Montag, Mai 13, 2024

Die E-Wirtschaft muss verstärkt auf Kooperationen setzen und noch serviceorientierter werden, sagte Verbund-Generaldirektor Wolfgang Anzengruber dem Energiereport auf der E-World of Energy in Essen.

(+) plus:  Wie geht es Verbund in Deutschland, dem »Land der
Energiewende«?

Anzengruber: Gut. Wir verfügen über Wasserkraftwerke und Windparks und haben ein Joint Venture mit der EnBW, Aquanto. Im Endkundenbereich haben wir unsere Tätigkeit aufgenommen. Die Kundenbeziehungen sind tragfähig, auch das Volumen ist in Ordnung. In manchen Bereichen bekommen wir nach wie vor eine Preisprämie für Strom aus Wasserkraft. Wir wahren Kontinuität und bauen unsere Position aus. Es war richtig, Deutschland als einen unserer Kernmärkte zu definieren.

(+) plus:  Was sind in Deutschland Ihre wichtigsten Ertragsbringer?

Anzengruber: Den größten Teil der Erträge erwirtschaften wir im Stromverkauf an Wiederverkäufer wie Stadtwerke, gefolgt von Stromlieferungen an Industriekunden. An dritter Stelle steht das Dienstleistungsgeschäft, das wir teilweise mit Aquanto abdecken. Stärker werden wollen wir vor allem bei den Dienstleistungen sowie auf der Endkundenseite. Das geht in Richtung Direktvermarktung von Drittanlagen wie Wasserkraftwerken, Windparks, vielleicht Photovoltaikanlagen. Weiters bieten wir Demand-Response-Lösungen an, etwa Powerpooling. Vor allem hier sehe ich Wachstumspotenziale.

(+) plus: Achim Südmeier, der Vorstand der Rhein Energie, sagte, die E-Wirtschaft müsse viel kundenorientierter und partnerschaftlicher werden. Im Moment
bestehe noch die Tendenz, der Politik auszurichten, was sie im Interesse der Energieunternehmen zu tun hätte.

Anzengruber: Zwei Aspekte sind zu unterscheiden. Erstens ist natürlich das Marktsystem zu reformieren, sonst fährt es gegen die Wand. Aber die E-Wirtschaft darf sich nicht nur zurücklehnen und Reformen verlangen. Damit komme ich zum zweiten Aspekt: Wir brauchen wirkliche Partnerschaften mit den Kunden. Da geht es um alles, was wir bei Verbund im »Solution«-Bereich zusammenfassen. Das umfasst Smart Home, Managementsysteme, letztlich Komplettangebote von Photovoltaikanlagen bis zum Speicher, zur Wärmepumpe und zur Elektromobilität.

Es geht nicht mehr nur um das klassische große, asset-orientierte
Geschäft. Es sind kleinteiligere Modelle, bei denen wir kooperieren müssen – mit Start-ups, mit kleineren Unternehmen, mit verschiedensten Partnern. Dafür ist eine andere Governance notwendig. So, wie man Kraftwerke gebaut hat, funktionieren die neuen Modelle nicht. Man braucht andere Strukturen, andere Organisationsformen. Daran arbeiten wir gerade.

(+) plus: In welche Richtung entwickeln Sie Ihre Unternehmensstrukturen ?

Anzengruber: Für Verbund gibt es drei große Achsen. Auf der einen Achse ist das klassische Geschäft der Stromerzeugung angesiedelt, das weiterhin wichtig bleibt und wo wir in Richtung 100 Prozent CO2-Freiheit sowie Kostenführerschaft gehen. Auch die Stromvermarktung und der Stromhandel gehören hierher. Die zweite Achse ist unsere Austrian Power Grid, der Übertragungsnetzbetreiber. Da geht es um Versorgungssicherheit, um das regulierte Geschäft. Der dritte Bereich ist die Betreuung der Kunden von den Haushalten bis zu Gewerbe und Industrie.

Ihnen muss man in Zukunft mehr bieten als nur Kilowattstunden. Wir haben ja nicht zu wenig Strom in Europa, sondern leider zu viel und nicht immer zum richtigen Zeitpunkt. Notwendig ist also Flexibilität. Hier hat Verbund viel anzubieten, mit den Pumpspeichern, aber auch im Bereich kleiner Leistungen, Stichwort Batteriespeicher. Es geht um Integration, um die Zusammenfassung in Power-Pools, um Energiemanagement. Das ist die Systemdienstleistung, die wir erbringen werden und wo wir uns größeres Wachstum erwarten. Hier auf der Messe sind etwa drei Viertel der Stände diesen Themen gewidmet. Allerdings sind in diesem Bereich nicht nur die Energieversorger tätig. Das ist eine andere Wettbewerbssituation, das Geschäft ist schnelllebiger und dynamischer. Bei Verbund gelingt es schon ganz gut, das darzustellen. Aber wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen. 

(+) plus: Seitens eines Vertreters von Trianel hieß es, es dauere bei manchen Energieunternehmen sechs Tage, bis eine Kundenanfrage zur Kenntnis genommen wird, und bis zu 63 Tage, bis der Kunde ein Angebot erhält.

Anzengruber: Da wir nur wenige Beschwerden bekommen, bin ich optimistisch, dass es bei uns nicht so lange dauert.  In den klassischen Bereichen, etwa wenn ein Kunde wechseln möchte, wenn er einen Stromvertrag wünscht oder der Kunde eine Lösung haben möchte, beispielsweise eine Photovoltaikanlage, reagieren wir sehr schnell.

(+) plus: Verschiedentlich war hier auf der E-World zu hören, der Vertrieb der Energieunternehmen müsse aktiver auf die Kunden zugehen, weil nur in Zusammenarbeit mit diesen neue Geschäftsmodelle entwickelt werden könnten.

Anzengruber: Den Strom kann man heute übers Internet kaufen. Auf Vergleichsportalen ist der Wechsel mit einigen Mausklicks erledigt. Aber überall, wo es um Systeme, um Dienstleistungen geht, ist Kompetenz gefragt. Wir müssen mehr beim Kunden sein und serviceorientierter werden. Wer das nicht schafft, wird zum reinen Commodity-Lieferanten. Und eine Unterscheidung über die Kilowattstunde ist sehr schwierig. Die kostet ohnehin schon fast nichts mehr.

(+) plus: Die EU-Kommission überlegt, ein viertes Binnenmarktpaket vorzuschlagen. Als mögliche Inhalte werden die verstärkte Marktintegration, der intensivierte Strom- und Gashandel sowie Kapazitätsmärkte genannt.

Anzengruber: Die Integration der erneuerbaren Energien ist von höchster Wichtigkeit, da andernfalls das System kollabiert. Ein Freund von Kapazitätsmärkten bin ich nicht, weil zwar von »Markt« gesprochen, aber wieder an Förderungen gedacht wird. Ich dagegen möchte bei der Marktwirtschaft bleiben.  Am Markt gehandelte strategische Kapazitätsreserven sind legitim, solange der Markt keine Anreize für Investitionen bietet. Daher ist die Reform des Energy-Only-Marktes wichtig. Wir müssen das Thema »gesicherte Leistung« stärker einbringen. Gelingt das, wird der Markt wieder funktionieren. Wenn die Kommission das mit einem vierten
Package beschleunigen will, bin ich dabei.

(+) plus: Gibt es neue Entwicklungen hinsichtlich der deutsch-österreichischen Preiszone?

Anzengruber:  Wir versuchen weiter, eine Lösung zu finden. Das ist möglich, denn an der deutsch-österreichischen Grenze gibt es keinen Engpass. Und gegen die Probleme in Polen hilft die Trennung der Preiszone nicht. Man kann einen Beinbruch nicht mit Aspirin heilen.

(+) plus: Was sind Ihre Anliegen an die neuen Vorstände der E-Control?

Anzengruber: Die Herren, die die E-Control bisher leiteten, haben sauber und mit großer Sachkenntnis gearbeitet. Wichtig ist, die Kontinuität zu wahren. Es geht um drei Aspekte: Im regulierten Bereich, also bei den Netzen, darf es keine Wettbewerbsbehinderungen geben. Das Zweite ist die Versorgungssicherheit. Die E-Control  muss dafür sorgen, dass ausreichende Kapazitäten verfügbar sind. Das Dritte ist unsere Position in Europa. Österreich hatte einen Sitz im ACER-Vorstand, die E-Control-Vorstände hatten ihren Namen in Europa. Diese Kontinuität zu wahren, ist nicht einfach. 

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