Freitag, April 19, 2024

Die Umsetzung der Klimaziele drängt und Europa muss seine Abhängigkeit von Gas aus Russland für die Wärmeversorgung und den Industriebedarf rasch reduzierten. Doch in welchem Ausmaß ist dies überhaupt möglich? Und welche Alternativen für fossile Energieträger sind im Wärmebereich sinnvoll? Am 27. September wurden die wegweisenden Themenfelder der Wärmewende in Wien diskutiert.

Das Publikumsgespräch des Report fand an einem passenden Ort statt: in der Industrie- und Veranstaltungshalle stage3 im Stadtentwicklungsgebiet »Village im Dritten«. Partner der Veranstaltung, die Martin Szelgrad, Report Verlag, moderierte, waren Wien Energie und ARE Austrian Real Estate.

Die Diskutant*innen:

  • Michaela Deutsch, Leiterin des Geschäftsbereichs Energiedienstleistungen bei Wien Energie.
  • Karsten Schmidt, Geschäftsführer von Ampeers Energy.
  • Alexander Friedrich, Projektmanager Solar bei GASOKOL und Geschäftsführer von 3F Solar Technologies.

Im Kurzvideo zum Event sehen Sie eine Rückschau auf den spannenden Abend: Report Verlag - Youtube

Wie sieht die Energiestrategie von Wien Energie bis 2040 aus? Auf welche Energien und Technologien setzen Sie in der Ablöse der Fossilen?

Michaela Deutsch: Wir können aktuell einen sehr verrückten Energiemarkt beobachten, mit absurden Preisen vor allem im Gasbereich. Wien Energie hat bereits 2021 eine umfangreiche Studie zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands in der Stadt gemacht, die das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 in der Wärmeversorgung unterstreicht. Derzeit haben wir noch einen relativ hohen Gasanteil in der Fernwärme, der bei rund der Hälfte des Energieaufkommens liegt – die andere Hälfte setzt sich aus der Wärme aus den Müllverbrennungsanlagen, der Abwärme aus Biomasseanlagen und Großwärmepumpen zusammen.

Bis 2040 werden wir die Wärmeversorgung mit Tiefengeothermie – bis 2030 werden ungefähr 120 MW Leistung gebaut –, einer stärkeren Nutzung von Abwärme und durch den Einsatz von Großwärmepumpen verändern. Auch setzen wir künftig allgemein auf Wasserstoff und grüne Gase in der zentralen Aufbringung für unser starkes Fernwärmenetz in der Stadt. Trotzdem werden wir nicht ganz Wien an dieses Netz hängen können – wir rechnen mit rund der Hälfte der Raumwärmemarktes. Der Rest muss in anderer Weise dekarbonisiert werden.

Der Ausstieg aus Gas kann die Nutzung von unterschiedlichsten Systemen bedeuten – wenngleich das gerade bei jüngeren Gebäuden, die noch nicht sanierungsbedürftig sind, auch wirtschaftlich schwierig in der Umsetzung ist. Im Neubau verfolgen wir jedenfalls die Strategie, alle an einem Standort vorhandenen Ressourcen so gut wie möglich zu nutzen. Im Stadtentwicklungsgebiet Village im Dritten passiert genau das: Wir kombinieren alle Möglichkeiten, vor Ort Energieressourcen zu nutzen und Gebäude nachhaltig mit Wärme zu versorgen.

Welches Energiekonzept wird in diesem Stadtteil verfolgt?

Deutsch: Wien Energie hat hier gemeinsam mit dem Immobilienentwickler ARE ein klimafreundliches Energieprojekt mit einem großen Erdwärmespeicher und einem lokalen Fernwärmenetz. Rund 500 Tiefensonden werden die Nutzung von Erdwärme ermöglichen. Außerdem bieten sie die Möglichkeit zur Temperierung von Wohnungen und beugen städtischen Hitze­inseln vor. Zusätzlich werden wir maximal mögliche Photovoltaikflächen im Viertel errichten und eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft gründen. Jede Kilowattstunde, die hier lokal erzeugt wird, soll auch am Standort verbraucht werden. Damit wird die Wärmewelt mit der Stromwelt verknüpft. Unsere Berechnungen gehen davon aus, dass bis zu 70 Prozent des vor Ort erzeugten Stroms auch vor Ort verbraucht werden können. Circa 80 Prozent der Heizenergie kann aus lokalen Quellen kommen, der Rest für Heizung und Warmwasser aus Fernwärme.

Ampeers Energy ist eines der beteiligten Unternehmen im Village im Dritten. Worauf ist Ihr Unternehmen spezialisiert?

Karsten Schmidt: Als Software-as-a-Service-Anbieter begleiten wir die Energiewirtschaft entlang der sogenannten »Customer Journey« auf dem Weg zur klimaneutralen Energieversorgung. Wir liefern in der Planungsphase einen technologischen Anlagenmix und Softwarelösungen, um später in der Nutzung etwa Energieflüsse zu monitoren und zu steuern. Darüber hinaus erstellen wir eine Wirtschaftlichkeitsrechnung und bieten verrechenbaren sowie automatisierten Services für die Nutzer*innen. Unser Ziel ist, das perfekte Energiesystem für einen Standort zu finden, das auch nachhaltig Erlöse ermöglicht und damit insgesamt nicht teuer ist.

Mit unserem Energiemanagement, das auf Netzprognosen zum erwarteten Bedarf ebenso wie zum Erzeugungspotenzial basiert, schaffen wir einen optimalen Fahrplan für die Erzeugungsanlagen in einem Quartier. Das System kann dann auch entsprechend gesteuert werden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Das kann etwa eine Refinanzierung von höheren Investitionskosten sein, die ein Errichter oder ein Energieversorger hatte. Dass damit weitgehend CO2-Emissionen reduziert werden, ist natürlich eine gute Sache. Gleichzeitig gibt es einen wirtschaftlichen Nutzen für die Bewohner, da sie sich so zumindest teilweise von den derzeit hohen Energiekosten abkoppeln können.

Welche Rolle kommt der Immobilienwirtschaft künftig bei der Wärmewende zu?

Schmidt: Bei Bauprojekten standen früher die Investitionskosten im Vordergrund, nicht aber die vielen Jahre des Betriebs – das war durchaus eine Herausforderung für eine nachhaltige und auch ökonomische Sicht auf das Produkt Gebäude. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn Immobilien erfolgreich in den Markt gebracht werden sollen, müssen sie nachweislich leistbare Energiekonzepte für ihre Nutzer*innen bereitstellen. Andernfalls ist eine Immobilie nicht mehr liquide am Markt, sie kann nicht mehr weiterverkauft werden. Auch die Energiewirtschaft wird deshalb im Schulterschluss mit der Immobilienbranche auf diese Konzepte setzen.

Ich bin überzeugt, dass unsere gewohnten zentralen Energieversorgungskonzepte – sei es Gas, das zu den Heizgeräten transportiert wird, oder Netzstrom aus einem weit entfernten großem Kraftwerk – in Zukunft nicht mehr wirtschaftlich sein werden. Und sie werden auch nicht mehr die Versorgungssicherheit bieten können. Hier sehe ich auch die Energiewirtschaft weiterhin als perfekten Partner für Stadtplanung und Gebäudeentwicklung.

Alexander Friedrich: Bei allem Optimismus für die Wärmewende, sehe ich die Verzahnung von Invest- und Betriebskosten derzeit noch immer nicht gelöst. Wir haben seit Jahrzehnten dezentrale Energieerzeugung vor Ort, die aber viel zu wenig im Gebäudebestand und in Neubauten eingesetzt worden ist. Es braucht tatsächlich die Verpflichtung dazu, die es immerhin jetzt gibt – auch wenn diese etwas einseitig gestaltet ist. 

Karsten Schmidt (Mitte), Ampeers Energy, bringt Wirtschaftlichkeit in Gebäude, die mit Erneuerbaren versorgt ­werden. Alexander Friedrich, Gasokol, setzt auf das große Potenzial von Solarthermie.

Was wollen Sie mit Ihrem Portfolio bei Gasokol erreichen, Herr Friedrich? Wie sieht Ihr Markt aus?

Friedrich: Der Namen Gasokol setzt sich aus »Gattringer Sonnenkollektor« zusammen. Das Unternehmen baut seit 40 Jahren Solarthermie-Kollektoren in Oberösterreich. Der österreichische Markt mit unseren Produkten zu Solarwärme ist in den letzten Jahren etwas vernachlässigt worden, das ändert sich jetzt aber wieder massiv. Wärme hat einen Preis bekommen und ­Solarthermie wird wieder als ein wichtiger Baustein für die Klimawende insgesamt gesehen. Am europäischen Markt boomen die solarthermischen Kollektoren aktuell stark, da Anlagen gute Förderungen erhalten und einen enormen Beitrag zur Wärmewende leisten. In Österreich fehlt aktuell sicherlich auch eine genügend große Zahl Solar-Installateur*innen, um der Nachfrage und dem Bedarf in den nächsten Jahren nachzukommen.

Wie rasch können wir die Abhängigkeit von Fossilen im Wärmebereich signifikant verringern?

Friedrich: Das lässt sich nicht verlässlich sagen. Aber eines steht fest: Für einen raschen Wandel im Wärmebereich braucht es die Vernetzung aller Akteure – Industrie, Hersteller und Dienstleister. Nur so werden wir die Ziele erreichen, die sich Österreich auch politisch gesetzt hat.

Deutsch: In Wien gibt es das klare Ziel, bis 2040 Gas in der Raumwärme vollständig abzulösen. Es ist eine Bärenaufgabe, die aber machbar ist, wenn im Schulterschluss alles dafür getan wird. In der Stadt heizen knapp eine halbe Million Haushalte mit Gas. Wien Energie prüft bis Ende des Jahres gemeinsam mit der Stadtverwaltung mögliche Ausbaugebiete für die Fernwärme. Wir analysieren, wo wir das Netz verdichten oder erweitern können – aber auch, wo es nicht ausgebaut werden wird. 

Auf welche Hürden und Herausforderungen treffen Sie bei diesem Vorhaben?

Deutsch: Man wird sicherlich auch Gesetze für einen vorgeschriebenen Umstieg schaffen müssen – ganz ohne Rahmen wird es in manchen Fällen nicht funktionieren. Auch ich sehe die Herausforderung bei Maßnahmen für die Energieeffizienz, dass in vielen Fällen der Immobilienbetreiber nicht derjenige ist, der die Energiepreise zahlen muss. Dem oder der einzelnen Mieter*in oder Wohnungseigentümer*in wäre bereits der Umstieg wichtig, sie oder er hat aber meist nicht die Möglichkeit der Umrüstung. Wir werden Geschäftsmodelle brauchen, die eine Win-win-win-Situation für alle Parteien bedeuten und die so die Wärmewende zu einem Selbstläufer machen.

Michaela Deutsch hat eine Riesenaufgabe: Die Umstellung der Wärmeversorgung der Haushalte in Wien.

Auch haben wir aktuell aufgrund der globalen Situation mit Lieferschwierigkeiten bei allen Arten von Komponenten bei Projekten zu kämpfen. Um ein Beispiel zu nennen: Bei einer Heizungsanlage braucht man ein Ausdehnungsgefäß, mit früher Lieferzeiten von sechs bis acht Wochen. Heute sind es 26 Wochen. Es gibt Engpässe bei Regelungskomponenten oder bei Stahlrohren. So ist es schwierig, Zeitpläne bei großen Bauprojekten einzuhalten. Man kommt damit in der Bauausführung von den üblichen Standard-Prozessen, die eigentlich längst Routine sind, ständig ins Troubleshooting. Um diese Riesenaufgabe zu schaffen, brauchen wir auch eine Ausbildungsoffensive in Österreich, und viele weitere Arbeits- und Fachkräfte. Aber ich glaube fest daran, dass wir das gemeinsam schaffen werden.

Was hält die Immobilienwirtschaft heute noch davon ab, in aus Energiesicht ganzheitlichere Projekt zu investieren?

Schmidt: Vielfach ist es tatsächlich das Wissen um die Möglichkeiten. Viele Verantwortliche hängen noch an einem traditionellen Verhalten und Handeln fest. Wenn man eine dezentrale Energiewende im Gebäude selbst umsetzen will, muss man gewerkeübergreifend denken. Denn 70 Prozent der CO2-Emissionen stammen letztlich von der Wärmeseite. Wenn nun Fernwärme an einem Standort nicht möglich ist, muss die Wärmeversorgung elektrifiziert werden oder man setzt auf Solarthermie. Das Problem ist nur: Bei einer elektrisch betriebenen Wärmepumpe kann – wenn der Strom mit einem klimaschädlichen Energiemix aus dem Netz kommt – der CO2-Abdruck eines Gebäudes sogar steigen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, den Strom lokal zu erzeugen, etwa mittels Photovoltaik. Das bringt auch Kostenvorteile, denn Strom aus einer lokalen Anlage ist deutlich günstiger und damit alternativlos.

Wie werden kombinierte Modelle und auch Geschäftsmodelle dazu aussehen?

Schmidt: Um Wärmeerzeugung und Photovoltaik zusammenzubringen, fallen mir ad hoc drei bis vier Gewerke ein, die man dazu gemeinschaftlich denken und anbieten muss. Auf welches Dach in der Stadt passt wirklich eine PV-Anlage, wie sieht die Tragkraft aus? Dann brauchen wir bei Wärmepumpen geringere Vorlauftemperaturen. Dazu muss der Boiler angeschaut werden, es werden wahrscheinlich Dämmungen notwendig sein. Das ist schon bei einem einfachen Hauseigentum eine Herausforderung, bei einem Zinshaus mit vielen Parteien ist das noch weitaus komplexer. Hier sind Profis gefragt, die ein Projekt ganzheitlich begleiten können.
Immobilien werden künftig auch nicht mehr in einem energetischen Inselbetrieb, sondern in einem Cluster funktionieren. Das erfordert standortbasierte Konzepte, die dann möglichst auch in Serie gebaut werden. 

Auf welchen Gebäuden eignen sich Solarkollektoren am ehesten? Wie sieht es mit dem Einsatz bei gewerblichen Kunden aus?

Friedrich: Solarthermie ist überall dort wirtschaftlich, wo es einen Wärmebedarf bei den Nutzer*innen gibt. Das ist im Wohnbau der Fall, genauso wie bei Gewerbe- und Industriekunden. Ein Bauunternehmen in Oberösterreich setzt zum Beispiel 1.500 m² Solarthermie-Kollektoren für die Trocknung von Betonfertigteilen und Bauteilaktivierung einer Hallenbeheizung ein. Wir helfen dort seit 2014, Gas einzusparen und Emissionen zu reduzieren. Auch in der Hotellerie benötigen Unternehmen ständig Warmwasser. Lokale Wärmenetze können in den Sommermonaten bis zu 100 Prozent des Wärmebedarfs aus Solarkollektoren liefern.

Die Amortisationszeiten sind sehr gut, auch wenn die Anlagenpreise in der letzten Zeit etwas gestiegen sind – sie liegen bei etwa acht Jahren, je nach Wärmepreis. Die Energieeffizienz einer Solaranlage liegt bei rund 80 Prozent. Die Effizienz bei Photovoltaik für die Stromerzeugung beträgt im Vergleich nur zirka 20 Prozent. Ich schaffe damit auf der gleichen Fläche das bis zu Vierfache an Energie-Output. Auf 200 m² am Dach eines Zinshauses lassen sich mit Solarthermie jährlich 110.000 kWh Wärme erzeugen. Das würde, wenn man es großflächig in der Stadt auf Dächern und Fassaden umsetzt, einen neuen Hebel in der lokalen Energiegewinnung bringen.

(Bilder: iStock, Milena Krobath)

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