Mittwoch, Mai 08, 2024

''Gegen eine EU-weite verpflichtende Sanierungsquote öffentlicher Gebäude wurde massiv lobbyiert'', berichtet Gilbert Rukschcio aus Brüssel.  Ein Kommentar von Gilbert Rukschcio.

Die europäische Klimaschutz- und die Energieeffizienzpolitik bedeuten für die Baustoffindustrie primär eine Belastung, Stichwort kostenpflichtige Zertifikate. Aber sie könnten auch für Aufträge sorgen, zum Beispiel durch eine großflächig angelegte Gebäudesanierung. In diesem Sinne war das junge Jahr  2012 für die Industrie jedoch nicht erfreulich.

Des einen Freud, des anderen Leid: Der Vorschlag von Energie-Kommissar Öttinger letztes Jahr für eine verpflichtende Sanierungsquote öffentlicher Gebäude zur Steigerung der Energieeffizienz sorgte für Zwiespalt. Während die Bauwirtschaft sich dadurch Aufträge erhoffte, rechneten öffentliche Verwaltungen schon mal durch, was dieser Spaß sie kosten würde. In Zeiten klammer Budgets und Sparpaketen auf allen Ebenen wird jeder Cent dreimal umgedreht. Und die Summe dürfte aufgeschreckt haben, denn gegen die verpflichtende Quote wurde massiv lobbyiert. Das Zwischenergebnis: Im zuständigen Industrie-Ausschuss des Europäischen Parlaments wurde die Quote schon mal um einen halben Prozentpunkt nach unten gedrückt, während im Rat vielen Mitgliedstaaten selbst 2,5 % noch zu viel ist. Die Verhandlungen sind zwar noch im vollen Gange, aber es kann jetzt schon gesagt werden: Von den hochtrabenden Zielen des Energiekommissars wird wohl nicht viel übrigbleiben.

Themenwechsel: Fast gleichzeitig und teilweise sogar in Verbindung mit der Debatte um die Energieeffizienz wurde von der Politik moniert, dass die Emissionszertifikate derzeit zu billig seien. Deswegen erwägen Abgeordnete im EU-Parlament, den Markt für Zertifikate künstlich zu verknappen, um den Preis hoch zu halten. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass der aktuelle Preis wirtschaftliche Realitäten widerspiegelt – etwa gesunkene industrielle Produktion – und ein niedriger Preis nicht automatisch heißt, dass die gesetzten Reduktionsziele nicht trotzdem erreicht werden. Die EU-Politik hat schließlich primär das Ziel gesetzt, bis 2020 20 % der Emissionen zu reduzieren – und nicht, einen bestimmten Euro-Betrag daraus zu lukrieren.

Geringere verpflichtende EU-Quoten für Gebäudesanierungen bei gleichzeitig erzwungenen höheren Zertifikatspreisen: Die Bau- und Baustoffwirtschaft wäre von diesen Ergebnissen doppelt betroffen – und zwar im negativen Sinne. Erfreulich hat das Politik-Jahr 2012 also nicht begonnen.

 

Zum Autor: Gilbert Rukschcio studierte Politikwissenschaft in Wien und Aix-en-Provence. Seine berufliche Laufbahn startete er 2005 im Europäischen Parlament. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter von peritia communications und als Politikberater mit Tätigkeitsschwerpunkt in Brüssel  für verschiedene österreichische und internationale Unternehmen und Verbände tätig. In seiner Kolumne »Nachricht aus Brüssel« versorgt er die LeserInnen der Report-Fachmedien mit Hintergrundinfos zu europäischen Fragen.

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