Sonntag, April 28, 2024
Das große Zittern
Was tun, wenn sich die Mahnungen auf dem Schreibtisch stapeln? Oft heißt es aber gerade jetzt: Schnell handeln! (Foto: iStock)

Die Rechnungen und Mahnungen stapeln sich, laufende Kosten können nicht mehr bedient werden und der Schuldenberg wirft bereits einen bedrohlichen Schatten. Wer in so einem Fall nicht schnell handelt, dem droht das Aus. 

Text: Sarah Bloos

Stehen verschuldete Unternehmen vor der Insolvenz, ist ein Sanierungsverfahren oft die letzte Option. Das aber ist komplex und verlangt dem erschöpften Management einiges ab: Banken und Gläubiger verlangen Sicherheiten und harte Fristen – und gleichzeitig soll das Geschäftsmodell wieder auf Vordermann gebracht werden. Worauf müssen Unternehmer achten, und wie läuft das Verfahren ab? Ein Einblick in den Prozess. 

Am Scheideweg

Damit ein Sanierungsverfahren überhaupt begonnen werden kann, muss vor Gericht ein Insolvenzantrag gestellt werden. Eine große Hürde dabei ist – wenig überraschend – finanzieller Natur. Für das Verfahren muss der Schuldiger zumindest die Anlaufkosten decken können. Schafft er das nicht, und sind auch die Gläubiger nicht bereit zu einem Kostenvorschuss, weist das Gericht den Antrag ab. Und das kommt nicht selten vor: Allein 2023 konnten laut Hochrechnung des Kreditschutzverbands KSV1870 rund 2.000 Verfahren aufgrund mangelnder Kostendeckung nicht eröffnet werden – acht Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Auch bei den Fristen ist Vorsicht geboten: Der Insolvenzantrag muss spätestens 60 Tage nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beim jeweiligen Landesgericht gestellt werden – sonst droht die persönliche Haftung. Zuständig sind Einzelunternehmer*in, Geschäftsführer*in oder der Vorstand. Für den Gerichtstermin braucht es außerdem einen Restrukturierungsplan. Er beschreibt, wie das Unternehmen gerettet werden soll. Und er enthält eine Prognose über den Fortbestand: Kann das Unternehmen realistisch erhalten werden? Überzeugt werden müssen vor allem die Gläubiger: Ihre Mehrheit entscheidet, ob der Plan vor Gericht beschlossen werden kann. 


Keine rosigen Aussichten

2023 waren rund 5.400 Unternehmen von einer Insolvenz betroffen. Der Kreditschutzverband 1870 spricht von so vielen Fällen wie zuletzt vor zehn Jahren. 2024 könnte gar noch ärger werden: Für heuer rechnet der KSV1870 mit 5.800 bis 6.000 Firmenpleiten. »Aktuelle Herausforderungen sind zum Beispiel der technologische Wandel, aber auch Adaptionsschwierigkeiten in einer sich schnell wandelnden Wirtschaftswelt, Störungen der Lieferketten, und besonders steigende Lohn-, Energie- und ebenso Finanzierungskosten«, erklärt Matthias Holzamer, Restrukturierungsexperte bei Roland Berger.

Ricardo-José Vybiral, CEO des Kreditschutzverbands KSV1870: »Was es jetzt braucht, ist ein frischer ›Drive‹, um die Leistungsfähigkeit der heimischen Wirtschaft anzukurbeln.« (Foto: Foto Wilke)


»Das Thema Kosten ist nach wie vor der Key-Factor«, stimmt Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG, zu. »Was es jetzt braucht, ist ein frischer ›Drive‹, um die Leistungsfähigkeit der heimischen Wirtschaft anzukurbeln. So braucht es etwa neue Impulse für den Export und Initiativen zur Stärkung der Bauwirtschaft und des Handels.« Nur so könne Österreich vom »Stottermodus« wieder in den Überholmodus schalten.


Auf Fehlersuche

Der Schlüssel ist ein gutes Konzept. Auf der Suche nach der Lösung gilt es, tief zu graben: Was genau hat in die Krise geführt? Die Verschuldung ist meist nur die Spitze des Eisbergs. »Ihr voran gehen strategische, finanzielle und operative Probleme«, erklärt Matthias Holzamer, Senior Partner und Experte für Restrukturierung und Unternehmensfinanzierung bei Roland Berger. »Oft sind nur die Symptome offensichtlich«, bestätigen Ben Trask und Klaus Haberfehlner, Partner für Restrukturierungsberatung, Strategy and Transactions bei EY Österreich. »Das Was und das Warum aber bestimmen, worauf man seinen Fokus setzen sollte.«

Ben Trask ist Partner für Restrukturierungsberatung, Strategy and Transactions bei EY Österreich. Restrukturierungen werden ihrem negativen Image oft nicht gerecht, meint er: »Man muss die Anzahl der verlorenen Arbeitsplätze jenen, die so gerettet werden konnten, gegenüberstellen.« (Foto: EY Österreich)


Generell lasse sich eine Krise entweder aufs Geschäftsmodell oder auf die Marktsituation zurückführen. »Werden die Grundlagen des Geschäftsmodells unterbrochen – zum Beispiel durch politische Entscheidungen oder neue Technik – stellt sich die Frage, wie schnell sich ein Unternehmen verändern kann. Im zweiten Fall hat ein Unternehmen eigentlich ein gutes Konzept, jedoch ist die Konkurrenz effizienter oder bietet bessere Preise. Hier hat man ein Marktproblem«, führt Klaus Haberfehlner aus.

Einen Plan fassen

Restrukturierungsberater*innen unterstützen Unternehmen bei der Fehlersuche, analysieren den Markt, das Produkt und befragen die Mitarbeiter*innen. »Meist ist das Problem intern bereits bekannt – nur hat es das Management noch nicht erreicht«, berichtet Ben Trask. Gemeinsam mit dem Management entwickeln sie ein Konzept, um den Betrieb und die Profitabilität zu verbessern sowie Kosten und Ausgaben zu reduzieren. Ziel ist ein detaillierter und zeitgesteuerter Projektplan.

»Priorität hat zunächst die Wiederherstellung der Liquidität«, erklärt Haberfehlner. Darum findet die Planung immer in Absprache mit Banken und Finanzgebern statt. Hier ist Transparenz essentiell – auch um das Vertrauen der Gegenseite zu gewinnen: »Es gilt, im Kontext aller Herausforderungen ein Gesamtoptimum zu finden, mit dem alle zufrieden sind«, betont Holzamer. »Berater nehmen hier oftmals eine Moderationsrolle ein, und sorgen dafür, dass alle Beteiligten vertrauensvoll zusammenarbeiten.« Nehmen Finanzierer und Gläubiger den Plan an, kann die eigentliche Sanierung beginnen. 

»Ripping the bandage off«

All das ist ein komplexer Balanceakt. Nicht umsonst gilt die Restrukturierung auch als »Königsklasse des Managements«. Man muss der Wahrheit ins Auge sehen, mag sie auch schmerzhaft sein. »Man spricht in diesem Zusammenhang von ›Burden-Sharing‹. Damit der Turnaround gelingt, muss jeder seinen Beitrag leisten«, so Holzamer. Die Meinung teilen auch Trask und Haberfehlner: »Wenn Unternehmen in der Sanierung scheitern, liegt das oft daran, dass sie nicht ambitioniert genug sind, Maßnahmen nicht stringent genug umsetzen, oder harte Entscheidungen aufschieben.« Es sei kritisch, dass das Management Ziele hoch ansetzt und den Plan kontinuierlich vorantreibt, und nicht  schon nach den ersten Erfolgen abbricht.

Klaus Haberfehlner, Partner bei EY Österreich: »Die eigenen Angestellten müssen wissen, was passiert – und warum es sein muss.« (Foto: EY Österreich)


Essentiell sind Pragmatik und rasches Handeln. Besonders dann, wenn Mitarbeiter*innen entlassen werden müssen.  Sonst entstehe eine Belastung fürs ganze Unternehmen, stellt Haberfehlner  klar: »Man muss konsequent und ehrlich sein. Tatsächlich merken Mitarbeiter*innen recht schnell, wenn ein Unternehmen schwächelt – dann ist es besser, sie nicht auf die Folter zu spannen.« Trotzdem ist das keine leichte Aufgabe. »Wir erleben oft, dass die Person, die am meisten vom Sanierungserfolg profitieren würde, die größten Sorgen hegt und auch am stärksten gegen vorgeschlagene Maßnahmen kämpft«, betont Trask. »Je weiter die Krise voranschreitet, desto schwieriger wird es jedoch, das Problem zu lösen – und desto schmerzhafter wird die Lösung sein«, warnt er. Es kann hilfreich sein, einen Interimsmanager oder einen Restrukturierungsbeauftragten einzusetzen. »Sie sind oft konsequenter darin, die Maßnahmen umzusetzen – weil ihr erstes und einziges Ziel es ist, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen.«

Der Reset

»Vom Turnaround sind zirka 80 Prozent im ersten Jahr geschafft«, meint Trask. Spürbar seien die ersten Erleichterungen schon nach einem halben Jahr. Jubeln darf man aber erst, wenn auch die Schulden beglichen sind. Je nachdem, ob das Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung durchgeführt wird, müssen innerhalb von zwei Jahren 30 bzw. 20 Prozent getilgt werden. Die Restschuld wird erlassen. Darüber hinaus sollte das Liquiditätspolster wieder ausreichend gefüllt sein, um finanziell stabil in den Neustart gehen zu können.

»Je früher man auf das Kernproblem aufmerksam wird und sich diesem widmet, desto eher gelingt die Restrukturierung«, sagt Matthias Holzamer, Senior Partner bei Roland Berger. (Foto: Roland Berger)


Eine vollständige Sanierung kann auch darum zwei bis drei Jahre dauern. Je früher die Rettung beginnt, desto höher stehen die Chancen auf Erfolg. »Ein Berater kann Fitnesscoach oder Intensivarzt sein«, bemerkt Holzamer. Das beste Medikament ist deshalb die Vorsorge: Die Unternehmen sollten regelmäßige Wirtschafts- und Finanzchecks durchführen und auch die eigenen Marktanteile stets im Blick behalten. 

Mehr zum Thema: Wie man sich am besten vor Pleiten schützt? Das hat Report (+) PLUS Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin Helga Kuttner im Interview gefragt. Ihre Antworten lesen Sie hier: Bilanzen kennen

Außerdem: Rechtsanwalt Alexander Painsi erklärt, was aus rechtlicher Sicht bei einem Sanierungsverfahren zu beachten ist: Plädoyer für Transparenz


Rettung vor dem Pleitegeier

(Foto: iStock)

Das Geld wird immer weniger? Was Unternehmen jetzt tun sollten. 

1. Zahlen checken und Kosten senken
Die wichtigsten Kennzahlen immer im Blick behalten. Dort ansetzen, wo die Bilanz ins Negative zeigt. Kunden mit schlechter Zahlungsmoral zuerst abwerfen – und nicht zögern, auch Mahnungen auszustellen. Hier geht es um die eigene Existenz! 

2. Geschäftsmodell überdenken
Warum läuft es nicht mehr? Vielleicht braucht es ein agileres Geschäftsmodell. Wie ist die Situation am Markt? Möglicherweise müssen Produkte verändert werden. Hier kann eine Management- und Restrukturierungsberatung helfen. Sie bringt den nötigen Blick von außen.

3. Frühzeitig beraten lassen
Mit dem Steuerberater und Rechtsanwalt die aktuelle Situation analysieren und die nächsten Schritte besprechen, damit genug Zeit für die Vorbereitung bleibt. Auch wichtige Fristen wie die 60-tägige Antragsfrist im Auge behalten. 

4. Gemeinsam Lösungen finden
Außergerichtliche Einigungen – ob mit Geschäftspartnern, Banken oder Behörden – bieten oft bessere Konditionen für alle Beteiligten. Hier gilt: Das Gespräch suchen und mit offenen Karten spielen. 

5. Nach neuem Geld suchen
Die Liquidität muss erhalten werden, damit das Unternehmen geschäftstüchtig bleibt. Das aws bietet Überbrückungsgarantien für Betriebsmittelkredite an.  Investitionsplattformen wie der Förderpilot (www.foerderpilot.at) können ebenso bei der Suche nach Investoren helfen. 

6. Sanierungsplan erstellen
Bringt das nicht den gewünschten Erfolg, schnell ein Sanierungsverfahren anstreben. Wird der Plan vor Gericht angenommen, müssen binnen zwei Jahren je nach Art der Verwaltung nur 20 oder 30 Prozent der Schulden bezahlt werden. Die Restschuld wird erlassen.

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