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Wo sich die Zukunft entscheidet
Europa steht vor einer wirtschaftlichen Neuausrichtung. Technologische Entwicklungen und der Zugang zu Ressourcen verändern die Rahmenbedingungen für Unternehmen grundlegend. Für Österreich – exportorientiert, industriell geprägt, innovationsaffin – ergeben sich neue Geschäftsfelder. Die wichtigsten Trends und Branchen im Überblick.
Innovationen und Trends gab es im Laufe der Wirtschafts- und Industriegeschichte immer wieder. Doch geht es nach den IT-Expert*innen von Gartner markiert 2026 einen markanten Wendepunkt: Noch nie habe sich der technologische Fortschritt in derart kurzer Zeit verdichtet. Innovation, Disruption und Risiko liegen enger beisammen als je zuvor. Das Marktforschungsunternehmen spricht in seiner aktuellen Analyse von einem »Zeitalter des beschleunigten Vertrauensaufbaus«. Unternehmen müssen demnach ihre technologische Basis neu denken – von der Rechenarchitektur bis zur Herkunft der Daten. Künstliche Intelligenz, Dateninfrastruktur, Sicherheit und regulatorische Rahmenbedingungen sind eng verzahnt.
Von AI Supercomputing bis Geopatriation listet Gartner zehn strategische Technologietrends auf, die über kurzfristige Hypes hinausgehen und die digitale Wertschöpfung der kommenden Jahre prägen sollen. Der Unterschied zu früheren Entwicklungen: Die Trends kommen nicht singulär, sondern verstärken einander. In allen KI-Anwendungen ist Confidential Computing die Voraussetzung für Datensicherheit, für Multi-Agenten-Systeme braucht es eine vorausschauende Cybersecurity-Architektur, Datenintegrität wird zum Wettbewerbsfaktor. Es handle sich um mehr als nur technologische Verschiebungen. Die angeführten Trends dienen als Katalysatoren für die Transformation ganzer Geschäftsmodelle. Unternehmen, die sich hier etablieren, könnten ihre Branchen für Jahrzehnte prägen. Insbesondere für datengetriebene Unternehmen ist 2026 somit kein Jahr der kleinen Schritte. Jetzt stehen klare, strategische Entscheidungen an, um die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen – andernfalls drohe nach Meinung der Expert*innen Rückstand.
Ohne KI geht nichts
In einigen dieser Bereiche, für die eine große Zukunft prognostiziert wird, hat Österreich viel Potenzial. So hat die AI Factory Austria AI:AT erst kürzlich mit dem Wiener Technologieunternehmen Zenta Solutions ein erfolgreiches Praxisbeispiel realisiert. Als nationale Anlaufstelle für Hochleistungsrechnen (High Performance Computing – HPC) begleitete sie den reibungslosen Zugang des Unternehmens zu europäischen Supercomputing-Ressourcen. Zenta Solutions, eine Ausgründung der Medizinischen Universität Wien mit Schwerpunkt auf medizinische Datenanalyse, konnte dadurch an das EuroHPC-System »Leonardo« in Bologna andocken. Dort werden aktuell KI-basierte Verfahren zur Strukturierung und Auswertung medizinischer Datensätze getestet und optimiert. Die AI Factory Austria baut derzeit schrittweise ein umfassendes Serviceportfolio auf, das insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen den Weg in das Supercomputing-Ökosystem öffnen soll. »Wir stehen bereits mit weiteren Unternehmen in Kontakt, die ähnliche Bedarfe haben – und begleiten sie dabei, die für sie passenden Möglichkeiten innerhalb der AI Factory Austria und des europäischen AI-Factories-Netzwerks zu nutzen«, erklärt Thomas Mayerhofer, Head of Innovation Center der AI Factory Austria.
Um künstliche Intelligenz in Krankenhäusern nutzbar zu machen, setzt das IT-Beratungsunternehmen Consileon auf Multi-Agenten-RAG (Retrieval-Augmented Generation)-Systeme. Die KI-Agenten helfen Spitälern, Universitätskliniken und Klinikverbänden dabei, datenbasierte Entscheidungen zu treffen, operative Kosten zu senken und Qualität und Transparenz zu steigern. Einige Einrichtungen erzielen bereits messbare Erfolge – von effizienterer Dokumentation bis zu präziserer OP-Planung. Für die Optimierung komplexer Abläufe sieht Harald Kohlberger, geschäftsführender Gesellschafter von Consileon in Österreich, auch außerhalb des Gesundheitsbereiches eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten: »Das Multi-Agenten-System bietet unendlich viele Anwendungsgebiete in verschiedensten Branchen.« Statt die gesamte Aufgabe von einer einzigen Einheit bearbeiten zu lassen, wird sie in kleinere Schritte unterteilt und die einzelnen Tätigkeiten jeweils kontextbezogen von spezialisierten Agenten ausgeführt. Die Agenten korrespondieren selbstständig miteinander und kommen so zu genaueren und effizienteren Ergebnissen. Auch wenn vielleicht nicht allen Technologien der erhoffte Durchbruch gelingt – eines ist schon jetzt klar: Ohne künstliche Intelligenz geht nichts mehr. Wer jetzt noch zögert und abwartet, überlässt das Feld Mitbewerbern, die KI als »unsichtbare« Mitarbeiterin bereits integriert haben.
Bei einem Großteil der österreichischen Unternehmen besteht freilich noch deutliches Entwicklungspotenzial in der KI-Reife. Wie McKinsey & Company in der Studie »State of AI in Austria 2025« aufzeigen, agieren viele heimische Unternehmen ohne klare KI-Roadmap. Während 19 Prozent im internationalen Vergleich zum oberen Fünftel aller global untersuchten Unternehmen gehören, befinden sich 68 Prozent der österreichischen Unternehmen noch in den unteren 40 Prozent in der globalen Wertung. »In Österreich sehen wir, dass vor allem für die effektive Integration von KI-Modellen und im Bereich Governance noch einiges getan werden muss. Österreichische Unternehmen sind in einer guten Ausgangsposition, diese Chancen zu nutzen: In den Schlüsselbereichen Plattformarchitektur und Sicherheit sind sie im internationalen Vergleich bereits sehr gut positioniert«, erklärt Martin Wrulich, Managing Partner des McKinsey Office in Wien.
Weitblick und Visionen
Unternehmen müssten sich keineswegs ständig neu erfinden, insbesondere in der Investitionsgüterbranche, die nach wie vor stabile Zyklen aufweist, meint Gerhard Jakopic, CEO der Rosendahl Nextrom GmbH. Durch genaue Beobachtung der Märkte könne man aber frühzeitig auf Trends reagieren: »Mit unserer Strategie 2030+ sind wir klar ausgerichtet und sehen uns den Weg dorthin regelmäßig an. Damit können wir auf Umfeldveränderungen rasch und frühzeitig reagieren. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit werden dabei immer wichtiger. Dennoch: In volatilen Zeiten lohnt sich ein klarer Plan und das Signal der Stabilität an Mitarbeitende, Partner und Kunden.«
Für den KI-gestützten Fertigungsprozess von Twinax-Kabeln, die leistungsstarke, ultraschnelle Datenübertragung in Rechenzentren erst möglich machen, wurde das steirische Technologieunternehmen mit dem Staatspreis Innovation 2025 ausgezeichnet. Bahnbrechende Innovationen wie diese brauchen jedoch Zeit und zeigen nicht unmittelbare Auswirkungen, so Jakopic. »Weitblick und Visionen« seien entscheidend, um kreative Prozesse in Gang zu bringen: »Neue Standards für Kabel oder Batterien entstehen nicht von heute auf morgen. Strategisch wichtigen Projekten muss man daher – frühzeitig – Raum und Ressourcen geben.«
Während sich wirtschaftspolitische Strategien derzeit vorwiegend um KI drehen, findet der Strukturwandel aber auch abseits in Wirtschaftssektoren statt, die weniger präsent im Scheinwerferlicht stehen. Mitunter sind es Märkte, die stetig und massiv wachsen. Ohne lautes Getöse entstehen beispielsweise im Nahrungsmittelsektor eine ganze Reihe von Industriebetrieben einer neuen Generation. Mithilfe von Mikroorganismen werden in Bioreaktoren Milchproteine, Enzyme und sogar Honig hergestellt – ohne Tiere, ohne landwirtschaftliche Flächen und ohne Verunreinigungen.
Auch Vertical Farming, Insekten- oder Pilzzuchten wurden viele Jahre als ökologisches Steckenpferd belächelt. Längst sind sie zu Hightech-Betrieben gereift und könnten in Regionen, in denen landwirtschaftliche Ressourcen knapp sind, zu wichtigen Nahrungsmittelquellen werden. Die Wertschöpfung liegt dabei nicht nur in den Produkten selbst, sondern in den Maschinen, der Logistik und den Prozessen. So erweist sich etwa eine Insektenzuchtanlage als ideale Ergänzung für Produktionsbetriebe, bei denen große Mengen an organischen Reststoffen anfallen. Diese werden von den Insektenlarven auf natürlichem Weg zu Dünger oder hochwertigem Eiweiß, u. a. für Tierfutter, verarbeitet. Das Wiener Start-up LIVIN farms verkauft inzwischen nicht nur Insekten und Produkte daraus, sondern komplette Zuchtanlagen in die ganze Welt. Bis sich Menschen in unseren Breiten von Mehlwürmern und Heuschrecken ernähren, wird es vermutlich noch eine Weile dauern. Das Know-how zur industriellen Produktion und Verarbeitung gibt es bereits und wird auch für andere Zwecke genutzt.
Fünf Zukunftsfelder

Supercomputing
KI-Supercomputing-Plattformen integrieren verschiedene Systeme und ermöglichen es Organisationen, umfangreiche Workloads zu orchestrieren und neue Leistungs- und Effizienzebenen zu erreichen. Gartner prognostiziert, dass bis 2028 mehr als 40 % der führenden Unternehmen hybride Computing-Architekturen in kritische Geschäftsprozesse integriert haben werden.
Multi-Agenten-Systeme
KI-Agenten, die autonom spezifische Aufgaben ausführen und dabei mit anderen Agenten konstruktiv zusammenarbeiten, bilden die nächste Evolutionsstufe intelligenter Automatisierung. Unternehmen können dadurch Geschäftsprozesse skalierbarer und resilienter gestalten. In Organisationen mit vielschichtigen Strukturen ermöglicht das Multi-Agenten-System effiziente, datenbasierte Entscheidungen.
Wasserstoff
Brennstoffzellen gelten als Schlüsseltechnologie einer künftigen Wasserstoffwirtschaft. Ihre Fähigkeit, chemische Energie emissionsfrei in Strom umzuwandeln, macht sie zu einem wichtigen Baustein für nachhaltige Mobilität und Energieversorgung. Insbesondere bei der Polymerelektrolyt-Technologie bemühen sich internationale Player, darunter Bosch und Siemens, intensiv um industrielle Skalierung.
Quantencomputer
Während klassische Computer an ihre Grenzen stoßen, können Quantencomputer komplexe Berechnungen in Sekunden erledigen. Technologiekonzerne investieren Milliardenbeträge, um die nächste Generation von Hochleistungsrechnern zu schaffen. Skalierbare Anwendungen befinden sich noch in der Entwicklungsphase, erste Einsätze finden aber bereits in den Gebieten Kryptografie, Risikoanalyse und Materialforschung statt.
Biotechnologie
Engineering Biology könnte die Entwicklung und Fertigung von Medikamenten revolutionieren sowie Materialien mit völlig neuen Eigenschaften für industrielle Anwendungen hervorbringen. Vor allem in den Bereichen personalisierter mRNA-Impfstoffe und der Entwicklung von Proteinen sind in den nächsten Jahren bedeutende Fortschritte zu erwarten. In der Nanotechnologie liefert molekulare Montage bereits beeindruckende Ergebnisse.
Interview: Digitalisierung ist ein Taktgeber

Mit kontinuierlicher Innovationskultur legt Infineon die Basis für Wettbewerbsfähigkeit. Stefan Rohringer, Leiter der Infineon F&E-Zentren in Österreich (Bild), sieht mehrere Technologien als künftige Wachstumstreiber.
Wie fördern Sie die Innovationskraft in Ihrem Unternehmen?
Stefan Rohringer: Innovation ist für Infineon ein wesentlicher Erfolgsfaktor und die Grundlage für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Nicht umsonst sind wir das forschungsstärkste Unternehmen Österreichs. Wir setzen auf technologische Exzellenz und eine Kombination aus interdisziplinärer Zusammenarbeit, offener Innovationskultur sowie gezielter Forschungsförderung. Dazu vernetzen wir uns mit Universitäten, Plattformen und Start-ups. Gleichzeitig gibt es ein internes Förderprogramm, das es Mitarbeitenden ermöglicht, ihre Verbesserungen und Ideen aktiv einzubringen.
Wie lässt sich ein kreativer Prozess mit wirtschaftlichen Zielen vereinbaren?
Rohringer: Es braucht eine lebendige und kontinuierliche Innovationskultur, die alle Bereiche und Ebenen gleichermaßen und mehrstufig einbezieht. Ein prägendes Element dieser Kultur ist der jährliche »Innovation Accelerator«. In diesem internen Wettbewerb werden die besten Projektideen ausgewählt und für ein Jahr durch Infineon finanziert. Dabei geht es um Projekte, die neue Lösungen und Anwendungen adressieren, um neue Märkte zu erschließen, neue Fähigkeiten, Kompetenzen und Methoden zu generieren, zusätzliche Kooperationen über die üblichen Konstellationen hinaus zu etablieren und schließlich zum Erfolg von Infineon beitragen.
Welche Technologien werden die künftigen Wachstumstreiber sein?
Rohringer: Die Digitalisierung ist ein Taktgeber für die Wirtschaft und die Gesellschaft. Wir sehen mehrere Technologien als Wachstumstreiber, darunter, künstliche Intelligenz, humanoide Robotik, vernetzte Mobilität, mikroelektronische Systeme und das Internet der Dinge, Datensicherheit oder die Zukunftstechnologien des Quanten-Computings. Investitionen in diese Bereiche treiben Innovationen in vielen Anwendermärkten voran, schaffen Wertschöpfung und stärken den Standort – eine Chance, die wir auch für Österreich und Europa entschlossen nutzen müssen.
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