:  Obwohl Sie davon leben, raten Sie davon ab, sich scheiden zu lassen. Lassen sich Ihre Klienten von dem Entschluss noch abbringen?

Klaar: Meistens geht der Entschluss zur Scheidung von den Männern aus, die ja bei einer Scheidung viel weniger verlieren – jetzt noch weniger denn je. Die Frauen glauben, sie müssen da mithüpfen. Ihr letzter Liebesdienst ist es, beim Anwalt zu sagen: Wir haben uns auseinander gelebt. Wenn ich dann nachfrage, wer sich von wem auseinander gelebt hat, ist es in 90 % der Fälle der Mann, der eine andere Beziehung hat oder sich anders der Familie entfremdet hat. Es kommt dann zwar meist zur Scheidung, aber doch unter günstigeren Bedingungen für die Frau.

(+) plus: Sollte man also besser erst gar nicht heiraten?

Klaar: Doch, ich bin eine große Freundin der Eheschließung. Die Ehe ist ein Vertrag, der Rechte und Pflichten gibt. Aus der Lebensgemeinschaft erwachsen dagegen überhaupt keine Rechte. Das ist für den sozial Schwächeren nachteilig, und diejenige, die ein Kind bekommt, ist in der Regel sozial schwächer. Ich hatte schon Lebensgefährtinnen bei mir, denen ich als ersten Schritt geraten habe, zu heiraten und dann wiederzukommen, weil sie sonst wesentlich rechtloser wären.

(+) plus: Auch wenn man die Ehe ganz nüchtern als Vertrag zwischen zwei Menschen betrachtet, ist die Auflösung meist schwierig. Warum fällt eine saubere Trennung so schwer?

Klaar: Es ist ein Vertrag, bei dem die Parteien eine sehr innige Beziehung miteinander eingehen. Deswegen predige ich vehement gegen Erleichterungen bei der Scheidung. Ich sehe nicht ein, dass eine Ehe, die engste Verflechtungen zwischen zwei Menschen bewirkt, leichter aufgelöst werden soll als ein Bierliefervertrag mit der Ottakringer Brauerei. Bevor ich reine Scheidungsspezialistin wurde, war ich manchmal als Masseverwalterin bei kleinen Konkursen tätig. Seither weiß ich: Wenn sich ein Gastwirt mit Haut und Haar einem Bierlieferanten ausgeliefert hat, gab es kein Herauskommen aus dem Vertrag. Warum sollte also eine Ehe, die sich auf die ganze Lebensführung auswirkt, leichter auflösbar sein?

(+) plus: Wird es durch Eheverträge einfacher?

Klaar: Das Aufteilungsverfahren ist ein Kind der Familienrechtsreform. Vor 1978 gab es keine Teilung des ehelichen Vermögens; jeder konnte behalten, was auf seinen Namen gelautet hat. Die Wohnungen lauteten fast immer auf den Namen des Mannes, also mussten Frauen und Kinder nach der Scheidung ausziehen. Bis 1975 war das auch gar nicht anders möglich, weil eine Eigentumswohnung nicht auf zwei Personen geschrieben sein konnte. Schon daran sieht man, was für ein Meilenstein die Familienrechtsreform war. Auch die nicht berufstätige, aber Haushalt führende und Kinder erziehende Ehefrau bekommt nun in der Regel die Hälfte des Vermögens. Wohlhabenden oder gut verdienenden Männern ist das natürlich ein Dorn im Auge. Daher haben Eheverträge zumeist den Zweck, diese Aufteilungsprinzipien auszuhebeln. Meistens steht ja drin: Jeder bekommt nur das, was mit seinem Geld angeschafft wurde. Junge, studierte Frauen, die selbst gut verdienen, finden das ganz normal. Nach 20 Jahren Ehe, drei Kindern und der Aufgabe ihrer eigenen Berufstätigkeit, weil sie dem Mann ins Ausland gefolgt sind, würden sie das ganz anders sehen.

Starke Frauen. 2004 wurde Helene Klaar gemeinsam mit Volkstheaterdirektorin Emmy Werner (li.) von Stadträtin Sonja Wehsely mit dem Wiener Frauenpreis ausgezeichnet.

(+) plus: Zahlt es sich aus, um jeden Euro zu kämpfen, oder ist manchmal ein Vergleich klüger?

Klaar: Wenn man einen Kompromiss schließen kann, mit dem beide leben können, ist das immer vorzuziehen. Man sollte sich nicht unbedingt der Weisheit eines Bezirksrichters anvertrauen. Das Familienrecht gilt nach wie vor als »minderes Jus« – das hat schon mein Vater gesagt. Bei den Familiengerichten sind deshalb vorwiegend junge Richter tätig, die erst am Anfang ihrer Karriere stehen. Eine frisch verheiratete Richterin findet das vielleicht furchtbar, wenn eine Ehefrau ihrem Mann etwas kocht, das er nicht gerne isst oder sagt: Räum deine dreckigen Socken selbst weg. Wenn man 20 Jahre verheiratet ist und selbst alle möglichen Kränkungen erlebt hat, sieht man das schon anders.

(+) plus: Was macht eine Scheidung so teuer?

Klaar: Scheidungen sind an und für sich keine teuren Verfahren. Aber bei der Aufteilung und dem Unterhaltsprozess kommen schnell relativ hohe Kosten zusammen. Es ist besser, an einer guten Lösung länger zu arbeiten, als schnell eine schlechte zu machen. Wenn eine Frau sagt »Ich verzichte auf alles«, nur damit es aus ist, tut ihr das meiner Erfahrung nach leid, sobald sie aus dem Verhandlungssaal geht. Und von da an jeden Tag  mehr.

"Wir kehren zu einem patriarchalischen Familienrecht der ärgsten Sorte zurück."

(+) plus: Werden Kinder zum Spielball?

Klaar: Mehr denn je. Wir kehren zurück zu einem patriarchalischen Familienrecht der ärgsten Sorte, wie ich es in den 1970er-Jahren vor der Reform erlebt habe. Es zählt nur der Wille des Vaters. Auch Väter, die sich bei aufrechter Ehe um ihren Nachwuchs nie wirklich gekümmert haben, wünschen sich jetzt, dass die Kinder zu gleichen Teilen bei ihnen und bei der Mutter sind – was die angenehme Begleiterscheinung hat, dass sie dann keinen Unterhalt zahlen müssen.
Wie es den Kindern dabei geht, ob sie immer das passende Gewand in seiner Wohnung haben und die Schultasche komplett ist, interessiert die Väter nicht wirklich. Die Kinder müssen sich am Donnerstag überlegen, was sie bis Montag brauchen, weil sie Freitag früh den Haushalt der Mutter verlassen. Aber angeblich ist das wahnsinnig toll.

(+) plus: Haben Sie auch schon den umgekehrten Fall – engagierter Vater, unfähige Mutter – erlebt?

Klaar: Natürlich, Frauen sind ja auch keine Engel. Es gibt sehr nette Männer, die mehr Geduld und Zuwendung für die Kinder zeigen als die Mütter. Bei den Frauen ist allerdings der gesellschaftliche Druck so stark, dass auch kaltschnäuzige und wenig herzliche Frauen noch immer ganz passable Mütter abgeben. Wenn Väter versagen, dann auf der ganzen Linie. Die ganz unmögliche Mutter, die nichts tut und von den Kindern gar nicht geliebt wird, ist mir kaum je untergekommen – und wenn, dann war sie psychisch krank.

(+) plus: Sehen Sie sich stärker auf Seite der Frauen?

Klaar: Ich bin Rechtsanwältin und fühle mich immer für meine Klienten verantwortlich. Auch für meine männlichen Klienten will ich das Beste. Für Frauen ist eine Scheidung ein existenzielles Problem und für Männer meistens ein finanzielles. Aber wenn jemand ein guter Familienvater war und plötzlich seine Kinder nicht mehr täglich sehen kann, ist das natürlich ein Riss in seinem Leben. Besonders wenn der Scheidungswunsch nicht von ihm ausging.

"Für Frauen ist eine Scheidung ein existenzielles Problem, für Männer meistens ein finanzielles."

(+) plus: Wie stehen Sie zur Kritik diverser Männerverbände, die beklagen, Vätern würden bei Scheidungen benachteiligt?

Klaar: Diese medial vertretenen Männer sind schlechte Beispiele. In der Regel zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie nichts verdienen, keinen Unterhalt zahlen können und ihre Kinder nicht gern zu ihnen gehen, was sie als Schuld der Mütter darstellen. Mein Mitgefühl haben Männer, die berufstätig sind, Unterhalt zahlen, unter der Trennung von den Kindern leiden und versuchen, einen zumindest wöchentlichen Kontakt zu den Kindern aufrecht zu halten, was neben einer vollen Berufstätigkeit nicht leicht ist. Für Vereinstätigkeit bei den »Maskulisten« bleibt diesen Männern keine Zeit.

(+) plus: Sie selbst sind schon lange verheiratet. Ihr Rezept?

Klaar: Ich weiß nicht, vielleicht gut ausgesucht? Verheiratet zu sein, heißt nicht, 24 Stunden am Tag glücklich zu sein und nie eine Meinungsverschiedenheit zu haben. Meistens bin ich zu Hause aber nicht streitbar. Und wenn doch, dann streiten wir eben und fünf Minuten später sind wir wieder gut.


Zur Person

Helene Klaar, 1948 in Wien geboren, ist seit 1976 als Rechtsanwältin in Wien selbstständig, seit 1995 in gemeinsamer Kanzlei mit Norbert Marschall. Die Expertin für Arbeits-, Miet- und Familienrecht lehrt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und ist stellvertretende Vorsitzende der SPÖ Wieden. Klaar ist mit dem Politologen Johann Dvorák verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. 2004 wurde sie für ihre »besonderen Verdienste um Frauen im Scheidungsfall« mit dem Wiener Frauenpreis ausgezeichnet. Der von ihr verfasste »Scheidungsratgeber für Frauen« erschien 2015 in einer aktualisierten Auflage im Linde Verlag.

 

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