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Ethik: »Wirtschaftswachstum sollte neu definiert werden«

Ethik: »Wirtschaftswachstum sollte neu definiert werden« Foto: iStock

Der in Wien ansässige Verein ValEUR kurbelt die Wertediskussion in der Wirtschaft und Gesellschaft an. Ziel ist die Besinnung auf Nachhaltigkeit und Ethik auch in unserem Konsumverhalten.

Was wollen wir überhaupt? Was ist in unserem Leben wirklich wichtig? Franck Runge ist in der Unternehmens- und Personalberatung tätig. Seit Jahren beobachtet er, wie gut bezahlte Manager und Arbeitnehmer trotz wirtschaftlichen Erfolgs in Sinnkrisen schlittern. »Quartalsgetriebenes Konzerndenken, grenzenloses Wachstum, gleichzeitig Kosteneinsparungen und Personalabbau – viele wissen, dass sich etwas ändern muss. Es herrscht Handlungsbedarf«, spricht Runge von einem brennenden Thema auf vielen Ebenen. In einer vom Überfluss an Gütern und Informationen geprägten Gesellschaft geraten viele Menschen an einen Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht – Burnout. Gibt es eine allgemeine gültige Definition des Sinns des Lebens? Das sei jene Fragestellung, die am schwierigsten zu beantworten ist, bekennt Runge. Der gebürtige Franzose, der seinen Lebensmittelpunkt in Wien gefunden hat, möchte mit der Plattform ValEUR praktische Hilfestellungen bei dieser Suche bieten – mit Beispielen aus der unternehmerischen ­Praxis.

Gemeinsam mit den Vorstandsmitgliedern des Vereins, Denise Dall’Olio-Lang, Cosimo Zaccaria und Hans-Georg Mayer, hat sich Franck Runge aufgemacht, Irrwegen unserer Konsumgesellschaft – Ressourcenverschwendung, Ausbeutung und Umweltzerstörung – entgegenzusteuern. Designerin Dall’Olio-Lang ist Geschäftspartnerin in der Unternehmensberatung, Gastronom Zaccaria ist Geschäftsführer der Restaurants Cantinetta Antinori und Procacci in der Wiener Innenstadt, und Mayer leitet die PR-Agentur Milestones in Communication. Sie und weitere Unternehmenspartner an Bord vereint die Überzeugung, dass Produkte und Dienstleistungen auch nachhaltig produziert respektive erbracht werden können – in hoher Qualität, mit lokaler Wertschöpfung und ganz ohne Ausbeutung von Menschen.

»Der Hebel für Veränderungen ist die Wirtschaft«, weiß Runge. Auch das Erfolgsprojekt Europäische Union sei zunächst als ökonomisch getriebene Gemeinschaft für Kohle und Stahl der Staaten Frankreich, Deutschland und Benelux entstanden. Ein weiteres Ziel war, künftige kriegerische Konflikte in Europa zu verhindern. »Mit ValEUR sprechen wir über Begriffe wie Humanismus, Toleranz, Frieden, Freiheit, Vielfalt und Nachhaltigkeit. Europa ist Vielfalt – Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der Regionen und auch der Wirtschaft.« Man sieht nun eine Wertediskussion von Konsumenten und Unternehmen als dringend notwendig an.

Frage nach Vertrauen

Welchen Wert haben Unternehmen? Welche Werte werden mit Produkten kommuniziert? Welches Vertrauen haben Menschen in diese Werte? In einer durch weltweite Wertschöpfungsketten komplex gewordenen Wirtschaft ist gerade die wechselseitige Beziehung von Vertrauen und Werten wichtig. Der technische Fortschritt verur­sacht bei vielen auch Ängste und Blockaden. Der Mensch ist ein emotional geprägtes Lebewesen, entsprechend fallen Kaufentscheidungen aus. »Es gilt also Anreize zu schaffen, um Konsumenten zu einem nachhaltigeren Lebensstil und ethischem Verhalten zu motivieren«, weiß Runge. Ethik ist auch in der Technik ein Thema, beispielsweise bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz. Durch disruptive Geschäftsmodelle stehen Jahrzehnte bewährte Berufsstände vor dem Aus – Stichwort »Uberisierung«. Die Welt entwickelt sich immer schneller, dessen ist man sich auch bei ValEUR bewusst. Also sollten die Veränderungen im gesellschaftlichen Zusammenleben, in Unternehmen bis hin zum engsten Kreis der Familie, aufgezeigt und begleitet werden.

Runge setzt sich als Ziel, mindestens ein Unternehmen aus jeder Branche an Bord des Vereins zu bekommen, um die Wertediskussion aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu beleuchten – und das nicht nur in Österreich. »Wir sind in unserer Unabhängigkeit an niemanden gebunden und bringen mit Veranstaltungen diese Auseinandersetzung in den Blickpunkt«, erklärt auch Vorstandskollege Hans-Georg Mayer. Auf Fassaden klettern, wie es Umweltorganisationen mitunter tun, wollen die beiden nicht. Aber man möchte das Thema in die Vorstands­etagen bringen. Sie verweisen auf ein Netzwerk von 2.700 Führungskräften. Auch der Besuch eines Spargelbauern im Marchfeld oder das Verkosten von Speiseölen standen bereits auf dem Programm. Es sind oft die kleinen Informationen zur Herkunft von Produkten, zu den Lebensumständen von Menschen oder zu einer natürlichen Verarbeitung, die ein Umdenken bewirken. »Dass die Weltwirtschaft bedingungslos wachsen muss, ist ein Trugschluss und ein Fehler. Wirtschaften geht auch anders.«


Social Business

Beispiele für Unternehmen, die gewinnorientiert auch mit ­nachhaltigen und sozialen Zielsetzungen erfolgreich wirtschaften.

1. AfB: Arbeit für Menschen mit Behinderung. Das gemeinnützige Unternehmen übernimmt ausgemusterte IT-Hardware von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Die Hardware wird aufbereitet, die Geräte anschließend mit Garantiezusage wiederverkauft. Mit diesem zweiten Leben für IT-Geräte werden CO2 und wertvolle Rohstoffe gespart. Gegründet 2004 in Deutschland, ist AfB neben Österreich heute in der Schweiz und Frankreich tätig. Die Hälfte der Mitarbeiter sind Menschen mit Behinderung, die durch dieses Konzept einer hochwertigen Beschäftigung nachgehen können.

2. R.U.S.Z: Reparatur und Service. Das Reparatur- und Service-Zentrum R.U.S.Z bietet Reparaturdienstleistungen an und ist für KonsumentInnenschutz und Nachhaltigkeit auch politisch tätig. Der Mechatroniker-Fachbetrieb mit Geschäftsstellen in Wien und Graz schafft Jobs für langzeitarbeitslose Menschen und bildet diese zu SpitzentechnikerInnen aus. R.U.S.Z war Initiator des ReparaturNetzWerks Wien, des Österreichischen Dachverbandes einschlägiger sozialwirtschaftlicher Betriebe RepaNet und des EU-Dachverbandes RREUSE. Letzterem ist es gelungen, die Themen Reparatur und Wiederverwendung in der Elektroaltgeräterichtlinie und Abfallrahmenrichtlinie prominent zu platzieren.

3. Specialisterne: Vermittlung und Ausbildung. Specialisterne wurde in Dänemark gegründet und setzt sich auch in Österreich zum Ziel, möglichst viele Menschen aus dem Autismus-Spektrum auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Ihre Fähigkeiten wie etwa die bemerkenswerte Hingabe zum Detail und die Erkennung von Unregelmäßigkeiten werden herausgearbeitet und gefördert und Unternehmen zugänglich gemacht – in Form von Praktika, gemeinnütziger Arbeitskräfteüberlassung, Werkverträgen oder Fixanstellungen.

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