Sonntag, Mai 19, 2024

Werner Knausz, Vorstand der Altstoff Recycling Austria AG (ARA), über Marktveränderungen bei der getrennten Müllsammlung bei den Haus­halten und neue Chancen in Services für ­Geschäftskunden.

(+) plus: Bei Sammel- und Recyclingsystemen von Verpackungen hat der Wettbewerb im Vorjahr auch im Bereich der Haushalte Einzug gehalten. Was hat sich dazu für den ehemaligen Monopolisten ARA geändert? Wie ist es Ihnen ergangen?

Werner Knausz: Die Sammel- und Recyclingsysteme in Österreich agieren im Gewerbebereich bereits seit 1997 in einem liberalisierten Markt. Wettbewerb ist für uns also nichts Neues. 2015 ist für die ARA ein erfolgreiches und dennoch kein leichtes Jahr gewesen. Aufgrund der veränderten Rechtslage mussten wir 20.000 neue Verträge mit unseren Partnern und Kunden abschließen. Dies war relativ kompliziert, da ja nicht nur unser System, sondern auch die Systeme von rund 250 Kommunen und 150 Entsorgungsunternehmen, die ihre Mengen an uns melden, umgestellt werden mussten. Im Haushaltsbereich ist jetzt auch eine Aufteilung der Mengen aliquot der Anteile aller Mitbewerber nötig. Bringt ein lokales Sammelunternehmen 1.000 Tonnen ein, so wurde bisher darüber einfach eine Rechnung an die ARA gestellt. Neu ist, dass nun alle Systembetreiber dazu abhängig von ihrer Marktgröße eine Rechnung erhalten – auch wenn sie vielleicht lediglich 1 % des Marktes haben.

Es wird uns hoch angerechnet, dass die ARA hier proaktiv mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung allen Beteiligten geholfen hat – vom Ministerium angefangen bis zur neu gegründeten Verpackungskoordinierungsstelle und unseren Mitbewerbern. Wir haben dazu unsere IT-Systeme geöffnet und Einblick über alle von den Kommunen und Entsorgern eingespielten Mengen gewährt. Wir schätzen, dass sich die ARA trotz der nun schon längeren Liberalisierung im gewerblichen Bereich bei 75 bis 80 % Marktanteil einpendeln wird, und wir sind zuversichtlich, nach dem ersten Jahr 80 %, eher sogar mehr im Haushaltsbereich zu erreichen.Die Umsetzung der neuen Verpackungsverordnung hat gezeigt, dass sie lebensfähig ist. Ob dies auch für alle Marktteilnehmer gilt, wird sich zeigen. Der Gesamtmarkt ist etwa 180 Millionen Euro schwer. Ob das für vier bis fünf Marktteilnehmer ausreicht, wird man sehen.

(+) plus: Was hat sich für die Konsumenten geändert? Mit der Öffnung der Systeme im Haushaltsbereich gab es die Befürchtung, die hohen Sammelquoten in Österreich zu verlieren – wie es etwa in Deutschland vor einigen Jahren passiert ist.

Knausz: Eines der Ziele der Marktöffnung war von Anfang an jenes, dass die Konsumenten vom neuen Wettbewerb unter den Systembetreibern nichts bemerken. Genau das ist auch eingetreten, indem alle Systembetreiber zusammen auch 2015 das sehr hohe Niveau von 2014 halten werden.

(+) plus: Sehr wohl hat es aber eine spürbare Veränderung bei der Öko-Box gegeben, deren Sammlung teilweise eingestellt worden ist.

Knausz: Der Hintergrund dazu ist leicht erklärt: Bis einschließlich 2014 agierten die ARA und das Öko-Box-System im Bereich der Entpflichtung für Getränkeverbundkartons in Konkurrenz zueinander. Mit der Übernahme der Öko-Box 2014 konnten wir diese Doppelgleisigkeiten in Kärnten, der Steiermark und in Teilen Niederösterreichs beseitigen. Es sind einige kritische Bereiche übriggeblieben, wie in Kärnten das Projekt pro mente, in dem es um rund zehn geschützte Arbeitsplätze geht. Dafür wurde zumindest eine Übergangszeit von einem Jahr gefunden, um diesen Abbau etwas abzufedern. Die ARA hat in Kärnten die Mitbenutzung des Gelben Sacks und der Gelben Tonne für Getränkeverbundkartons auch wissenschaftlich begleitet getestet. Fazit: Wir sammeln heute nicht nur 12 % mehr Verbundkartons, sondern diese auch in einer besseren Qualität. Es ist einfacher und bequemer geworden, denn den Gelben Sack oder die Tonne hat jeder in Reichweite seines Hauses. Die gemeinsame Sammlung ist natürlich wesentlich effizienter. Bis spätestens Mitte dieses Jahres wird die Öko-Box auch in allen anderen Bundesländern außer Wien von der Bildfläche verschwunden sein.

(+) plus: Was ist in Wien anders?

Knausz: Die Dichte der Öko-Box-Sammlung ist in Wien am höchsten, gleichzeitig ist die Dichte der Leicht verpackungssammlung, der Gelben Tonne, am geringsten. Es wird zwar gerade begonnen, in den Außenbezirken aufzustocken – bei einem abrupten Abbruch der Öko-Box-Sammlung wären die Sammelmengen aber sicherlich eingebrochen. Es wird hier gemeinsam mit der MA48 für die Zukunft eine andere Lösung gesucht – bis dahin bleibt aber die Öko-Box bestehen.

(+) plus: Warum werden in Wien ausschließlich Plastikflaschen gesammelt, während in anderen Bundesländern bis zum Käsepapier alles gesammelt wird?

Knausz: Rein ökonomisch gesehen könnte man ganz Österreich sofort auf die reine Sammlung von Plastikflaschen umstellen. Sie bietet die beste Sammelqualität, die größte Ausbeute im Recycling und dadurch die geringsten Kosten. Doch folgen wir nicht nur ökonomischen, sondern auch ökologischen Zielen. Diese besagen, dass wir in der Sammlung mindestens 30 % der gesamten im Umlauf befindlichen Plastikverpackungen recyceln müssen. Mit der Plastikflaschenfraktion alleine wäre das nicht machbar. Klarerweise ist das gerade in Regionen mit unterschiedlichen Sammelsystemen für manche schwer verständlich. Wenn einer in Mödling wohnt und nach Wien in die Arbeit fährt, so muss er mit seinem Müll in Wien anders umgehen als zu Hause.

Werner Knausz, ARA: »Es ist uns hoch angerechnet worden, bei den vielen Fragen zu Neuerungen in der Regulierung zu unterstützen und zu informieren.«

(+) plus: Wie fortgeschritten ist die Verpflichtung der großen internationalen Onlinehändler wie Amazon oder Zalando?

Knausz: Diese Trittbrettfahrer agierten in der Vergangenheit auf Kosten des heimischen Handels, der ordnungsgemäß seine Entsorgungsbeiträge leistete. So forderte gerade der Elektrohandel hier energischer vorzugehen und diese Unternehmen – viele davon haben ihren Sitz in benachbarten EU-Ländern – in die Verantwortung zu nehmen. Ein Schreiben aus dem Umweltministerium an diese Unternehmen hat dann doch etwas bewegt. Die Großen haben nun Verträge abgeschlossen – zwar nicht mit uns, aber zumindest mit einem Mitbewerber. Offen für mich ist noch, ob dazu bereits auch Geld geflossen ist. Die neu gegründete Verpackungskoordinierungsstelle hat den Auftrag, 80 % aller Unternehmen, die Verpackungen in Umlauf bringen, innerhalb der nächsten drei Jahre zu prüfen. Allerdings soll dies per Definition nur neutral auf Basis eines Zufalls­prinzips passieren. Wie damit aber die relevanten Unternehmen mit kritischen Größen – um die es ja letztlich geht – zeitgemäß erfasst werden sollen, wird sich noch zeigen.

Ein wirklich guter Wurf war meiner Ansicht nach die jüngste Abgrenzungsverordnung, welche die Kategorisierung in Haushalts- und Gewerbeverpackungen regelt. Hier muss man dem Umweltministerium wirklich gratulieren, die Verordnung hat Früchte getragen. Durch die Novelle wird bei den Haushaltsverpackungen unseren Schätzungen nach die Quote der Trittbrettfahrer von rund 10 % auf 7 bis 8 % sinken. Das bedeutet gesunkene Kosten von 4 Mio. Euro jährlich. Gegengerechnet mit den Umstellungskosten wirkt sich das wieder positiv auf die Tarife aus.

(+) plus: Was wird sich heuer aus Ihrer Sicht Wesentliches ändern?

Knausz: Wir haben uns mit der Gründung des Vertriebs- und Dienstleistungsunternehmens ARA plus bereits 2013 strategisch neu aufgestellt. Wir wollen in unserer Rolle als ehemaliger Monopolist nicht gegen Veränderungen mauern, sondern auch bei Verlusten im Kerngeschäft mit einer Serviceoffensive und neuen Dienstleistungen insgesamt wachsen. In diesen Profitbereichen haben wir uns die Ziele sehr hoch gesteckt. Eine neue Serviceleistung wäre etwa, in einem produzierenden Unternehmen nicht wie früher im Hinterhof, sondern bereits an der Produktionsmaschine zu stehen und dort den Müll entgegenzunehmen. Vorteil ist, den Müll an dem Ort, an dem er anfällt, besser trennen zu können. Bei einem Kunden konnten wir so eine Restmüllreduktion von 84 % und selbstverständlich damit einhergehende niedrigere Kosten erreichen.

Gemeinsam mit unseren Kunden entstehen ständig neue Ideen. So sind etwa einem Hersteller von hochpreisiger Qualitätsmarmelade die Kosten eines zerbrochenen Glases in seinen Prozessen relativ egal. Relevant aber ist sein wertvoller Inhalt. Wenn es also in einer Abfüllanlage ein Problem mit den Marmeladegläsern gibt, können wir frühzeitig darauf hinweisen und der Kunde kann seine Prozesse optimieren. Vom »Tail-end« zurück in die Produktion Informationen zu leiten, ist ein völlig neuer Ansatz. Ich bin überzeugt, dass wir hier reüssieren können. Denn: Im Zuge einer solchen Tätigkeit ist man tief in den Produktionsanlagen beim Kunden drinnen. Das erfordert natürlich größtes Vertrauen, und das haben wir bei rund 15.000 Kunden seit 22 Jahren.

Unser Ziel ist es, die ARA und unseren Service in den nächsten Jahren nun so umzubauen, dass ein Kunde bei einem Problem im Entsorgungsbereich, im Outsourcing oder in der Lagerbewirtschaftung uns als Problemlöser sieht und kontaktiert. Den Rest erledigen wir, und der Kunde kann sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren.

Sammel-Bilanz 2015

Einer ersten Hochrechnung der ARA zufolge konnten im Vorjahr 1,05 Mio. Tonnen Verpackungen und Altpapier aus Haushalten erfasst werden. Altpapier wird in Österreich am fleißigsten gesammelt: 646.000 Tonnen Papier waren es 2015. 156.000 Tonnen Leichtverpackungen wurden gesammelt, rund 29.000 Tonnen Metallverpackungen und 220.000 Tonnen Glas.

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