Freitag, Mai 10, 2024
»Sehen unterschiedlichste Reifegrade dieser Technologien«
Foto: Fujitsu

Wilhelm Petersmann, Vice President und Managing Director Austria & Switzerland bei Fujitsu, über das Potenzial von Distributed-Ledger-Technologien für die Energiewirtschaft und Industrie.

Report: Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich Blockchain- oder Distributed-Ledger-Technologien – kurz DLT – für die Energiewirtschaft?

Wilhelm Petersmann: Sie revolutionieren die Art und Weise, wie Verbraucher und Unternehmen Waren und Dienstleis­tungen kaufen, verkaufen und verteilen. Auf Basis der Technologie werden völlig neue Geschäftsmodelle ermöglicht, die sich im Bereich Services und der produzierenden Industrie, aber auch in der Energiewirtschaft implementieren lassen. Besonders im Energiebereich lässt sich aktuell ein Digitalisierungs- und Automatisierungsschub feststellen, der eine intelligente Steuerung der Energieproduktion- und Nachfrage zum Ziel hat.

Das Potenzial der Blockchain-Technologie ist vielfältig: Zwischen Verbraucher und Produzenten können Peer-2-Peer-Netzwerke entstehen, die ohne Vermittler in Form von Energieversorgern auskommen. Transaktionen können über Smart Contracts automatisiert und sicherer gemacht werden. Die Blockchain eröffnet ebenfalls eine bisher nicht gekannte Transparenz: Smarte Messgeräte können für Aufzeichnungs- und Herkunftszertifikate genutzt werden, die fälschungssicher Auskunft über den Erzeugungstyp sowie einen Nachweis auf die Herkunftsregion geben können.

Report: Welchen Mehrwert können diese Technologien der produzierenden Industrie bringen?

Petersmann: Die Technologien sind aufgrund ihrer Vorteile in Bezug auf Verifikation und Transparenz für die Fertigungsindustrie von besonderem Interesse. Hersteller bilden anspruchsvolle, komplexe Lieferketten – Supply Chains – mit einer Reihe von Feinheiten, die Transparenz und Verantwortlichkeit herausfordernd machen können. Da DLTs Daten unveränderlich speichern können, kommen als mögliche Einsatzszenarien sogenannte Audit Trails in Frage. Sie werden genutzt, um die Vollständigkeit und Korrektheit komplexer Prozesse auditierbar zu dokumentieren. Herausforderungen bestehen auch, wenn es um die Logistik und den Versand neuer Geräte und Ersatzteile geht.

Dies gilt insbesondere, wenn Hersteller von einem transaktionalen Modell des After-Sales-Service, bei dem ein Serviceteil ersetzt wird, nachdem es bereits ausgefallen ist, zu einem subskriptionsbasierten Modell übergehen, das sich auf die Maximierung der Produktverfügbarkeit konzentriert. In diesem Fall nutzen die Hersteller IoT und Predictive Analytics in ihrer Ersatzteil-Lieferkette, um Geräte proaktiv zu reparieren, bevor sie überhaupt ausfallen. Blockchain kann einen besseren Einblick in diesen Prozess bieten, da es einer gesamten, globalen Dienstleistungslieferkette ermöglichen würde, nachzuweisen, wann und wo sich Teile bewegen, um sicherzustellen, dass die Reparatur »just in time« durchgeführt wird.

Report: Gibt es bereits Anwendung in der Praxis, die über reine Pilotprojekte hinausgehen? Wie sehen diese aus respektive wo werden diese zuerst zu sehen sein?

Petersmann: Die unterschiedlichen Distributed-Ledger-Technologien haben unterschiedliche Reifegrade und die Akzeptanz dieser neuartigen Konzepte in Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft wird sich schrittweise weiterentwickeln. Entscheidend für den operativen Einsatz ist dabei auch, dass die Gesetzgebung Rechtssicherheit bei diesen neuen Ansätzen gewährleistet.

In der produzierenden Industrie, wo die Kenntnis des Status und des Zustands jedes Produkts in der Lieferkette, von den Rohstoffen bis zur Distribution entscheidend sind, versprechen Distributed Ledger-Technologien etliche Vorteile. Diese umfassen unter anderem die weitere Steigerung der Qualität der Produkte als auch Kosteneinsparungspotenziale. Aber auch die gezielte Öffnung der hinterlegten Informationen für weitere Teilnehmer führt zu weiteren Möglichkeiten, wie sich Anbieter am Markt platzieren können. So kann man sich vorstellen, dass Hersteller von qualitativ hochwertigen Produkten dem Endkunden einen fokussierten Einblick geben, wann, wo und wie sein gekauftes Markenprodukt entstanden ist.

Report: Eine oft genannte Hürde für die breite Umsetzung der Blockchain ist der im Vergleich zu herkömmlichen IT-Server-Lösungen große Energiebedarf. Wie wird sich der Energiehunger von Blockchain weiterentwickeln?

Petersmann: Es stimmt, dass einige Blockchain-Anwendungen viel Energie benötigen. Das liegt in erster Linie daran, dass bei einigen Kryptowährungen das Proof-of-Work-System zur Anwendung kommt. Hier wird ein neuer Block auf der Kette der Transaktionen hinzugefügt, sobald ein kryptografisches Rätsel von einem Miner erfolgreich gelöst wurde. Da die Rechenleistung bei diesem Vorgang enorm hoch ist, steigt auch der Energieverbrauch deutlich an.

Neuartige Verfahren, wie zum Beispiel der so genannte Proof-of-Stake, legen anhand einer gewichteten Zufallsauswahl fest, wer den nächsten Block erzeugen darf. Die Wahrscheinlichkeit steigt mit der Anzahl der gehaltenen Token. Dies bedeutet, dass eine Person, die beispielsweise einen Anteil von 10 % am Netzwerk hat, in der Lage ist, Transaktionen im Verhältnis zu ihrem Anteil zu validieren. Proof-of-Stake gewährleistet so die Sicherheit des Netzwerks, da es im Interesse der Token-Halter liegt, die Integrität des digitalen Ledgers zu wahren. Darüber hinaus verhängt Proof-of-Stake Sanktionen gegen diejenigen, die das System manipulieren wollen.

Im Umfeld von privaten Blockchains bestand dieses Problem hingegen noch nie. Das gilt zum Beispiel für Hyperledger, eine Open-Source-Software der Linux Foundation. Diese Technologien kommen ohne kryptografisches Rätsel aus, so zum Beispiel bei der »Byzantine Fault Tolerance« – kurz BFT. Diese Methode basiert im Wesentlichen auf der Glaubwürdigkeit der Teilnehmer.

Report: Werden Distributed-Ledger-Technologien die zentralen Verrechnungs- und Koordinierungsplattformen der Unternehmen – beispielsweise der Energienetzbetreiber – generell ablösen? Werden diese dann »Betreiber« einer Blockchain sein?

Petersmann: Dass die zentralen Verrechnungs- und Koordinierungsplattformen der Unternehmen von Distributed-Ledger-Technologien komplett ersetzt werden, ist momentan natürlich noch Zukunftsmusik. Trotzdem laufen auch bei Energienetzbetreibern Pilotversuche, die das Potenzial dieser Technologie für den Energiehandel ohne Vermittler evaluieren. Das Ziel ist die dezentrale, unkomplizierte Abwicklung von Transaktionen, welche die meisten bürokratischen Zwischenschritte zwischen Lieferanten und Käufern obsolet machen sollen. Dass diese Unternehmen die Betreiberrolle bei einer Blockchain innehaben, ist allerdings nicht zu erwarten. Denn es geht ja darum, den zentralen Vermittler und die damit verbundenen Nachteile zu vermeiden – Stichwort »Trustless Economy«. Distributed Ledger-Transaktionen werden per Definition in einem dezentralen Netzwerk registriert, zentrale Zugriffspunkte fallen damit weg.

Zur Person:

Wilhelm Petersmann hat seit 2016 die Geschäftsführung in Österreich inne, seit 2012 ist er bereits Managing Director der Fujitsu Technology Solutions AG Schweiz und Vice President bei Fujitsu. Vor seinem Wechsel zu Fujitsu war Petersmann fünf Jahre als Geschäftsführer beim Business Intelligence-Spezialisten SAS tätig.

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