Monday, December 15, 2025

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Schneesicherheit wird vielerorts zur Ausnahme, Energiepreise bleiben volatil, das Reiseverhalten verändert sich spürbar – der Wintertourismus steht an einem Wendepunkt. Der European Climate Pact (Österreich) versammelte hochrangige Expert:innen aus den Bereichen Tourismus, Wirtschaft, Wissenschaft und Klimaschutz zu einem Hintergrundgespräch im Boutiquehotel Stadthalle.

Bild: Birgit Kacerovsky (klar), Karl Wöber (Modul University Vienna), Benjamin Mayer (Vorstand von Austria Guides for Future), Michaela Reitterer, (Gründerin der Boutiquehotels Stadthalle, ÖHV Präsidentin a.D.), Balázs Kovács (EU Climate Pact), Katharina Mayer-Ertl (Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus), Marco Riederer (Travel Industry Club Tourismus), Simion Giurca, (Corps Touristique Austria)

Im Zentrum der Diskussion stand eine gemeinsame Erkenntnis: Österreich könnte Vorbild in Europa sein. Es braucht jedoch noch bessere Lösungen und Angebote im Bereich der nachhaltigen Mobilität sowie offene Diskussionen, um neue Ideen zu entwickeln und eingefahrene Bahnen zu verlassen.

Karl Wöber, Rektor der Modul University Vienna, betonte, dass der Tourismus rund 8,5 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verursacht, davon fast drei Viertel durch Verkehr – mehr als die Hälfte allein durch den Flugverkehr. Nach der Pandemie seien die Emissionen rasch wieder auf Vorkrisenniveau gestiegen. Effizienzgewinne durch Technologie würden das starke Nachfragewachstum derzeit nicht ausgleichen. Gleichzeitig bestünden große Unsicherheiten in der Datenlage – auch deshalb brauche es mehr Forschung und vor allem mehr Governance.

Neben Klimawandel und Nachhaltigkeit verändern auch Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Workations, die Generation Z und die alternde Bevölkerung den Tourismus grundlegend. „Österreich tut viel Gutes in dem Bereich Nachhaltigkeit und könnte in Europa stärker vorangehen. Besonders wichtig wäre ein europäisches Mobilitätssystem“, betont Wöber. Und er fügt hinzu: „Die Art des Reisens wird sich verändern, aber das Reisen wird weiterhin zunehmen. Der Tourismus braucht daher eine kluge Steuerung, lokal wie global. Eine kontinuierliche Beobachtung des Tourismus, der allgemeinen Bedingungen und der wichtigsten Trends ist unerlässlich.“

Einen grundlegenden Perspektivenwechsel forderte Balázs Kovács, Tourismusexperte und EU Climate Pact Ambassador. Sein Ansatz des „Neuen Tourismus“ stellt Begegnung, Qualität und Sinn über das bloße Konsumieren von Attraktionen. Nachhaltiger Tourismus bedeute nicht Verzicht, sondern mehr Qualität, mehr Tiefe und stärkere lokale Wertschöpfung – bei gleichzeitig kleinerem ökologischem Fußabdruck. Eine kreative Produktentwicklung könne zeigen, dass Ressourcenschonung keine Einschränkung, sondern eine Aufwertung bedeute. „Neuer Tourismus bedeutet nicht, Sehenswürdigkeiten abzuhaken, sondern Begegnungen mit Menschen in der Region zu ermöglichen. Mit kluger Produktentwicklung können wir zeigen, dass ein kleinerer ökologischer Fußabdruck zu mehr Qualität, Tiefe und Gerechtigkeit im touristischen Ökosystem führt. Ein mögliches Beispiel dafür wäre die stärkere gemeinsame Bespielung der Region Wien-Budapest“, so Kovács. Der „Neue Tourismus“ stärkt lokale Gemeinschaften, fördert faire Wertschöpfung und erhöht die Resilienz von Destinationen. Kovács sieht das Umweltzeichen für nachhaltige Tourismusdestinationen sehr positiv.

Winter neu denken

Für Simion Giurca, Generalsekretär des Corps Touristique Austria, ist klar: Nicht der Klimawandel verändert das Reisen, sondern die Entscheidungen der Gäste. Der Wintertourismus wird zum Gesundheits-, Natur- und Ganzjahresprodukt. Nachhaltigkeit werde nur dann wirksam, wenn sie attraktiv, leistbar und erlebbar sei, so Giurca. „Die zentrale Frage lautet: Was erwarten wir künftig vom Wintergast – und was erwartet er von uns? Wie können wir die Wintergäste für den Sommer gewinnen?“ Die Akzeptanz nachhaltigen Reisens hängt vom Preis, dem Erlebniswert und dem sozialen Mehrwert ab.

Klimawandel, Wertewandel und wirtschaftlicher Druck verändern Angebot und Nachfrage zugleich. Immer mehr Destinationen setzen auf emissionsarme Mobilität, Ganzjahresangebote und nachhaltige Wertschöpfung. Die Zukunft des Wintertourismus entscheidet sich zwischen Innovation, Glaubwürdigkeit und Gästeakzeptanz. „Der Gast ist Teil der Destination. Wie nachhaltig sie wird, entscheidet sich nicht nur in Strategien, sondern auch in vielen individuellen Reiseentscheidungen“, fasst Giurca zusammen. Es muss gelingen, den Wintertourismus auch für den Sommer zu gewinnen.

Ganzjahrestourismus

Michaela Reitterer, Gründerin der Boutiquehotels Stadthalle, Mitglied des UNWTO World Committee on Tourism Ethics und ÖHV-Präsidentin a. D., betrachtet Nachhaltigkeit als die Zukunft des europäischen Tourismus. Nachhaltigkeit bedeute für sie nicht immer grün zu sein, sondern vorausschauend zu handeln und viele Dimensionen abzudecken: von der Unternehmensführung über die Willkommenskultur bis zur Versorgung der Gäste. „In Zeiten wie diesen gibt es keine Alternative zum nachhaltigen Tourismus. Wir können stolz darauf sein, was wir in Österreich bereits erreicht haben. Das scheint uns oft zu selbstverständlich zu sein, und das ist schade. Wir müssten mehr darüber erzählen, und wir brauchen eine gemeinsame Zukunftserzählung“, so Reitterer.

Die strategische Weiterentwicklung der österreichischen Tourismuspolitik skizzierte Katharina Mayer-Ertl von der Tourismussektion des Bundesministeriums für Wirtschaft, Energie und Tourismus. Bereits der Plan T aus dem Jahr 2019 habe Nachhaltigkeit (ökologisch, ökonomisch, sozial) und Resilienz als zentrale Leitgedanken definiert. Aufbauend darauf wurde 2025 der Prozess zur Vision T gestartet. Der Tourismus solle nicht nur für Gäste, sondern ebenso für die einheimische Bevölkerung, für Betriebe und Beschäftigte funktionieren. Nachhaltigkeit sei damit zugleich Natur-, Wirtschafts- und Kostenstrategie. „Nachhaltigkeit wird oft mit Verzicht verknüpft, das ist aber der falsche Zugang, denn sie bringt Mehrwert. Laut unserer aktuellen Befragung von über 4.000 Personen – der 360° Analyse zu Beginn der Weiterentwicklung des Plan T - gibt es ein hohes Bewusstsein dafür, dass Nachhaltigkeit in allen drei Säulen sehr wichtig ist“, so Mayer-Ertl. „Der Tourismus in Österreich muss auch in Zukunft ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig gedacht und gelebt werden, um für Gäste, Einheimische, Unternehmen und deren Mitarbeitende attraktiv zu sein. Nur so können wir weiterhin erfolgreich sein und den Tourismusstandort Österreich sichern“, fasst Mayer-Ertl zusammen.

Authentische Erlebnisse

Auch Benjamin Mayer, Vorstand von Austria Guides for Future, sieht die Zukunft im bewussten, hochwertigen Tourismus. Der Klimawandel verändert nicht nur Landschaften, sondern auch Erwartungen: Gäste suchen zunehmend nach authentischen Erfahrungen, regionaler Kultur und nachhaltiger Mobilität. Destinationen, die diesen Wandel aktiv mitgestalten, werden von der wachsenden Nachfrage nach Qualitätstourismus profitieren. Wien bietet bereits heute zahlreiche Angebote abseits der Haupt-Touristenpfade, etwa durch alternative Stadtführungen mit lokalem Fokus. „Bewusste, hochwertige und authentische Formen des Tourismus sind nicht nur nachhaltiger, sondern langfristig zum Vorteil aller Beteiligten. Authentisches Reisen findet dann statt, wenn Gäste Destinationen so erleben, wie die Menschen, die dort leben. Zum Beispiel, indem sie öffentlichen Verkehr nutzen, lokale Produkte und Partner wählen und länger bleiben“, betont Mayer. Voraussetzung für diese Transformation sind jedoch Offenheit, Mut und proaktives Handeln.

Mit klaren Botschaften untermauerte Marco Riederer, Präsident des Travel Industry Club Tourismus und Geschäftsführer von Prodinger Tourismusberatung, den strukturellen Wandel im alpinen Raum. Die Winterwende bedeute keinen Nachfragerückgang, sondern eine massive Verschiebung der Geschäftsmodelle. Höher gelegene, diversifizierte Destinationen mit starkem Sommerangebot verzeichnen eine überdurchschnittliche Nachfrage, eine hohe Wertschöpfung pro Bett und oft sogar Nachfrageüberhänge. Gleichzeitig stagniert die reale Wertschöpfung trotz Rekordsommern. Steigende Energie- und Personalkosten belasten die Betriebe spürbar. Besonders entscheidend wird die nachhaltige Mobilität sein: In den Ballungszentren machen immer weniger junge Menschen einen Führerschein. Die Frage wird also sein, wie die Gäste in Zukunft ohne Auto in unsere Destinationen kommen. Eine klimafreundliche Erreichbarkeit mit Bahn, Bus, Shuttle- und Sharing-Angeboten wird zur Visitenkarte der Destinationen.

„Im internationalen Vergleich sind unsere Skigebiete nach wie vor eher günstig. Es passiert schon sehr viel in Sachen Nachhaltigkeit. Zum Beispiel hat sich bei der Beschneiung der Pisten viel verbessert, die Anlagen sind wesentlich effizienter und verbrauchen zunehmend weniger Energie. Österreich ist auch hier ein Vorreiter“, so Riederer.

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