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republica 2015: Finding Europe

republica 2015. Bildrechte: republica, Gregor Fischer republica 2015. Bildrechte: republica, Gregor Fischer

Die re:publica in Berlin ist eines der weltweit wichtigsten Events zu Themen der digitalen Gesellschaft. Vom 5. bis 7. Mai diskutierten AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, BloggerInnen, JournalistInnen und Unternehmen mit rund 7.000 TeilnehmerInnen und 850 RednerInnen zum Motto »Finding Europe«.

Monika Thomasberger aus Berlin

Der »alte Kontinent« steckt in Schwierigkeiten. Flüchtlingsströme aus Afrika, Krieg auf der Krim, mobilisierende rechtspopulistische Parteien, steigende Arbeitslosigkeit, eine alternde Gesellschaft und fehlende Innovationsschübe – längst wirkt Europa im Gegensatz zu Asien und den USA altmodisch und träge. Die Festung Europa macht ihre Grenzen dicht und errichtet eine Mauer, um ihre Stabilität zu sichern. In zahlreichen Workshops und Vorträgen rund um dominierende Fragen nach dem Europa der Zukunft wurden auf der re:publica Strategien für die digitale Gesellschaft von morgen aus den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft erörtert. Andreas Gebhard, Geschäftsführer re:publica, forderte in der Eröffnungskeynote Rahmenbedingungen für die digitale Welt: »Wie können wir in Europa digitalen Geschäftsraum definieren? Wir brauchen eine freie und offene Infrastruktur, neue Geschäftsmodelle, Collaboration zwischen großen und kleinen Unternehmen und müssen Datenschutz als Standortvorteil sehen«, so Gebhard.

Wer bestimmt, wie wir morgen arbeiten?

Die Bedeutung von Technologie in unserem Leben sowie die Automatisierung von Arbeitsplätzen fordert bereits ihre ersten Opfer. Auch in Österreich waren laut dem Arbeitsmarktservice Ende April 419.875 Personen, also rund 9,1 %, ohne Job – Tendenz steigend. Johannes Kleske, Geschäftsführer Third Wave, erklärte in seinem Vortrag »Mensch Macht Maschine« die Veränderung der Arbeitswelt durch den technologischen Fortschritt. Seine These: »Maschinen machen uns nicht arbeitslos, sie werden unsere Chefs. Uns werden dann häufig nur noch die Jobs bleiben, für die sich die Maschinen zu schade oder wir einfach günstiger sind.« Am Beispiel großer amerikanischer Technologiekonzerne erklärt Kleske die Folgen der digitalen Revolution auf unsere Arbeitswelt. Dabei zieht er Parallelen zur industriellen Revolution. Nur, sind diesmal die Chefs keine Großgrundbesitzer und Industrielle, sondern Maschinen.

Fabriksarbeiter der Zukunft

Zahlreiche Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley oder in Asien sind auf menschliche Arbeitskräfte angewiesen, damit die digitale Wunderwelt nach außen hin funktionieren kann. Diese Billigarbeiter, auch "digitale Hausmeister" genannt, klassifizieren zum Beispiel Webseiten in Pornografie, Spam oder relevante Inhalte oder moderieren User-Generated-Content in Foren. Sie stehen aber auch an Fließbändern, wenn es kurzfristig, bedingt durch Weihnachtsgeschäft oder Ähnliches, einen größeren Bedarf an Arbeitern gibt. Maschinen und Algorithmen könnten das Zuordnen von Daten nie so effizient durchführen wie die menschliche Logik. Diese Unternehmen könnten ohne diese digitalen Hausmeister nicht funktionieren, und doch werden diese Arbeitskräfte nie einen sauberen Campus mit gratis Kantinen und Krankenversicherungen sehen, da die Arbeit oft schlecht bezahlt ist. Diese Menschen arbeiten oft nur auf Zuruf und haben darüber hinaus keine weiteren Rechte.

Nutzungsbedingungen sind die neuen Arbeitsverträge

An der »Sharing Economy« lässt Kleske kein gutes Haar. Heutzutage kann man mit nur einem Fingerklick auf die App des Fahrtendienstes Uber Geld verdienen und Leute von A nach B fahren. Tech-Unternehmen wie Uber oder Amazon nutzen sogenannte »Independent Contractors«, also selbstständige Arbeitnehmer, die jedoch als Befehlsempfänger oft ihrem Arbeitgeber ausgeliefert sind und langfristig nicht davon profitieren. Die Unternehmen sparen so bis zu 30 % an Personalkosten. Außerdem werden diese Mitarbeiter oft überwacht und haben weder Karrierechancen noch Weiterbildungsmöglichkeiten, da sie keine Arbeitsverträge besitzen.

Arbeitsstrich 21. Jahrhundert

Kleske nennt dies den Arbeitsstrich des 21. Jahrhunderts und fordert eine neue Arbeiterbewegung: »Wir lehnen nicht den technologischen Fortschritt ab oder debattieren um einen Kampf gegen Maschinen, sondern es geht um Macht und die Menschen hinter den Maschinen.« Diese disruptiven Geschäftsmodelle und neue Technologien haben in den letzten Jahren nicht nur unser eigenes Leben, sondern unsere ganze Gesellschaft transformiert. Mächtige Unternehmen beherrschen den Zeitgeist, während nationale Regierungen durch die Komplexität der Digitalisierung dieser oft hilflos ausgeliefert sind oder in Schockstarre verfallen. Auch Europa hat noch keinen einheitlichen Standpunkt für den Umgang mit dem digitalen Wandel gefunden.

Netzneutralität – Endspurt in Europa

Ein weiteres brisantes Thema auf der re:publica war Netzneutralität. Dabei handelt es sich um die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet. Während die amerikanische Regulierungsbehörde FCC einen stärkeren Schutz der Netzneutralität in den USA anstrebt, fordern vor allem Telekomanbieter in Europa eine Einschränkung bandbreitenintensiver Dienste wie Netflix, um flexibler in der Preis- und Produktgestaltung zu sein. Thomas Lohninger, Sprecher der Initiative für Netzfreiheit, gab in seinem Vortrag »Netzneutralität – Endspurt in Europa« einen Einblick hinter die Kulissen der Verhandlungen zwischen den drei EU-Institutionen über das finale Gesetz zur Netzneutralität in Europa. Lohninger betonte die Wichtigkeit von Netzneutralität und die damit einhergehende Chancengleichheit und Wahlfreiheit jedes Einzelnen: »Dadurch, dass im Netz nicht diskriminiert wird, gibt es auch für alle das gleiche Level, in dem wir unsere demokratische und wirtschaftliche Freiheit nutzen können.«

Keine Angst vor Überwachung

Eine Inspiration auf der re:publica war der 89-jährige Zygmunt Bauman, emeritierter Professor der Soziologie an der University of Leeds. Der gebürtige Pole floh 1939 vor den Nazis in die Sowjetunion und ging später nach Israel. In seinem Vortrag »From Privacy to Publicity: the changing mode of being-in-the-world«, analysierte er, wie Digitalisierung unsere bisherige soziale und politische Weltordnung aus den Fugen hebt. Ausgehend von seiner persönlichen historischen Lebenserfahrung erklärte Bauman, dass Datenschutz und Privacy für die meisten Internetnutzer keine Relevanz hat. Auch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden haben daran nicht viel geändert: »When I was your age, we were dreaming about privacy because we were spied upon and suppressed«, so Bauman. Heutige Generationen streben jedoch nach Individualität und träumen nicht mehr von Privacy, sondern von Publicity. Internetnutzer wollen nicht nur gesehen werden, sie wünschen sich auch Empathie. Die Furcht, ausgeschlossen zu werden und als unwichtig zu gelten, ist die dominanteste Angst unserer Zeit. Im Netz herrscht geradezu ein »Krieg um Aufmerksamkeit«, so Bauman. Diese Aufmerksamkeit ist durch Likes, Aufrufe und Impressionen auch messbar geworden. Das Thema Digitalisierung war nicht nur auf der re:publica allgegenwärtig. Die digitale Revolution befindet sich erst in den Kinderschuhen und es ist noch ungewiss, wie sie sich entwickeln wird. Eines steht fest – nicht nur die Politik ist gefordert, sondern jede und jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, um eine digitale Gesellschaft in einem demokratischen Europa aufzubauen.

Last modified onDonnerstag, 25 Juni 2015 12:43

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