Der europäische Energiemarkt erfordert ein neues Design – aber nicht um jeden Preis. Alstom will dafür effiziente Komponenten liefern können, ungeachtet ihrer Größe.
Von Clemens Rosenkranz aus Kiel
Ohne eine umfassende und tiefgreifende Reform an Haupt und Gliedern des bestehenden Strommarktmodells in Deutschland ist die Energiewende zum Scheitern verurteilt, warnt Oliver Bettzüge, der Leiter des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) der Universität Köln. Der massive Zuwachs der Erneuerbaren erfordere ein komplett neues Marktdesign, sagte der Berater der deutschen Regierung in Energiefragen auf der alljährlichen technischen Medientagung des deutsch-französischen Energie- und Transportriesen Alstom in Kiel. Bettzüges Credo: Es braucht eine langfristig angelegte Energiestrategie, die eine ausgewogene ordnungspolitische Handschrift trägt und sinnvoll in einen umfassenden, europäischen Ansatz eingebettet ist.
Bettzüges Referat sorgte für Aufsehen, musste aber auch Kritik einstecken, weil der leidenschaftliche Vortrag zwar die Schwachstellen des derzeitigen Systems schonungslos offenlegte, aber keine konkreten Lösungen anbieten konnte oder wollte. Das nährte Zweifel, ob der EWI-Professor bei der Berliner Regierung überhaupt Gehör findet.
Der Kölner Energieexperte meint, dass die öffentliche Diskussion zum Thema oft an der Sache vorbeigehe und auf Randbereiche fokussiere. So werde die Bedeutung des Strombereichs innerhalb des Gesamtkomplexes Energie überschätzt. Weiters werde bei Fragen zu Energiepolitik und Energiewende die Bedeutung der Technologie überschätzt und die Bedeutung der Wirtschafts- und Ordnungspolitik unterschätzt. »Technologien werden nicht von Politikern entwickelt, sondern von Unternehmen, und die brauchen einen Ordnungsrahmen«, so Bettzüge.
Zukunftsfähiges Design
Er meint zu wissen, wohin die Reise gehen muss: »Das neue Marktdesign muss zukunftsfähig, stabil und berechenbar sein, denn es geht um langfristige Kapitalbindung.« Genau das sei aber heute nicht der Fall: »Die politische Ebene macht die größten Probleme bei der Energiewende. Wir haben in Deutschland keine Balance zwischen konkurrierenden politischen Zielen und keinen Ordnungsrahmen. Keine politische Partei hat in Sachen Energiepolitik ein zukunftsfähiges Konzept«, so der Rundumschlag von Bettzüge. Es gebe heute bloß eine Sammlung nicht genau definierter Ziele (Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit), die in sich nicht so schlüssig begründet seien, dass sie robust gegen weitere Entwicklungen gerade jenseits der Grenzen wären. Wir haben Ziele, aber keine Konzepte«, diagnostiziert der EWI-Professor. Wie unvollständig, unausgewogen und unausbalanciert die Vorgaben seien, liest er daran ab, dass zwar das deutsche Erneuerbaren-Ziel für 2020 bei 35 Prozent liege, bei einer Addition der Ziele der 16 Bundesländer komme man aber auf 50 Prozent.
Ohne Rücksicht
Zweitens müsse man das Thema europäisch und nicht rein national anpacken. Wenn Deutschland die Energiewende alleine und ohne Rücksicht bzw. Koordination mit anderen Ländern übers Knie brechen wolle, dann müsse die Bundesrepublik aus der EU austreten, so der Experte. »Die Energiewende ist nicht die Förderung der Erneuerbaren in Deutschland um jeden Preis. Das wird Deutschland so nicht durchhalten können«, warnt Bettzüge. Fakt ist, dass Energie- und Klimapolitik durch europäische Vorgaben und Richtlinien determiniert sind, und gerade in Sachen CO2-Emissionen verhandelt die EU ja als Einheit. Den Ordnungsrahmen in Sachen Energie auf Deutschland zu beschränken, liege im Interesse jener Gruppen, die von der Fortschreibung des Status quo am meisten profitieren würden. Bettzüges Argumentation: Wenn Erneuerbare in naher Zukunft wettbewerbsfähig sind, dann sind sie das nicht nur in Deutschland, sondern überall. Und in einem europäischen Wettbewerb sind die deutschen Wind und Sonnenstandort nicht mehr konkurrenzfähig. Denkt man diese Aussage logisch weiter, dann ist es von europäischer Warte gesehen unerheblich, wo Windräder und PV-Paneele stehen, solange es die besten Standorte sind.
Das EEG (Erneuerbare Energie-Gesetz) habe neben einer ungerechten Verteilung der auflaufenden Mehrkosten noch eine weitere ordnungspolitisch ungesunde Nebenwirkung: »Energiepolitik darf nicht als Instrument der Verteilungspolitik missbraucht werden«, so Bettzüge. Denn einmal gewährte Subventionen seien nur sehr schwer zu entwöhnen. Als Beispiel dafür nannte er die deutschen Steinkohlesubventionen, die volumsmäßig zwar geringer waren als jene für die Erneuerbaren, aber dennoch 50 Jahre gehalten haben. Sie laufen 2018 aus. »Sie wurden erst dann ernsthaft abgeräumt, als der Druck aus Europa so groß war, dass man nicht umhinkam, es zu tun«.
Ohne den Abbau von Subventionen (nicht nur in Deutschland) werde es nicht gelingen, am europäischen Strommarkt gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle zu schaffen. Bettzüge hält es darüber hinaus grundsätzlich nicht für sinnvoll, Fördermittel technologiespezifisch (wie heute explizit für Wind- oder Sonnenenergie) zu vergeben, denn der Staat hafte ja auch nicht für diese Technologie, sondern die Investoren müssten die Risiken einer bestimmten Technikwahl schultern.
INFO: Stahlkoloss als schwimmendes Umspannwerk
Stolz präsentiert Alstom im Kieler Hafen die gerade in Bau befindliche Umspannplattform für den Windpark Baltic 2. Der Stahlkoloss ist 40 mal 40 Meter lang und 15 Meter hoch, das Gesamtgewicht beträgt stolze 5.000 Tonnen. Die Anlage füllt die Fertigungshalle – sie hat die Dimension eines vierstöckigen Wohnblocks – fast zur Gänze aus. Eine kleine Armada von Fachkräften ist gerade dabei, die aus zahllosen Stahlteilen bestehende Plattform zusammenzuschweißen. An den ersten von fünf Hauptblöcken, der kürzlich aus der Fertigungshalle gehoben und im Trockendock der Werft abgesetzt wurde, sieht man Arbeiter emsig an der Endmontage werken.
Die fertige Umspannplattform schwimmt ungeachtet der Dimensionen und des Gewichts von alleine. Das spart Transportkosten und vereinfacht die Installation: Das Oberteil ihres Fundamentes bringt die Plattform nach innen eingefahren mit und fährt es dann selbst auf das vorinstallierte Unterteil, das auf in den Meeresboden gerammten Stützen ruht.
Alstom liefert die elektrotechnische Ausrüstung der Plattform und WeserWind ist zusammen mit der Nobiskrug-Werft für den Stahlbau verantwortlich. Errichtet wird Baltic 2 im Auftrag der Energie Baden-Württemberg (EnBW), sie soll Ende 2014 in Betrieb gehen. Von der Umspannplattform wird der von Windrädern gewonnene Strom über unter Wasser verlegte Wechselstromkabel an die Küste transportiert und dort ins deutsche Netz eingespeist. Baltic 2 ist um Dimensionen größer als der bereits laufende ersten Offshore-Windpark der EnBW in der Ostsee: Es hat knapp ein Drittel größere Windräder, ist viermal so groß wie Baltic 1 und erzeugt sechsmal so viel Strom. Zugleich ist die Anlage mit 32 Kilometern doppelt so weit von der Küste entfernt. Beide Anlagen liegen nördlich der Insel Rügen in der Ostsee. Bei Baltic 1 ist Alstom nicht zum Zug gekommen, den Auftrag für die Umspannplattform erhielt der Rivale ABB aus der Schweiz.