Freitag, April 26, 2024
Die große Umfrage: Gas aus Russland

Die Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen sorgt für heftige Diskussionen. Österreich bezieht 80 Prozent des Gesamtbedarfs an Gas aus Russland – weit mehr als jedes andere westeuropäische Land. Versäumnisse und Fehlentscheidungen in der Vergangenheit sind unbestritten, doch welche Folgen hat es, sollte tatsächlich kein Gas mehr fließen? Report(+)PLUS hat drei Expert*innen um ihre Einschätzung gebeten.


#1:
Ist ein Verzicht auf russisches Gas realistisch?

Gerhard Mangott
Politikwissenschafter und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck

Ein Verzicht Österreichs auf russisches Gas ist in den nächsten Jahren völlig unmöglich. Das Land kann die Lieferungen nicht durch kostengünstiges konventionelles oder Flüssiggas aus anderen Bezugsquellen substituieren. 

Carola Millgramm
Leiterin der Abteilung Gas bei E-Control


(Bild: econtrol/ Wilke)

Kurzfristig sehe ich keine Möglichkeit, auf Erdgas aus Russland völlig zu verzichten. 

Sigrid Stagl
Ökonomin am Department für Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien

Ich würde die Frage anders stellen: Ist es realistisch, dass wir weiterhin russisches Gas und Öl verwenden? Das aktuelle russische Regime betreibt nicht nur einen Angriffskrieg auf ein Nachbarland, sondern ignoriert humanitäres Völkerrecht und hat vermutlich Kriegsverbrechen begangen. Gleichzeitig macht der kürzlich veröffentlichte Sachstandsbericht des Weltklimarates völlig klar, dass das Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Gas und Öl die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört. Zusammen genommen leite ich daraus ab, dass es die einzig realistische Option ist, im Krisenmodus zu agieren und enorme Anstrengungen zu unternehmen, um schnellstmöglich aus russischem Gas und Öl auszusteigen.

#2: Was würde ein Lieferstopp für Österreich bedeuten?

Gerhard Mangott

Ein Gasembargo gegen Russland ebenso wie ein Lieferstopp durch die russische Seite würde in Österreich zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen. Da sind nicht nur unmittelbare Konsequenzen (Betriebsstillegungen, Arbeitslosigkeit, hohe Energieprise) zu bedenken, sondern auch der Umstand, dass die Industrie des Landes damit verlässlichen Zugang zu leistbarem Gas verliert. Teures Flüssiggas aus anderen Quellen würde die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie langanhaltend beschädigen. 

Carola Millgramm

Grundsätzlich verursacht ein Ausfall von einzelnen Gaslieferungen nicht automatisch auch ein Versorgungsproblem. Sollte es jedoch zu so massiven Einschränkungen beim Gasimport kommen, dass diese durch andere Bezugsquellen und Speicherkapazitäten nicht mehr substituierbar wären, um eine Vollversorgung zu gewährleisten, so würden auf der Grundlage des Energielenkungsgesetzes verbrauchsmindernde Maßnahmen gesetzt werden. Diese hätten das Ziel, jedenfalls die Haushalte und grundlegende soziale Dienste als geschützte Kunden ausreichend mit Wärme versorgen zu können.

Verbrauchsmindernde Maßnahmen beinhalten Aufrufe an Erdgasabnehmer*innen, womöglich den Verbrauch zu reduzieren, die Möglichkeit für Industrie und Gewerbe, auf einer eigenen Plattform Verbrauchsminderungen anzubieten (FlexMol) und auch die Möglichkeit, die Gasverbraucher*innen auf Basis einer Verordnung zu einer Reduktion des Gasverbrauchs zu verpflichten. Die Details zu diesen Maßnahmenoptionen sind von der konkreten Versorgungssituation abhängig.

Sigrid Stagl

Kurzfristig würde das Österreich vor große Herausforderungen stellen. Nicht nur bei Industrieunternehmen, sondern auch bei Stromversorgern würde es zu Ausfällen kommen. Der Ausbau von Produktionskapazitäten von Strom durch Erneuerbare dauert derzeit Jahre, was viel schneller gelingen müsste. Umfassende Energieeffizienzmaßnahmen in Betrieben, Wärmedämmungen von Gebäuden und Verhaltensänderungen wirken kurzfristig. Wenngleich hier signifikante Potenziale liegen, bleibt ein Restbedarf an Gas, der kurzfristig aus anderen Quellen kommen müsste.

#3: Welche Alternativen gibt es langfristig?

Gerhard Mangott

Ein langfristiger Ausstieg ist durch Steigerung des Anteils erneuerbarer Energie, Senkung des Energieverbrauchs und durch Gas aus anderen Quellen möglich – wenn man bereit ist, die höheren Preise dafür zu bezahlen.

Carola Millgramm

An Alternativen wird bereits unter Hochdruck gearbeitet, dazu zählt unter anderem auch die Erschließung anderer Lieferquellen und -länder. Gas aus Norwegen könnte je nach Transportweg theoretisch relativ schnell zusätzlich nach Österreich kommen. Das hängt aber natürlich auch von möglichen Gasfördermengen und bereits bestehenden Verträgen (also bereits verkauften Mengen) der Norweger ab.

Auch könnte Österreich beispielsweise Flüssigerdgas (liquefied natural gas, LNG) einkaufen. LNG wird z. B. in Schiffsterminals in Italien oder den Niederlanden angeliefert und kann dann über Pipelines von dort nach Österreich gelangen. Ein rascher Ausbau der erneuerbaren Energien ist aber oberstes Gebot der Stunde. Der Wille und die Möglichkeiten dafür sind auch absolut gegeben. Wo wir noch Aufholbedarf sehen, ist zum Beispiel bei den Genehmigungsverfahren für die Infrastruktur. Da müssen wir deutlich schneller werden. 

Sigrid Stagl


(Bild: WU Wien)

Langfristig wird die Stromversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energiequellen umgestellt. Industrielle Produktion, Mobilität, Kochen und Heizen werden auf strombasierte Technologien umgestellt. Das war volkswirtschaftlich schon seit Jahrzehnten wünschenswert. Mittlerweile sind erneuerbare Technologien so günstig, dass sie betriebswirtschaftlich präferabel sind. Mehr Forschung ist nötig, etwa wie Solarenergie gespeichert werden kann. Batterien und Wasserstoff sind Teil der Lösung, aber nicht ausreichend. Gleichzeitig brauchen wir soziale Strukturen und ökonomische Anreize, die nachhaltiges Handeln leicht und attraktiv machen.

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