Samstag, April 20, 2024



Der Verkehrssektor zählt zu den Hauptverursachern für Treibhausgasemissionen. Es braucht einen Wandel in der Mobilität. Das war einstimmiger Tenor in einem Publikumsgespräch des Report bei Heid und Partner Rechtsanwälte Ende November in Wien.


Urbane Lebensräume gewinnen permanent an Attraktivität, wachsende Städte gehen mit stärkerem Verkehr einher. Seit 1990 ist laut Umweltbundesamt im Verkehrssektor eine Zunahme der Treibhausgase um rund 52 Prozent festzustellen. Damit bestätigt der Verkehr seine Rolle als einer der CO2-Hauptverursacher und bleibt Sorgenkind Nummer eins im Klimaschutz. Der höchste Anteil der Emissionen ist auf den Straßenverkehr und hier insbesondere auf den motorisierten Individualverkehr zurückzuführen - für Freizeitaktivitäten, für die Fahrt zur Arbeit, zum Einkaufen. Der Wandel in der Mobilitätsgestaltung drängt.

Das Aufzeigen smarter, intelligenter Wege für den Verkehrsmix der Zukunft war Thema bei einem Publikumsgespräch des Report Verlag, das sich mit cleveren Mobilitätskonzepten befasste und mit der Frage, wie nicht mehr das Auto, sondern der Mensch im Mittelpunkt der Stadtplanung steht – und trotzdem nicht auf den Individualverkehr verzichtet werden muss. Partner des Gesprächs waren msg Plaut Austria und Heid und Partner Rechtsanwälte.

Bild oben: Martin Szelgrad (Report Verlag), Roman Benedetto (EFS Consulting), Berthold Hofbauer (Heid und Partner Rechtsanwälte), Lina Mosshammer (VCÖ – Mobilität mit Zukunft), Gerhard Krennmair (msg Plaut Austria)

Fotos (c Richard Pohl): www.flickr.com/photos/award2008/sets/72177720304096576/

Fotos (c Leadersnet.at): www.leadersnet.at/foto-galerie/21758,publikumsgespraech-smarte-verkehrsgestaltung

Video (c Bernhard Schojer): www.youtube.com/watch?v=QLsN1xaluhM

Bunter Blumenstrauß
Laut Branchenexpert*innen steht eine ganze Palette von Möglichkeiten zur Verfügung, Treibhausgas-Emissionen im Transportbereich zu reduzieren. Mit einem Mix von Verhaltensänderungen und Investitionen in die Infrastruktur von Rad- und öffentlichem Verkehr ist es möglich, den Individualverkehr um ein Drittel oder sogar die Hälfte zu reduzieren. Einige der Schritte:

  • Fahrrad und E-Bike Alternativen für kürzere Strecken wählen
  • Nutzen statt besitzen: Sharing-Konzepte für Autos, Roller, Fahrräder vorantreiben
  • Teilen: Fahrgemeinschaften bilden
  • Digitale Vernetzung der Fahrzeuge mit der Infrastruktur forcieren
  • Ausbau des Autonomen Fahrens
  • RoboTaxi für die Last-Mile
  • Neue Fahrzeuge einbeziehen wie elektrisch angetriebene Fahrräder, sogenannte Pedelecs und E-Bikes, elektrische Scooter, elektrische Stehroller oder elektri­sche Zweisitzer
  • Mobilitätsstationen und integrierte Buchungsplattformen als Hilfe für die einfache Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel




„Als öffentlicher Auftraggeber muss ich mir bewusst sein, dass vergaberechtliche Entscheidungen, die ich treffe, langfristig haltbar sein müssen. Der öffentliche Einkauf muss der Nachhaltigkeitsperspektive bis 2050 gerecht werden.“
Berthold Hofbauer, Partner, Heid und Partner Rechtsanwälte

Auf den bunten Blumenstrauß bezog sich Berthold Hofbauer, Partner bei Heid und Partner Rechtsanwälte, eine Kanzlei, die auf öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisiert ist und sich als Wegbereiter rund um das Nachhaltigkeitsrecht sieht. „Europa wird bis 2050 verpflichtend klimaneutral und der gordische Knoten, den es dabei zu lösen gilt, ist vor allem der Verkehr“, betont Hofbauer. Im Verzicht liegt für Hofbauer nicht der Schlüssel, sondern vielmehr in der Realisierung neuer nachhaltiger Lösungen in allen Bereichen und auch in der Mobilität. „Wien ist diesbezüglich schon ein Stück weiter als manche andere Region in Europa oder auch in Österreich. Wenn ich in der Früh aufwache und aus dem Fenster blicke, weiß ich, dass für meinen Alltag ein bunter Blumenstrauß an Mobilitätsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Den nutze ich auch.“

Ebenso müsse dies die Wirtschaft tun, denn es gilt Lösungen zu finden, bevor Gesetze zu einem Wandel zwingen. Als Beispiel nannte Hofbauer das europäische Klimaschutzgesetz sowie das deutsche Lieferkettengesetz, das ab Jänner 2023 gilt. „Als Unternehmer und ganz besonders als öffentlicher Auftraggeber muss ich genau schauen, ob die Entscheidungen, die ich jetzt treffe, der Nachhaltigkeitsperspektive bis 2050 gerecht werden. Auch wenn eine Maßnahme jetzt noch nicht sanktioniert ist, kann es sein, dass diese Investitionen, egal von privater oder öffentlicher Hand in fünf bis sechs Jahren Fehlinvestitionen sind.“

Laut Straßenfahrzeugbeschaffungsgesetz müssen Fahrzeuge dekarbonisiert werden. Öffentliche Auftraggeber müssen sicherstellen, dass bis 2025 zunächst 45 % ihrer Busse, 10 % aller Lkw sowie 38,5 % aller Pkw saubere Fahrzeuge sind. Diese Quote erhöht sich bis 2030. Zwei Berichtspflichten prüfen die Einhaltung der Quoten. Bei Nichterreichung der Ziele hat die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde über den Auftraggeber eine wirksame, angemessene und abschreckende Geldbuße mit fallbezogen unterschiedlichen Höchstgrenzen zu verhängen. So ist für jeden nicht beschafften E-Bus eine Geldbuße in Höhe von bis zu 225.000 Euro möglich.

„Wir brauchen wieder eine 15-Minuten-Stadt. Das bedeutet zurück zu einer Stadt und Region der kurzen und attraktiven Wege, zu kurzen Distanzen und zur sanften Mobilität.“
Lina Mosshammer, VCÖ – Mobilität mit Zukunft

Auf die Vielfalt eines Blumenstraußes bezog sich auch Lina Mosshammer vom VCÖ: „Mobilität muss umfassender betrachtet werden, nicht nur die klassischen Angebote wie Bus, Bahn oder Pkw.“ Aber es gebe darüber hinaus bereits eine sehr große Angebotsvielfalt, etwa Rufbusse, Shuttledienste, Anrufsammeltaxis und Sharing-Systeme, die man nach Bedarf flexibel nutzen kann. Auch viele Start-ups arbeiten innovativ in diesem Themenbereich. Angebote seien vorhanden, sie müssten jetzt flächendeckend, auch am Land, umgesetzt und vernetzt werden. Notwendig ist die Erweiterung klassischer Angebote des öffentlichen Verkehrs um flexible Varianten. Für Mosshammer brauche es Maßnahmen für alle Seiten der Pyramide „Vermeiden. Verlagern. Verbessern“. Schritte für Verbesserungen sind im öffentlichen Verkehr bereits gesetzt worden, hier sieht man den Trend zur E-Mobilität, etwa bei E-Bussen. Auch im PKW-Bereich erkennt Mosshammer ein Ja zu E: „Heuer haben wir die 100.000-E-Pkw-Grenze überschritten, das Wachstum ist da. Beim Vermeiden und Verlagern sind wir noch nicht weit.“

Österreich benötigt einen Mobilitätsmix, um den Umstieg zu ermöglichen und nachhaltige Mobilität komfortabel zu gestalten – Stichwort automatisiertes Fahren. „Die Wiener Linien und andere öffentliche Verkehrsanbieter haben automatisierte Busse getestet. Da gibt es aber noch sehr viel zu tun, bis man das umsetzen kann“, sagt die Expertin. Ebenso wichtig sei das Angebot von Mobilität nach Bedarf. Nicht jeder Mensch habe jeden Tag die gleichen Anforderungen. Es müsse auch einbezogen werden, dass etwa 1,6 Millionen Personen über 16 Jahre selten bis gar nicht Auto fahren.



„Der Grundgedanke, an dem man ansetzen muss, lautet: Wie kann ein Verkehrsmodus gefunden werden, der annehmbar und angenehm ist.“
Roman Benedetto, Partner & Head of Smart Mobility, EFS Consulting

„EFS Consulting wurde gegründet, um modulare Produktstrategien im Automotive Bereich zu entwickeln“, informierte Roman Benedetto einleitend. „Wir begleiten Kund*innen bei der Produktentwicklung unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Aspekte und zukünftigen Markttrends.“ Als österreichisches Beispiel nennt er Eloop, ein Wiener Start-Up, das sich auf nachhaltige urbane Mobilitätslösungen spezialisiert hat. Der Trend gehe zu Fahrzeugflotten mit intelligenten Sharing-Lösungen, automatisierten Flottenmanagement-Tools, transparenten und partizipativen Blockchain-Anwendungen und Sensoren zur mobilen Luftqualitäts- und Umweltdatenmessung: „Es ist spannend, das Thema Carsharing aufzugreifen“, so Benedetto. Jemand, der gewohnt sei, ein Fahrzeug zu haben, werden nicht völlig darauf verzichten. Aber es ist ein guter Ansatz, um die Anzahl der Fahrzeuge pro Haushalt zu reduzieren.

Wichtig wären Veränderungen im Kopf der betroffenen Bevölkerung. Elektromobilität werde etwa oftmals als Heilsbringer der Mobilitätswende gedacht, löst allerdings per se kein Problem, sondern verlagert nur vom Verbrennungsmotor zu Elektro. Den Raum für Verkehr braucht es nach wie vor. „Ich muss überlegen, wie gewissen Ressentiments dem öffentlichen Verkehr gegenüber entgegengewirkt werden kann und die Akzeptanz erhöht wird“, wirft Benedetto ein. Denn es gebe Berechnungen, dass autonome Fahrzeuge am Ende des Tages den Verkehr de facto erhöhen, weil die Leute keine kurzen Strecken mehr gehen oder öffentlich zurücklegen.

„Die Mobilität der Zukunft wird auf alle Lebensbereiche Einfluss haben.“
Gerhard Krennmair, Head of Business Unit Manufacturing, msg Plaut Austria

Dass ein nachhaltiger Mobilitätsmix Nutzen für Bewohner, Stadt und Umwelt hat, zeigt Gerhard Krennmair, Head of Business Unit Manufacturing bei msg Plaut Austria, auf: „Die Stadt Wien hat bereits vor fünf Jahren ein neues Raumplanungskonzept erstellt. Unter der Voraussetzung höherer E-Mobilität, höherer Integration zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr, zusätzlichen Park-and-Ride-Anlagen an der Peripherie, könnten die Grünflächen in der Stadt um das Zweieinhalb- bis Dreifache erhöht werden – smarte Mobilitätsgestaltung braucht Entwicklung und Umsetzung. Sie wird künftig auf alle unsere Bereiche Einfluss haben.“

Für Krennmair sind die ESG-Kriterien aus den Bereich Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) entscheidende Merkmale. „Als Unternehmensgruppe haben wir mit SAP eine eigene Lösung entwickelt, um Unternehmen dabei zu unterstützen, nachhaltiger zu sein.“ Die Software PaPM zeigt in Echtzeit, wo welche Kosten entstehen und in welchem Bereich das Ergebnispotenzial am größten ist. „Heute werden viele Autos von Leasinggesellschaften finanziert. Der Zukunftstrend ist, dass Fahrzeuge für einen bestimmten Zeitraum verliehen werden, das ergibt andere Anforderungen und andere Finanzierungsvolumen. Banken sind daher gefordert, neue Modelle aufzustellen, damit solche Sharing-Modelle langfristig funktionieren“, betont der Experte.

„Die junge Generation, die jetzt ins Berufsleben eintritt, hat die Tendenz, nicht mehr selbst ein Auto zu kaufen, sondern scheibchenweise zu verwenden“, so Krennmair. Ein Mobilitätsservice werde dann in Anspruch genommen, wenn man diesen gerade benötigt. Er sieht künftig auch autonome Fahrzeuge das Verkehrsbild prägen. Diese seien insgesamt sicherer als vom Mensch gesteuerte Fahrzeuge und sie werden auch Ressourcen einsparen helfen ­– etwa bei der Beleuchtung, die bei autonomen Fahrzeugflotten reduziert werden kann. Diese werden mit den Infrastrukturen der Städte und Gemeinden kommunizieren und so nachhaltigere Verkehrsflüsse ermöglichen.

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