Sonntag, Mai 19, 2024
»Alle müssen sich dem Projekt unterwerfen«

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Strabag-Vorstand Peter Krammer über die Vorteile von partnerschaftlichen Vertragsmodellen und woran sie in der Praxis oft scheitern. Außerdem erklärt er, welche Rolle BIM und Lean Construction dabei spielen und wie offen oder verschlossen sich die Auftraggeberschaft gegenüber alternativen Zugängen zeigt.

Report: Braucht es aus Ihrer Sicht ein Umdenken bei der Vertragsgestaltung? Wenn ja, warum?

Peter Krammer: Ein ganz klares Ja! Wenn die Bauindustrie die im Vergleich zu anderen Branchen schwache Produktivität kompensieren will, dann müssen wir anders an die Projekte herangehen. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht dabei die Auftragsvergabe, gefolgt von der Auftragsabwicklung.

Aktuell folgt auf Basis einer rudimentären Planung eine rudimentäre Ausschreibung. Dann gibt es einen Vertrag, der funktioniert oder auch nicht. Es fehlt das vorausschauende Denken, wie ein Projekt optimiert werden kann. Oft  geht es nur darum, wer bei den fast unausweichlichen Streitigkeiten Recht hat. 

Natürlich ist das jetzt überzeichnet, aber so in etwa ist der Standard. Wenn es uns gelingt, den Blick nach der Wettbewerbsphase ausschließlich auf die gemeinsame, optimale Umsetzung eines Projekts zu richten, dann wäre viel gewonnen. 

Report: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang BIM?

Krammer: BIM ist kein Allheilmittel, aber BIM zeigt uns, dass der Planungsprozess viel früher angesetzt werden muss. Das Krebsgeschwür der baubegleitenden Planung gehört endlich entfernt. Ein nicht ausdefiniertes Bausoll in Kombination mit einem vielleicht entscheidungsschwachen Bauherrn, das kann nicht gut gehen, das kann nur in Streit enden.

Report: Den gemeinschaftlichen Ansatz bei Bauprojekten gibt es in der Theorie schon lange. In der Praxis sieht es allerdings oft anders aus. Eine qualitative Studie des Bau & Immobilien Report vor zwei Jahren hat gezeigt, dass das Verhältnis von Auftraggebern und Auftragnehmern oft von Misstrauen und Geringschätzung geprägt ist. Woran scheitert der gemeinschaftliche Ansatz in der Praxis?

Krammer: Daran, dass man seine Eigeninteresse nicht mehr verfolgen kann, sondern sich dem Projektgeschehen unterwerfen muss. Dazu kommt, dass natürlich auch der eine oder andere Job in Gefahr ist. Bei einem Partnerschaftsvertrag brauch ich auch keine Juristen mehr, zumindest nicht in diesem Ausmaß und nicht in der Bauphase.

Report: Unter dem Titel teamconcept hat die Strabag bereits praktische Erfahrungen mit alternativen Vertragsformen gemacht. Beim Projekt Gemeinschaftskraftwerk Inn hat man erstmals in Österreich auch ein Projekt mit einem öffentlichen Auftraggeber über einen Allianzvertrag abgewickelt. Was waren die wesentlichsten Erkenntnisse? 

Krammer: Dass es perfekt funktioniert. Das ist gerade im öffentlichen Bereich nicht selbstverständlich, weil da natürlich auch das Bundesvergabegesetz beachtet werden muss. Es gibt aber genügend Auftraggeber, die nicht dem Bundesvergabegesetz unterworfen sind. Und da funktioniert die Zusammenarbeit hervorragend. Da wird gemeinsam an einem Strang gezogen und die optimierte Bauabwicklung steht eindeutig im Fokus.

Report: Gerade bei Allianzverträgen ändert sich auch die Struktur des Projektteams grundlegend. Man braucht einen Auftraggeber mit dem nötigen Know-how und personellen Ressourcen. Kann das zu einem Stolperstein werden?

Krammer: Darin sehe ich gar kein Problem. Das ist ja sowieso nötig. In einem Allianzmodell hat man aber den Vorteil, dass rechtzeitig und völlig transparent auf Probleme hingewiesen wird. Die Auftraggeber müssen nur ihren Blick weg von der juristischen hin zur technischen Expertise wenden. Beim Allianzmodell sind Auftraggeber, Ausführungsplaner und Auftragnehmer ein Team. Das ist das Beste, was einem Projekt passieren kann. Wenn in der Konzeptionsphase gemeinschaftlich gearbeitet und entschieden wird, dann kann das einem Projekt nur gut tun.

In der klassischen Abwicklung haben sich Bauherr und Planer über einen längeren Zeitraum mit einem Projekt beschäftigt. Dann wird ausgeschrieben, es muss kalkuliert werden und zwei Wochen später beginnt man mit dem Bau. Damit hat der Auftraggeber natürlich einen enormen Wissensvorsprung. Bei einem Allianzmodell gibt es in der Frühphase einen Architektenwettbewerb, dann gibt es eine grobe Entwurfs- und vielleicht sogar schon eine Einreichplanung. Aber in der Konzeptionsphase ist das Bauunternehmen bereits an Bord. In Deutschland haben wir mit dem Springer-Campus ein Projekt, wo diese Konzeptionsphase ein Jahr gedauert hat. Erst dann wird mit dem eigentlichen Bau gestartet und jeder Einzelne weiß genau, was er zu hat. Das inkludiert auch die Subunternehmer. Das reduziert Nachträge und die Risikozuschläge können deutlich minimiert werden.

Report: Wir sprechen jetzt im Zusammenhang mit alternativen Vertragsformen über die frühzeitige Einbindung der Subunternehmen. Bei der Sanierung der SVA-Zentrale geht es um genau dasselbe. Dort allerdings unter dem Deckmantel Lean Management. Inwieweit greift das alles ineinander?

Krammer: Lean Management oder Lean Construction ist ein Abwicklungstool. Die Vertragsgestaltung greift viel früher. Aber natürlich kann man Lean Construction in einem partnerschaftlichen Vertragsmodell auch besser umsetzen. Das bedeutet auch für Subunternehmer eine deutliche Verbesserung, weil alles ineinander greift. Damit gibt es auch viel weniger Irritationen auf der Baustelle.

Report: In welchen Vertragsformen und für welche Projektarten sehen Sie das größte Zukunftspotenzial?

Krammer: Wichtig ist, dass am Beginn das Allianzmodell steht. Welcher konkrete Bauvertrag am Ende herauskommt, hängt vom Projekt ab. Das kann cost-plus-fee sein, ein garantierter Maximalpreis-Vertrag (GMP) oder ein Pauschalvertrag. Wenn man als Bauunternehmen ein umfassendes Bild vom Projekt hat, sind verschiedene Verträge möglich.

Report: Wie würden Sie die Bereitschaft der Auftraggeber beschreiben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Krammer: Gerade bei großen Infrastrukturauftraggebern wie ÖBB und Asfinag gibt es Interesse, die sind auch an BIM interessiert. Und sie wissen natürlich, dass, wenn sie BIM umsetzen wollen, es auch neue Vertragsmodelle braucht. Das wird aber noch dauern. Zurückhaltender nehme ich derzeit die BIG wahr. Aber auch da wird es über kurz oder lang zum Thema werden.   

Report: Wie viele Prozent der Projekte in Österreich werden aktuell über Partnerschaftsmodelle abgewickelt?

Krammer: Noch ist das Minderheit. Derzeit liegen wir beim Hochbau bei rund zehn Prozent, über alle Sparten gerechnet bei rund fünf Prozent.

Report: Welcher Prozentsatz ist mittel- und langfristiges Ziel?

Krammer: Konzernziel ist, bis 2022 über alle Projekte hinweg die 10-Prozent-Marke zu erreichen. Also eine Verdoppelung des Status quo.

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