Harald Sicheritz, Regisseur erfolgreicher Spiel- und Werbefilme, über die Kunst der kleinen Form, zehn Jahre XXXLutz-Werbung und warum die besten Spots gratis produziert werden.
(+) plus: Ist der Werbefilm das »Stiefkind« der Branche?
Harald Sicheritz: Ich halte ihn prinzipiell für etwas ganz Tolles, Eigenes. Ich finde Werbung faszinierend, weil sie eine kleine, strikte Form mit großer Wirkung in einem nicht besonders kunstfreundlichen Umfeld ist. Das Erdenken und Erfinden eines Werbespots ist etwas sehr Spannendes. Es gibt einen schönen Satz über Drehbücher: »Es ist ein Handwerk, das manchmal den Level der Kunst erreicht.« Genau dasselbe würde ich für die Scripts bei Werbung auch behaupten.
(+) plus:Wie groß ist die Freiheit zwischen den Anforderungen, die Ihnen die Kunden und Agenturen stellen?
Sicheritz: Die Agentur hält den Überblick und betreut den Kunden auf mehreren Ebenen. Als Regisseur muss man seinen Platz finden. Wenn man die Chance hat, den Kunden schon vor dem Dreh kennenzulernen, ist das eine durchaus vertrauensbildende Maßnahme. Auch Werbung, wo es klare Ideen und ein Umsetzungskonzept gibt, trägt eine eigene Handschrift. Wenn ein Film den richtigen Rhythmus hat, spürt man das. Das Böseste, das man über einen Regisseur sagen kann, ist, dass er keine Handschrift hat.
(+) plus: War bei Ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit XXXLutz alles ideal?
Sicheritz: Ideal war die entspannte Art und Weise, wie das Dreigespann Kunde-Agentur-Regie mit der simplen Grundidee umgegangen ist. Wir hatten viel Gestaltungs- und Interpretationsspielraum. Das ist ein extremer Sonderfall. Nach zehn Jahren war dann beiderseits Materialermüdung zu spüren. Natürlich habe ich noch immer eine sentimentale Bindung zu der Kampagne, vor allem zu den Menschen vor der Kamera.
(+) plus: Warum leisten sich manche Kunden einen prominenten Regisseur?
Sicheritz: In dem Moment, wo es nicht mehr nur um exklusive Bilder, sondern um Darstellerführung geht, denkt man eher an uns. Aus gutem Grund: Wir können in dieser kurzen Zeit Geschichten erzählen. Diese Herausforderung habe ich von Anfang an geliebt.
Ein aktuelles Beispiel: Ich bin ein großer Skeptiker, was Personality-Werbung betrifft. Aber die TV-Spots mit Adele Neuhauser sind deswegen so gelungen, weil sie Wolfgang Murnberger gemacht hat. Die wirken völlig anders als der übrige Werbeblock. Der Benefit für den Kunden ist die Unverwechselbarkeit. Das erfordert auch Sensibilität seitens der Agenturen.
(+) plus: Ist Werbung auch ein notwendiges finanzielles Standbein?
Sicheritz: Mich interessiert primär das Genre. Ich habe das Glück, mit Anfang 50 nur noch Dinge machen zu müssen, die ich mag. Das ist ein großes Privileg. Ich muss nicht mehr, um die Miete zu bezahlen, alles annehmen. Ich würde nicht die zehnte Mutation einer Waschmittelwerbung machen, nur damit ich gute Gage bekomme. Aber wenn mich etwas interessiert, bin ich natürlich mit größter Freude dabei.
(+) plus: Jedes Jahr, wenn in Cannes die besten Werbefilme der Welt prämiert werden, kommt in Österreich Kritik auf, dass die Kreativität und Qualität der heimischen Werbefilme abnimmt. Sehen Sie auch diesen Abwärtstrend?
Sicheritz: Festivals sind in Statuen gegossene Willkür. Der Großteil der Filme wird nur für Cannes produziert. Ich habe es einmal unter die Finalisten geschafft – mit der wunderbaren Idee einer Kreativ-Direktorin, die dann gezielt dafür einen Kunden gesucht hat. Wir haben alle gratis gearbeitet. Da freut man sich natürlich umso mehr, wenn das honoriert wird. Genauso lief es bei dem Spot für ein Kindertheater, für den wir den Staatspreis für Werbefilm bekommen haben.
(+) plus: Warum ist gerade für gute Ideen kein Geld da?
Sicheritz: Auch Spielfilmfestivals und Modeschauen haben ihren Wert, weil dort Dinge gezeigt werden, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Filmpreisverleihungen haben aber eine irrationale Dynamik. Völlig willkürlich erhält ein Film die Auszeichnung, obwohl vorher mindestens zehn oder 20 als gleich gut angesehen wurden.
(+) plus: Fehlt den Kunden der Mut, etwas Außergewöhnliches auszuprobieren?
Sicheritz: Es liegt am mangelnden Mut der Kunden, aber auch an der Selbstzensur der Agenturen. Manche Ideen werden schon abgetrieben, bevor sie noch das Licht der Kundenwelt erblicken. Der Regisseur kann nur versuchen, die Idee mit möglichst viel Know-how und Handschrift umzusetzen. Aber es gibt Ideen, da weiß man schon beim ersten Gespräch, dass man dafür nicht der Richtige ist. Da sollte man Nein sagen.
(+) plus: Viele Agenturen produzieren inzwischen »inhouse«. Leidet die Qualität?
Sicheritz: Man wird erkennen, dass man mit selbstproduzierten Filmen eine gewisse Qualitätsstufe erreichen kann, aber nicht mehr. Das müssen wir Berufsregisseure aussitzen. Zu früh gefürchtet ist auch gestorben. Ich bin zuversichtlich, dass jede Produktionsform ihr Medium finden wird. Schließlich werden an einen YouTube-Clip andere Qualitätsansprüche gestellt als an Spots, die im Hauptabendprogramm in HD-Qualität laufen.