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8 verlorene Jahre

8 verlorene Jahre Foto: WKO-Kucera

Vor 20 Jahren war Österreich junges EU-Mitglied, die Sozialpartner galten als »Manager der Wandels«. Im Report(+)PLUS-Interview kontert Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl der aktuellen Kritik an der Sozialpartnerschaft und fordert die Regierung auf, »den Reformstillstand zu brechen«.

(+) plus: Die Euphorie nach der Regierungsumbildung ist rasch verflogen. War der Wille zur konstruktiven Zusammenarbeit nur ein frommer Wunsch?

Christoph Leitl: Zur Zusammenarbeit gibt es keine Alternative und ich zweifle nicht daran, dass die Regierungsspitzen das ebenso sehen. Die Bevölkerung verlangt Antworten auf Probleme wie das mäßige Wirtschaftswachstum, die ungebrochen steigende Arbeitslosigkeit und das Management der Flüchtlings- und Migrationsfrage. Es gibt genug zu tun, um den Reformstillstand zu brechen. Für Streitereien sollte keine Zeit sein. Wir sitzen alle in einem Boot und müssen in die gleiche Richtung gemeinsam rudern.

(+) plus: Zuletzt wurde die Rolle der Sozialpartner scharf kritisiert. Waren Sie besonders verärgert, weil die Vorwürfe gerade aus Ihrer Partei kamen?

Leitl: Dass es manchmal Meinungsunterschiede gibt, ist doch normal. Klar ist auch, dass wir angesichts der Globalisierung, des demografischen Wandels und der Digitalisierung allesamt eine Neuorientierung brauchen: die Sozialpartner, aber besonders auch die Regierung. Ich darf zudem darauf verweisen, dass wir Sozialpartner zu vielen brennenden Fragen zukunftsorientierte Vorschläge eingebracht – Bildung, Migration, Eindämmung der Frühpensionen etc. Last, but not least zeigt die kürzliche Einigung zur Arbeitszeitflexibilisierung in der Metall- und Maschinenindustrie, dass die Sozialpartner trotz mancher Differenzen und Fehler – die gibt es natürlich auch – gemeinsam gute Lösungen zustande bringen können.

(+) plus: Welche Anreize wären notwendig, um die Investitionstätigkeit der Unternehmen wieder in Schwung zu bringen?

Leitl: Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise hat Österreich acht verlorene Jahre bei den Investitionen zu verbuchen. Da müssen wir mit gezielten Anreizen gegensteuern. Die geforderte Verlängerung des Handwerkerbonus konnten wir bereits positiv erledigen. Nun sind weitere Impulse gefragt – etwa die Einführung einer vorzeitigen Abschreibung oder eines Beteiligungsfreibetrages für private Investoren. Und für die Unternehmen wäre es ein Motivationsschub, kämen wir beim Langzeitthema Bürokratieabbau endlich vom Reden ins Tun.

(+) plus: Wie könnte eine gerechte Alternative zur »Maschinensteuer« aussehen?

Leitl: Gerecht und im Sinne von mehr Wachstum und Beschäftigung wäre es, würden manche nicht bei jeder Gelegenheit nach neuen oder höheren Steuern und zusätzlichen Belastungen rufen. Solche Maßnahmen schädigen den Standort und bezwecken genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen: mehr Wertschätzung und mehr Luft zum Atmen für die Betriebe. Neben den skizzierten Wachstumsanreizen geht es vor allem um bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft – durch mehr Flexibilität, weniger Bürokratie, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Dazu tragen neue Steuern und Abgaben für die Betriebe nichts bei.

(+) plus: Vizekanzler Mitterlehner hat eine Reform der Gewerbeordnung angekündigt. In welchen Bereichen wären diesbezüglich Änderungen notwendig?

Leitl: Nachdem das Wirtschaftsministerium mehrfach dieses Thema angesprochen hat, warte ich nun auf Vorschläge von dort. Die Gewerbeordnung wird ja kontinuierlich überarbeitet. Nun soll die andere Seite sagen, was gewollt ist. Ist es das gewerbliche Anlagerecht? Der Zugang zum Gewerbe? Die Entbürokratisierung? Die Veröffentlichungsvorschriften in der amtlichen Wiener Zeitung, die von unseren Mitgliedern sehr heftig kritisiert werden? Die Wirtschaft hat sich sinnvollen Reformen nie verschlossen.

(+) plus: Die Bildungsreform liegt auf Eis, auch die Gesundheitsreform und die Transparenzdatenbank harren ihrer Umsetzung. Brauchen Reformen in Österreich immer besonders lange?

Leitl: Dieser Eindruck täuscht leider nicht. Ich hoffe, dass uns das Wasser nicht bis zum Hals stehen muss, bis im Großen etwas weiter geht.

(+) plus: Die Registrierkassenpflicht erhitzt nach wie vor die Gemüter. Haben Sie mit so heftigen Widerständen gerechnet?

Leitl: Mein Bestreben war hier immer ein praxisgerechter Zugang. Dank des Drucks der Wirtschaft gibt es bei der Registrierkassenpflicht Erleichterungen, etwa die Ausweitung der Kalte-Hände-Regelung, eine Lockerung für Alm- und Schihütten, die Möglichkeit, endbesteuerte Aushilfskräfte zu beschäftigen etc. Aber es bleiben Wermutstropfen wie die fehlende Anhebung der Registrierkassenpflicht auf generell 30.000 Euro und die erweiterte Dauer von Vereinsfesten ohne Registrierkassenpflicht auf 72 Stunden.

(+) plus: Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau, gleichzeitig finden viele Betriebe keine ausreichend qualifizierten Fachkräfte. Müssen die Unternehmen selbst wieder stärker in Ausbildung investieren?

Leitl: Der Mismatch am Arbeitsmarkt ist sehr unterschiedlich ausgeprägt – regional wie von der Branche her. Generell braucht es ein besseres Erstausbildungssystem. Zudem sind in Zeiten des Wandels Mobilität und Veränderungsbereitschaft der arbeitslosen Personen von noch größerer Bedeutung. Dazu gehört auch die Bereitschaft, weiter entfernte Arbeitsplätze anzunehmen.

(+) plus: Die Österreicher werden künftig später in Pension gehen. Derzeit steigt die Arbeitslosenrate der älteren Arbeitnehmer jedoch überdurchschnittlich an. Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Leitl: Die Arbeitslosenquote unter den Älteren ist niedriger als die allgemeine Quote, außerdem steigt die Beschäftigung in diesem Segment stärker als insgesamt. Das zeigt, dass die Betriebe ihre Verantwortung gegenüber Älteren ernst nehmen und ein Bashing der Unternehmen im Hinblick auf eine angeblich mangelnde Beschäftigung Älterer fehl am Platz ist. Untersuchungen belegen, dass sich bei einem höheren Pensionsantrittsalter die zusätzlichen Personen am Arbeitsmarkt größtenteils in Beschäftigung befinden würden. Auch dass ein längerer Verbleib Älterer im Erwerbsleben zu geringeren Jobmöglichkeiten für Jugendliche führt, lässt sich durch nichts bestätigen. Ergo: Aus Arbeitsmarktsicht spricht nichts gegen ein deutlich höheres faktisches Pensionsantrittsalter.

(+) plus: Asylwerber dürfen nicht arbeiten und sind auch nicht zu Deutschkursen zugelassen. Soll der Zugang zum Arbeitsmarkt schon früher ermöglicht werden?

Leitl: Das von der Regierung jüngst beschlossene Integrationspaket sieht auch für Asylwerber die Möglichkeit von Deutsch- und Wertekursen und den Zugang zu gemeinnütziger Arbeit nach bestimmten Kriterien vor – beides ist positiv. Die Sozialpartner sind sich auch einig, dass ein erleichterter Arbeitsmarktzugang für Asylwerber nötig wäre. So sollten jugendliche Asylwerber mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit Zugang zu Lehrstellen in allen Berufen bekommen.

(+) plus: Der Report Verlag feiert heuer sein 20-jähriges Jubiläum. Wie hat sich die Arbeit der Sozialpartner verändert?

Leitl: Vor 20 Jahren war Österreich junges EU-Mitglied. Die Sozialpartner waren damals Manager des damit verbundenen Wandels. Heute stehen wir wieder vor Umwälzungen, und auch jetzt ist es unsere Aufgabe, die anstehenden Herausforderungen proaktiv und zukunftsorientiert mitzugestalten. Und dem Report wünsche ich zum 20. Geburtstag alles Gute und freue mich auf seine kritische Beobachtung und mediale Begleitung unseres Wirkens auch in den kommenden 20 Jahren!

Last modified onMontag, 18 Juli 2016 11:07
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