Samstag, Juli 27, 2024

Die Insolvenz der Handelskette Zielpunkt schlägt Wellen. Rund 3.000 MitarbeiterInnen verlieren ihren Job, auch bei 200 heimischen Herstellern, darunter das steirische Fleischereiunternehmen Schirnhofer, ist Feuer am Dach. Speziell in Ostösterreich gilt der Lebensmitteleinzelhandel als hartes Pflaster. Drei Platzhirsche teilen sich den Markt auf, in den Nischen lässt es sich kaum überleben. Welche Folgen die Insolvenz nach sich ziehen könnte und sollte, hat Report(+)PLUS bei ExpertInnen nachgefragt.

1.Was sind die Konsequenzen aus dieser Insolvenz?

Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten:

Faktum ist, dass diese Insolvenz eine Reihe von Folgewirkungen hat. Neben den 2.700 direkt betroffenen Angestellten sind die Beschäftigten im Logistikzentrum und diverse Zulieferer, wie etwa als prominentester die Firma Schirnhofer, Opfer dieser Insolvenz. In einer ohnehin schon angespannten Situation am Arbeitsmarkt ist das natürlich äußerst bitter. Man kann nur hoffen, dass möglichst viele Standorte von anderen Handelsunternehmen übernommen werden. Wenn man in so einer Situation überhaupt über positive Konsequenzen reden kann, so wären Verbesserungen im Kartellrecht sehr zu begrüßen, die den Aspekt der Beschäftigung stärker berücksichtigen als bisher.

Sarah Fürlinger, Sprecherin der Bundeswettbewerbsbehörde:

Es ist damit zu rechnen, dass bisherige Zielpunkt-Standorte von anderen Marktteilnehmern übernommen werden. Derzeit liegt aber noch keine Zusammenschlussanmeldung in diesem Zusammenhang vor. Der Fall wird bei uns prioritär behandelt und wir versuchen, hier eine schnelle Lösung zu finden. Insbesondere die Frage der geografischen Marktabgrenzung wird hier von Bedeutung sein. Wahrscheinlich werden auch viele Übernahmen nicht problematisch sein, jedoch versucht die Bundeswettbewerbsbehörde bereits jetzt, sich einen Überblick über die geografische Marktsituation zu verschaffen.

Rainer Will, Geschäftsführer des Österreichischen Handelsverbandes:

Die Konsequenzen sind multipler Natur. Der Handelsverband weist schon länger darauf hin, dass sich die Marktspielregeln ändern und sich 80.000 der 326.100 Stellen im Einzelhandel auch wegen der Online-Marktverlagerungen im Wesen wandeln werden. Auch im minderbetroffenen Lebensmitteleinzelhandel ist dies erstmals spürbar. Entlang der Wertschöpfungskette nehmen natürlich auch die Lieferanten Schaden. Wichtig ist, dass die Politik nun die richtigen Schlüsse ableitet, um einerseits das sich verschärfende Problem des Auslandskaufkraftabflusses zu stoppen und andererseits um kurzfristig die Beschäftigungseffekte für die betroffenen 2.700 MitarbeiterInnen abzufedern.


 

2.Warum ist der österreichische Markt besonders schwierig?

Wolfgang Katzian:

Ich würde nicht unterschreiben, dass der österreichische Markt per se als besonders schwierig gilt. Der Handel ist ein wichtiger Arbeitgeber in unserem Land und viele Player am Markt verdienen extrem gut. Problematisch ist sicher die hohe Konzentration im österreichischen Lebensmittelhandel, der es für Unternehmen von der Größe Zielpunkts sehr schwer gemacht hat, zu bestehen. Man soll aber nicht alle Pleiten im Handel in jüngster Zeit über einen Kamm scheren. Zum Teil waren es wirklich einzelne Managementfehler, die zu Firmenpleiten führten, und keine strukturellen Probleme.

Sarah Fürlinger:

Beim Lebensmitteleinzelhandel handelt es sich um einen sehr konzentrierten Markt, da die drei Marktführer Rewe, Spar und Hofer auf ca. 85 % Marktanteil kommen. Konzentration führt einerseits zu weniger Auswahlmöglichkeiten für Konsumenten und andererseits zu einer erhöhten Abhängigkeit der Lieferanten von den Lebensmitteleinzelhändlern. Diese Situation ist Folge einer Entwicklung seit den 90er-Jahren, in denen einige österreichische Marktteilnehmer vom Markt verschwanden.
Die Bundeswettbewerbsbehörde wurde erst 2002 eingerichtet und hat den Lebensmitteleinzelhandel seit den letzten Jahren im Blickfeld. Neben der Verfolgung von Preisabsprachen gehört hier die Zusammenschlusskontrolle auch zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit.

Rainer Will:

Die Geschäftsdichte im Lebensmitteleinzelhandel ist in Österreich besonders hoch. Es gibt eine historisch gewachsene hohe Konzentration. REWE, Spar und Hofer teilen sich ca. 80 % des Umsatzes. Diese Händler haben bundesweit eine große Reichweite. Für kleinere Lebensmittelhändler ist es schwierig, hier ihre Nische zu finden. Die Expansion von Lidl und die regionale Stärke von MPreis und Unimarkt zeigen aber durchaus auf, wie man am heimischen, stark umkämpften und durch Rabattaktionen geprägten Markt reüssieren kann.


 

3.Wie wird sich der Wegfall eines Konkurrenten auf die Preise auswirken?

Wolfgang Katzian:

Ich denke nicht, dass es wegen der Zielpunkt-Insolvenz zu massiven Auswirkungen kommt. Und als Gewerkschafter sage ich ganz ehrlich, der Erhalt von tausenden Arbeitsplätzen ist mir wichtiger als die Preisentwicklung. Ich denke, dass man da auch volkswirtschaftliche Prioritäten setzen muss.

Sarah Fürlinger:

Es ist nicht auszuschließen, dass es zu Preisanstiegen kommen wird. Das ist eine der Folgen der hohen Marktkonzentration. Die Bundeswettbewerbsbehörde wird die Preisentwicklung im Lebensmittelbereich daher auf jeden Fall im Auge behalten. Das Wettbewerbsrecht räumt der Bundeswettbewerbsbehörde auch die Möglichkeit ein, ein sogenanntes Wettbewerbsmonitoring durchzuführen. Ein solches Monitoring ist im Lebensmitteleinzelhandel durchaus vorstellbar.

Rainer Will:

Ich gehe davon aus, dass aus der Zielpunkt-Insolvenz nicht automatisch ein für die Konsumenten nachteiliger Preiseffekt ableitbar ist. Zielpunkt hatte einen vermeintlich kleinen Marktanteil von 2,8 %, war demnach also kein allzu großer Faktor in der heimischen Struktur des Lebensmitteleinzelhandels (LEH). Dieser Teil des Umsatzkuchens wird sich auf die anderen Anbieter aufteilen. Wir haben in Öster­reich auch höchst erfolgreiche Diskonter, die die klassischen Supermärkte preislich sehr fordern. Die Margen im LEH sind besonders niedrig.

 

 

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